El Bachir Iaich Rafi (40) ist einer der Mieter des Gebäudes an der Bornstraße 144. © Bastian Pietsch

Bornstraße 144

Müll, Ratten und Kälte: Wie ein Gebäude in der Nordstadt zum Problemhaus wurde

Die Mieter der Bornstraße 144 lebten bis zuletzt mit einem Müllberg und der Angst, im Kalten sitzen zu müssen. Eine Recherche offenbart die undurchsichtigen Strukturen hinter dem Problemhaus.

Dortmund

, 14.04.2022 / Lesedauer: 5 min

Auf die Frage, ob er sich in seiner Wohnung wohlfühle, lacht El Bachir Iaich Rafi (40) nur. „Hätte ich gewusst, dass es hier so ist, wäre ich nicht gekommen“, sagt er. Seit etwa einem Jahr wohnt er in der Bornstraße 144. Ein helles Eckhaus mit großen Fenstern. Doch viele von ihnen sind verhangen. Bornstraße 144 ist ein Problemhaus, wie es sie in der Dortmunder Nordstadt mehrfach gibt.

Man betritt das Gebäude durch einen schmalen Flur mit 14 Briefkästen. Der Boden ist kleinteilig gefliest, an der Wand eine Schmiererei, im Treppenhaus provisorisch verschalte Löcher und Spuren eines Wasserschadens.

Eine Tür zum Hinterhof ist versperrt. Dort liegt bei unserem Besuch am Freitag (8. April) bergeweise Müll. Mieter berichten von Ratten. Einige Tage vor unserem Besuch habe der Müll im Hinterhof sogar gebrannt. Die Fenster im Flur solle man besser geschlossen halten, wegen des Gestanks. In der Bornstraße 144 wohnen Menschen, die es auf dem Wohnungsmarkt sonst schwer haben.

„Ich will ein gutes Leben“

El Bachir Iaich Rafi lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in einer der drei Wohnungen im ersten Obergeschoss. Er sagt, er sei Spanier und sei zum Arbeiten nach Dortmund gekommen – und damit seine Kinder hier zur Schule gehen können. Er spricht etwas Englisch, weniger Deutsch, dafür aber Spanisch und Arabisch. Aktuell arbeite er beim Logistikunternehmen GLS.

So sah der Hinterhof bei unserem Besuch vor Ort am 8. April aus. Die Pfütze stammt angeblich von einem verstopften Abfluss. © Bastian Pietsch

„Ich will nicht reich werden, aber ich will ein gutes Leben“, so El Bachir Iaich Rafi. „Wenn ich nach der Arbeit nach Hause komme, will ich mich entspannen und mit meinen Kindern spielen.“ Die Umstände in der Bornstraße 144 machten ihm dies beinahe unmöglich, sagt er.

Komplexe Eigentümerstruktur

Der Stadtverwaltung ist das Gebäude an der Bornstraße 144 seit 2008 als Problemfall bekannt. 2013 sei es erstmals wegen auf dem Grundstück gelagertem Müll aufgefallen.

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Vor einigen Jahren sei das Gebäude von einem Investor renoviert worden. Der damalige Eigentümer meldet sich auf unsere Anfrage von einer rumänischen Handynummer. Sein Unternehmen mit Sitz in Herne habe das Gebäude 2019 gekauft. Er schickt auch Fotos von den frisch renovierten Wohnungen.

Nach der Renovierung seien die einzelnen Wohnungen zwischen September 2021 und Februar 2022 an neue Eigentümer verkauft worden. An wen, daran erinnere er sich nicht. Die Stadtverwaltung gibt an, dass Bornstraße 144 aktuell mehreren Eigentümern gehört, die allesamt nicht dort wohnen. Solche Konstellationen verkomplizierten Dinge allgemein.

Ärger mit dem Versorger

El Bachir Iaich Rafi lebt sei gut einem Jahr in der Bornstraße 144 und sagt, die Probleme haben sich nach und nach entwickelt. Der Müll sei das größte davon, aber nicht das einzige. „Im Januar hatten wir drei oder vier Tage lang keine Heizung“, erzählt er. Seine Familie habe sich mit Elektroöfen warmgehalten.

Anfang des Jahres wird der gemeinnützige „Planerladen“ auf die Bornstraße 144 aufmerksam. Die DEW21 habe wegen einer hohe Summe ausstehender Zahlungen gedroht die Gasversorgung und den Strom für Hausflur und Zentralheizung abzuschalten.

Der Flur der Bornstraße 144 unmittelbar hinter der Eingangstür. 14 Briefkästen lassen auf die Zahl der Wohnungen schließen. © Bastian Pietsch

Die mietvertraglich vereinbarten jeweils 100 Euro Betriebs- und Heizkosten würden von den Mietern, zu denen ihnen jeweils Informationen vorliegen, gezahlt, so der „Planerladen“ und der Mieterverein. Allerdings hat keiner von beiden lückenlose Informationen über alle Mietparteien.

Da aber mindestens teilweise Nebenkostenzahlungen vorlägen, müssten auch mindestens teilweise Zahlungen bei der DEW21 eingegangen sein, so Martin Grebe, Rechtsanwalt beim Mieterverein. Es sei allerdings seiner Kenntnis nach zeitweise gar nicht gezahlt worden.

Irgendwo auf dem Weg von den Mietern zur DEW21 müssten demnach Nebenkostenzahlungen versackt sein. Wo genau ist nicht klar. „Man könnte durchaus darüber nachdenken, hier den Tatbestand einer Unterschlagung zu prüfen“, sagt Martin Grebe.

Private Zahlungen gegen die Sperrung

Die Sperrung von Strom und Gas wurde laut dem „Planerladen“ abgewendet, indem Mieter selbst einen Teil der Schulden bei der DEW21 beglichen haben. Eine zweite, für den 4. April angesetzte Sperrung sei vom Mieterverein verhindert worden, gibt dieser an.

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Seit Februar ist auch eine Hausverwaltung in Landau für das Gebäude zuständig. Von dort heißt es, bei der Übernahme seien einzelne, kleine Probleme bekannt gewesen, das Ausmaß aber nicht. Die Hausverwaltung sei für die Wohnungseigentümer tätig - also für alles verantwortlich, was Gemeinschaftseigentum ist. Unter anderem den Hinterhof und die Zentralheizung.

Eine Ansprechperson in Dortmund gebe es nicht. Kontakt für die Mieter und Mieterinnen seien die Wohnungseigentümer. Das sei in dieser Konstellation so üblich, im konkreten Fall aber nachteilig. Man wolle nun gemeinsam mit den Eigentümern die Verwaltung so gestalten, dass sich die Situation im Haus verbessert.

Erreicht wurde bereits eine Vereinbarung zwischen der DEW21 und den jeweiligen Vertragspartnern, mit der die Schulden getilgt werden sollen. DEW21 kann sich aus Datenschutzgründen nicht zur Bornstraße 144 äußern.

Ein angeblicher Wohnungsvermittler

Noch etwas liegt bei der Bornstraße 144 im Argen. El Bachir Iaich Rafi sagt, er habe die Wohnung über einen Vermittler bekommen. Auch andere Mieter haben gegenüber dem „Planerladen“ ähnliches berichtet. Teilweise seien dafür von den Mietern vierstellige Summen gezahlt worden. Der ehemalige Eigentümer der Bornstraße 144 gibt an, von einem Vermittler Mieter vorgeschlagen bekommen zu haben. Daran, etwas dafür gezahlt zu haben, könne er sich nicht erinnern.

Ein Mieter nennt uns einen Kontakt zu diesem angeblichen Wohnungsvermittler. Dieser sagt, er sei mal als solcher tätig gewesen, mache dies aber mittlerweile nicht mehr. Er unterstütze die Bewohner der Bornstraße 144 als Dolmetscher. Geld habe er für die Vermittlertätigkeit nie genommen.

Wegen einer defekten Eingangstür sollen sich laut Mietern immer wieder Unbefugte im Treppenhaus aufgehalten haben. © Bastian Pietsch

Ungewöhnlich wäre das jedoch nicht, wie Dr. Marita Hetmeier erklärt. Die Maklerin besitzt selbst Immobilien in der Nordstadt. Wenn man sich mit Problemhäusern beschäftigt, kommt man schnell auf ihren Namen als Expertin. Konkrete Kenntnis der Bornstraße 144 habe sie nicht, äußert sich aber allgemein zu den Geschäftsmodellen von Problemhäusern.

„Das sind Menschen, die sonst keine Chance haben, eine Wohnung zu finden, und die sich dann an betrügerische Vermittler wenden“, sagt Marita Hetmeier. „Die hohen Kosten, die dafür oft aufgerufen werden, zahlen immer die Mieter.“ Bei einer seriösen Wohnungsbestellung zahle dagegen in der Regel der Vermieter.

Zweifelhafte Wohnungsgeschäfte

Bei manchen Gebäuden würden schon beim Verkauf der Wohnungen so hohe Preise aufgerufen, dass sich der Kauf nur mit anschließenden dubiosen Mietmodellen rechnen könne, so Marita Hetmeier.

Die Kaltmiete in der Bornstraße 144 liegt laut einem der Mietverträge bei 544 Euro für „eine drei Zimmer Wohnung mit einer Küche, einem Badezimmer und einem Keller“. Eine Quadratmeterzahl ist nicht genannt. Das mache es schwer einzuschätzen, ob die Miete überhöht sei, sagt Martin Grebe vom Mieterverein.

Das Eckhaus an der Bornstraße 144. Das geschlossene Tor neben der Eingangstür führt in den vermüllten Hinterhof. © Bastian Pietsch

Anhand der Außenansicht des Gebäudes und der Anzahl der Wohnungen schätzt Marita Hetmeier einen Quadratmeterpreis von etwa 10 Euro. „Das kann woanders sicherlich angemessen sein. In einem solchen Haus ist das aber zu viel.“

Laut Mietern wohnen etwa 60 bis 70 Personen in der Bornstraße 144. Familien mit Kindern meist. Zudem gebe es drei „Arbeiter-WGs“. Die Mieter im Gebäude wechselten häufig. Eine Wohnung betreten dürfen wir nicht.

Ein Problem aber kein Einzelfall

Wenige Tage nach unserem Besuch in der Bornstraße 144 ist der Müll im Hinterhof beseitigt. Darauf hingewirkt habe ebenfalls die neue Hausverwaltung, heißt es von dort. Man habe die Eigentümer sensibilisiert.

Für die Mieter und Mieterinnen ist damit das wohl größte Ärgernis in der Bornstraße 144 beseitigt. Und es besteht Hoffnung, dass mit der neuen Hausverwaltung auch nachhaltige Besserung in dem Problemhaus Einzug hält.

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Ein Einzelfall in der Dortmunder Nordstadt ist das Haus nicht, das wird im Zuge unserer Recherche deutlich. Noch nicht mal ein besonders schlimmer Fall. Wohin dubiose Strukturen führen können, konnte man bis Ende 2021 weithin sehen. Im Dezember wurde der Abriss des „Horror-Hochhauses“ an der Kielstraße vollendet, auf den die Stadtverwaltung lange und mit viel Geld hingearbeitet hat.

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