Phillip Schneider in seinem Restaurant „Der Schneider“ in Wambel: Wir haben das Menü des neuen Dortmunder Sternekochs getestet. © Dieter Menne (Archivbild)
Serie: Dortmunds Tour der Sterne
Nähmaschinen und Nebel-Milch: Das bietet die Sterneküche im „Der Schneider“
Dortmund hat seit diesem Jahr drei neue Sternerestaurants - eines davon liegt in Wambel: „Der Schneider“ orientiert sich an der „Neuen nordischen Küche“. Wie schmeckt sie? Wir haben es getestet.
von Tom Thelen
Dortmund
, 03.12.2021 / Lesedauer: 5 minMitte 2016 hatte Phillip Schneider das Restaurant im Hotel Ambiente in Wambel übernommen. Das Restaurant kannte der Koch gut, hatte er doch hier im Team von David Kikillus einen Michelin-Stern errungen.
Das Ziel, einen eigenen Stern zu erringen, hatte er früh kommuniziert, dann fast abgeschrieben, schließlich aber im März 2021 erreicht. Der erste, allerdings schon ziemlich gewaltige Gipfel.
Das Ambiente ist ungewöhnlich. Ein recht wilder Stilmix mit unterschiedlichen Sitzgelegenheiten, wuchtigen Designerlampen, abstrakter Kunst, zwei Gondeln für je zwei Personen, die frei verschiebbar sind, ein Durchblick zu Küche, der sie aber nicht ganz zur Showküche macht und dazu jazzige leichte Popmusik. Das alles macht eine leichte, beschwingte Atmosphäre, an einem Mittwochabend ist das Sternerestaurant zu gut zwei Dritteln ausgebucht.
Das Publikum ist unauffällig mittelalt und scheint keinerlei Berührungsängste zu verspüren, der Service ist schwarz gekleidet, flink und lässig in der Kommunikation: „Kann ich bitte 2G von Ihnen bekommen?“
Keine Preise, keine Speisekarte online
Das erste schon im Vorfeld interessante Phänomen: Auf der Webseite gibt es keine Speisekarte und auch keine Preise. Ersteres erklärt Schneider damit, dass es viele Nachahmer gäbe, zweiteres sei nicht nötig, das habe er gemerkt.
Fünf Gänge des Menüs kosten 115 Euro, sechs 130, alle sieben 140. Die 5-Gang-Weinbegleitung schlägt mit 65 Euro zu Buche.
Los geht es aber schon vor der Karte und der Bestellung mit den Aperos.
Faszinierend schmeckende Happen, darunter eine weiße, vegetarische Bolognese in einem Mini-Taco. Das Fingerfood ist angerichtet auf einer Baumscheibe, auf schwarzen Steinen, auf Getreide und auf Stein. Erd- und naturverbunden, symbolisch?Aperos im Restaurant "Der Schneider" © Tom Thelen
Kurzer Exkurs: Schneider hat oft geäußert, er sähe sich in der Tradition der „Neuen nordischen Küche“. Diese hat Anfang des 21. Jahrhunderts per Manifest eine kulinarische Welteroberung der Gourmetküchen begonnen.
Heimische, saisonale Produkte, traditionelle Gar- und Reifemethoden und Rezepte, hochklassige und möglichst pure Spitzenprodukte. So wurde das „Noma“ in Kopenhagen zum besten Restaurant der Welt. Diesem Ideal eifert man auch in Dortmund-Wambel nach.
Zurück ins „Der Schneider“: Kochphilosophien muss niemand studieren, um hier lecker zu essen. Erster Auftritt des Nähmaschinentisches. Denn Phillip Schneider nutzt seinen Nachnamen, um daraus eine schöne Geschichte zu drehen: „Maßgeschneiderte Menüs“ gibt es hier, das aktuelle nennt sich „nach Maß“.
Vom herangerollten Wagen mit der historischen Nähmaschine kommen drei Brotsorten, noch warm, dazu Kürbiscreme und gesalzene französische Butter. Natürlich wieder im Getreidebett serviert. Tolles Brot (immer eine Gefahr, denn wer will schon pappsatt vor einem genialen Hauptgang sitzen?).
Belper Knolle ist trotz Ähnlichkeit keine Kartoffel
Und noch ein Gruß aus der Küche, ein sehr vielversprechender: Ein zauberhafte Perlgraupenrisotto mit Petersilie in verschiedenen Texturen (unter anderem gebacken), mittig ein Onsen-Ei, darüber hobelt der Service Belper Knolle. Das ist keine besondere Kartoffel, sondern eine Schweizer Käsespezialität aus dem Berner Mittelland, die eine kräuterig-scharfe Note ins Spiel bringt.
Zum ersten Gang - er liest sich „Kürbis Hagebutte Mandarine“ - wird ein gemischter Satz aus 2020 in Bio-Qualität eingeschenkt, er stammt vom Weingut Zahel bei Wien und versprüht Charme. Wie sollte es auch anders sein?
Die Kreation spielt mit den Texturen, mit Temperaturen, Gefrorenes trifft auf Knackiges und was der Gast lernt, ist, dass das „Grünzeug“ keinesfalls Deko ist, sondern klug ein ausgesuchter Geschmacksträger. Also: draufbeißen, Spaß haben mit der hintergründigen Schärfe zur süßen Hauptsache.Hase, Herbsttrompete, Endivie © Tom Thelen
„Hase Herbsttrompete Endivie“ verspricht der nächste Gang, dazu kommt wieder Biodynamisches ins Glas. Aus Norditalien stammt der Rotwein Teroldego Lezèr, der recht blass im Glas wirkt, oder anders: wie ein dunkler Rosé. Er harmoniert prächtig mit dem Hasen-Rillette, das wiederum toll zum nussigen Pilz passt. Eine frische Fanfare für den Herbst.
Das besondere des Saiblings im Zwischengang ist, dass er nach der traditionellen asiatischen „Ike Jime“-Methode getötet wurde, die perfekte Fleischqualität bringt, die in Sushi- und Sashimi-Qualität genossen werden. Hier wurde handwerklich perfekt zugunsten des Genusses gearbeitet.
Zwischen den mit Mangold umwickelten Filets zündelt eine salzige Asche, leicht jodige Bouchout-Muscheln daneben. Das sind im Grunde Miesmuscheln, Pfahlmuscheln, etwas kleiner, etwas nussiger und prägnanter.
Saibling, Poverade, Bouchot Muschel
Ebenfalls auf dem Teller eine Poverade, eine mediterrane Mini-Aubergine. Angegossen mit Muschelsud eine intensive Angelegenheit, der die Cuvée Sand & Kalkstein vom Weingut „In Den Zehn Morgen“ mit den vereinten Kräften von Chardonnay und Weißburgunder im Burgunderglas zu trotzen weiß.
Die Weinpaarungen passen also, die Präsentation ist heute allerdings nicht für jedermann maßgeschneidert. Der Service nennt nicht viel mehr, als das Etikett verrät. Ein Minimalismus, der ungewöhnlich ist, vielleicht auch bei manchem auf Gegenliebe stößt. Entscheidend ist im Glas, entscheidend ist der Geschmack.
Dennoch erfreut sich so mancher Gast an Informationen zur Entstehung der Paarung mit dem Gericht, über die Philosophie und Historie der Winzer. Auf Nachfrage berichtet Phillip Schneider aber über zukünftige spannende personelle Aufrüstung an dieser Stelle.
Die Challans-Ente - Prunkstück französischer Gastronomie
Es folgt eine sehr gelungene Kombination des kräftigen Seeteufels mit Kalbskopf-Ragout, mit toller Essenz erneut kraftvoll abgestimmt, und einer Zusatz-Erfrischung (Sorbet mit Kirschwasser-Jahrgangs-Himbeeren).
Seeteufel, Kalbskopf, Zwiebel © Tom Thelen
Wildente, Spitzkohl, Marone © Tom Thelen
Der Käsewagen mit der Auswahl von Maitre Affineur Volker Waltmann © Tom Thelen
Petit Fours auf Nähmaterial, bei "Der Schneider" © Tom Thelen
Dass die luftig-leichten Petit Fours dann auf Knöpfen, Garn und einem Stecknadelkissen serviert werden, macht den Abend rund. Da beißt die Maus keinen Faden ab.
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