„Isch bin voll ein herzlischer Mensch“, säuselt die Mädchenstimme aus dem Lautsprecher. Aylin flirtet mit einem Unbekannten – am Handy, via „Basechat“. Die Plattform führt Gesprächspartner per Zufall zusammen. Wer genug von seinem unbekannten Gegenüber hat, drückt die „0“. Aylin ist eigentlich Aylin Laura, „halb Türkin, halb Polin“. Im wahren Leben ist Aylin aber Nadiem Bahjat. Ein Mann, der bei hauptberuflich bei „Scheidings Lagerverkauf“ arbeitet. Ein Familienmensch. Ein selbstbewusster Influencer.
385.000 Follower kennen „nadiem_ba“ von seinem TikTok-Kanal, 85.000 von Instagram. Die Chats sind Online-Streiche: Pranks. Nadiem alias Aylin chattet und Tausende sehen auf Nadiems TikTok-Kanal zu. Das kann über Stunden gehen und wird dabei nicht langweilig. Denn Nadiem ist in den Chats nicht nur Aylin, sondern auch der afro-amerikanische Pizzabote Pinahok Makungo, Aylins Oma Magrit, ihr Onkel und einige Figuren mehr. Stand-up-Comedy.
Jetzt haben die Streiche für einige Zeit ein Ende: Nadiem Bahjat zieht am Montag (24.2.2025) in den „Big Brother“-Container ein – rund um die Uhr abgeschirmt von der Außenwelt und überwacht von 60 Kameras. Pause auch an seinem Arbeitsplatz in „Scheidings Lagerverkauf“ in Dortmund-Oestrich und Recklinghausen. Dort arbeitet der Bochumer als Content Creator und Social Media Manager.
Krasse Stalkerin
Wer ist Nadiem Bahjat? Ein paar Tage, bevor er in den TV-Container einzieht, treffen wir ihn im Bürocontainer des Lagerverkaufs. Der 30-Jährige sitzt an einem Tisch vor einem Karton mit hunderten Autogrammkarten und signiert Karte für Karte. Auch das gehört zur Herausforderung „Big Brother“. Die Reality-Show wird ihn noch bekannter machen.
Prominent ist er jetzt schon. Und das geht über Videos und Bilder auf den Social-Media-Plattformen hinaus. Vor allem weibliche Fans wollen den smarten Bochumer gerne mal aus nächster Nähe sehen. „Letzten Samstag standen zwei hier vor dem Tor“, erzählt er. Manche Fans kämen drei, vier, fünf Stunden in den Lagererkauf, um ihn zu sehen. Eine „krasse Stalkerin“ habe einmal seine Adresse herausgefunden. „Ich war damals so dumm und habe nicht darauf geachtet, dass mein Standort bei Facebook sichtbar war.“
Kürzlich haben ihn zwei junge Frauen in einem Club erkannt und belästigt. „Als sie nicht aufhörten, bin ich zur Security“, erzählt er. Kein Einzelfall. Nadiem ist zwar Single. Aber: „Mit ein bisschen Arsch und ein bisschen Dings kannst du mich nicht beeindrucken“, sagt er. „Ich bin ein sehr kontrollierter Mann.“
Dabei sind es nicht nur Frauen in seinem Alter, die ein Auge auf den redegewandten Jungen von nebenan werfen. Auch die „Omas im Ruhrpark“ erkennen ihn. Die Reichweite seiner eigenen Kanäle und die von Scheidings Lagerverkauf lassen grüßen. Die Klicks gehen in die Millionen.
Natürlich: „Ich bin sehr selbstbewusst und ich würde jetzt nicht sagen, dass ich der Hässlichste bin“, erklärt er und lacht. Dennoch: Die richtige Frau fürs Leben hat Nadiem noch nicht gefunden. „Das Problem ist ja, dass er bei TikTok nur noch Männer kennenlernt“, feixt Christoph Scheiding. Und spielt auf „Aylin“ an.
Nadiem ist beim Thema Familie nachdenklich und ernst. „Ich wünsche mir schon sehr, sehr lange meine eigene Familie“, sagt er. „Und ich wollte Kinder schon seit ich selber ein Kind war. Ich liebe Kinder und bin sogar selber manchmal noch ein Kind.“ Womit er angesichts der Streiche im Internet recht hat. Lockere Beziehungen gab es. Aber nicht die „Frau, die dieselben Werte wie ich teilt“. Er glaube nicht an Liebe, vielmehr an „Dinge, die da drin stecken, wie Loyalität und Ehrlichkeit“.
Wie sehr der sympathische Influencer ein Familienmensch ist, wird klar, wenn er von „Mama“ erzählt. Fünf Minuten von ihm entfernt wohne sie und er besuche sie jeden Tag. „Ich bin ein absolutes Mama-Kind“, sagt er. „Bei uns sagt man, unter den Füßen der Mama liegt das Paradies.“

Die Herkunft: Nadiem Bahjats Mutter kommt mit 20 aus dem Libanon zum Studium nach Bochum. Schnell habe sie seinen Vater kennengelernt und drei Kinder bekommen – um sie als Alleinerziehende groß zu ziehen. „Es war nicht leicht für sie“, sagt er.
Nadiem Bahjat wird im Bochumer Stadtteil Querenburg groß. Hustadt. Betonklötze. „Das war früher nicht so der schönste Ort, aber für mich war es der schönste Ort.“ Nur ein vermeintlicher Widerspruch: „Jeder kannte jeden. Du konntest rausgehen, egal welche Uhrzeit. Du konntest zu jedem nach Hause, weil jede Mama war auch deine Mama.“
Seiner eigenen Mutter sei es wichtig gewesen, schnell einen deutschen Pass zu bekommen, dass die Kinder schnell etwas lernen. „Sie hatte Angst, dass wir auf irgendeine Art und Weise verkacken.“ Trotzdem, ja, „in jungen Jahren“ habe er auch „Dreck“ gemacht. „Ich war ein bisschen Straßenjunge.“
Schwierig darüber zu reden. „Man hat sich mal geschlagen, mal was geklaut, mal gekifft, mal mit Polizei nach Hause gekommen, weil was kaputt gegangen ist.“ Vergangenheit. „Das war relativ früh.“ In jungen Jahren denke man nicht so viel nach. Es klingt reflektiert, als er über „den Scheiß“ erzählt.

Mit zig Studenten groß geworden, wird er selbst kein Student. „Für mich war immer wichtig, Geld zu verdienen, weil ich meiner Mama ein bisschen was in die Tasche legen wollte.“ Schon mit „elf oder zwölf“, als er Zeitungen verteilt hat. „Mein Werdegang war ein bisschen querbeet.“
Er führt in die Gastronomie – zunächst als Aushilfskraft im Café Extrablatt im Bochumer Bermudadreieck. Ausbildung im Extrablatt und im Tacos in Essen abgebrochen. Ohne Abschluss ins „Café Jedermanns“ zurück ins Bermudadreieck. „Irgendwann hatte ich die Schnauze voll von Gastro.“
Der Stapel Papiere im Jobcenter sind zu groß. Vorübergehend geht es als Paketbote in die Logistik. Kein Job für Nadiem: „Ich liebe es, mit Menschen zu arbeiten. Ich bin ein Freigeist, ein sehr offener Mensch. Mit mir kann man quatschen, lachen.“ Womit er recht hat.
Social Media Manager
Bei Telefonica Germany gibt es eine Stelle als Sales Agent für O2. Nadiem bekommt sie. Nach 30 Minuten Vorstellungsgespräch hat er die Stelle. „Für mich ging es wieder bergauf. Gutes Geld, guter Job.“ Nadiem hat Erfolg. Dann kommt Corona – Telefonica stellt Nadiem frei.
Nebenbei macht er bereits Social Media und lernt den YouTuber Mois kennen. Ein Jahr produziert er Videos, fährt täglich nach Köln, ist dauernd unterwegs. Mit dem Abflauen der Corona-Welle kehrt er zurück zu O2. Über Mois lernt Nadiem Bahjat den Chef von „4Bro“ kennen.
Er wechselt als Social Media Manager und Markenbotschafter in das Lüner Unternehmen. Kein leichter Entschluss: „Ich habe gutes Geld verdient und einen unbefristeten Job“, teilt er sein Ringen. „Mir war immer wichtig, dass ich meine Miete bezahlen kann, ich Sicherheit und keine Schulden habe.“ Nach einer Zeit trennen sich die Wege von 4Bro und dem Markenbotschafter.

Er produziert als Selbstständiger. In seiner Zeit bei „4Bro“ hatte er bei einer Promotion-Aktion im Lagerverkauf Christoph Scheiding kennengelernt. Nadiem heuert im Gewerbegebiet Oestrich als Content Creator an. Es ist März 2024. Zwei kreative Köpfe entwickeln eine Strategie. Mit Erfolg. „Wir jagen die viralen Hits.“ Scheiding lässt dem Naturtalent jeden kreativen Raum.
Entertainer Nadiem hat seit seiner Kindheit einen Traum. „Wenn ich Big Brother oder das Dschungelcamp gesehen habe, habe ich immer gesagt, boah, ich wäre gerne dabei“. Christoph Scheiding ist dabei der ideale Partner und Manager. Als „Retourenprofi“ bei RTL selbst fernseherfahren, half er bei der Bewerbung Nadiems für Big Brother.
Der „Junge mit der Mädchenstimme“ gehört zu den ersten zwölf Kandidaten, die am Montag (24.2.) in den Container ziehen. „Kopffrei“, wie er sagt. Ohne Hoffnungen oder Erwartungen. Aber in der Gewissheit, dass „da sehr emotionale Dinge auf mich zukommen werden, dass man sich auch mal auf die Füße tritt. Ich war noch nie in solch einer Situation, aber ich bin ein sehr harter und sehr starker Charakter.“
Bis zu 50 Tage sind es ohne Kontakt zur Außenwelt. Ohne Handy, ohne die besten Freunde, ohne Mama. „Das wird das Schwierigste sein“, sagt der taffe Familienmensch. „Manchmal schicke ich meine Mutter ja auch einen Monat in den Libanon, weil sie ja auch ihre Verwandtschaft sehen will. Aber diesmal bin ich einfach so lange weg .“