Timo Soring aus Melle bei Osnabrück ist 28 und gelernter Tischler, als sein Leben buchstäblich auseinanderbricht. Er stürzt mit dem Leichtflugzeug ab, rund 100 Meter tief, niemand kann genau sagen, warum. Turbulenzen vielleicht, ein Strömungsabriss. Er landet auf einem Feld, überschlägt sich mehrfach in den Trümmern seiner Sportmaschine. Der letzte harte Aufprall, bei dem sich der Sitz in den Boden gräbt, bricht seine Wirbelsäule und durchtrennt das Knochenmark.
Wochen verbringt er auf der Intensivstation. Als er aus dem künstlichen Koma aufwacht und das Ausmaß seiner Verletzung langsam zu ihm durchsickert, möchte er nicht weiterleben. „Ich habe damals gesagt, 28 Jahre waren gut, das reicht, jetzt will ich nicht mehr. Nicht so.“ Nie wieder gehen zu können, ist für ihn unvorstellbar.
Heute ist Timo voller Lebensfreude und ansteckendem Optimismus. An seiner irreparablen Verletzung ist nichts zu ändern, es bleibt dabei: Selbstständig gehen kann er nicht mehr. Aber mit einem Hilfsgerät, dem sogenannten Exoskelett, kann er es. Jede Woche trainiert er dafür in der Physiotherapie der Turnhalle in Dortmund-Hacheney – gemeinsam mit einer Therapeutin und den Roboterbeinen, die dort stets auf ihn warten.

Das 30 Kilogramm schwere Außenskelett, das wirbellosen Tieren nachempfunden ist, hält Timo aufrecht und übernimmt die Bewegungen, die er nicht mehr alleine ausführen kann. Fest verbunden mit den Roboterbeinen und elektronisch gesteuert über eine Uhr erlebt Timo bei jedem Training ein kleines Wunder: Er steht aufrecht, Auge in Auge mit gesunden Menschen, und bewegt sich aufrecht vorwärts.
Das Gleichgewicht hält er über zwei Gehstützen, die Impulse für die einzelnen Schritte gibt er selbst über eine Gewichtsverlagerung und Hüftbewegung. Dank einer vergleichsweise tiefen Querschnittslähmung ist er im Rumpf sehr stabil und beweglich. Beim Training mit Josina Hohlfeld, Leiterin der Turnhalle Physiotherapie, ist Timo anzumerken, wie anstrengend das für ihn ist. Trotzdem strahlt er bei jedem Schritt.
Physio geschult für Exoskelett
Normalerweise nutzt er einen Elektrorollstuhl, um sich fortzubewegen. So bewältigt er auch die 500 Meter zwischen der Turnhalle und dem Berufsförderungswerk, wo er zurzeit eine Umschulung zum Produktdesigner macht. Durch die Unterbringung dort kam es überhaupt zu der Zusammenarbeit.
Timo fragte einfach bei der Turnhalle an, nachdem er auf einer Messe das ReWalk-Exoskelett kennengelernt hatte. Das Physio-Team war gleich Feuer und Flamme und ließ sich für die Arbeit mit dem Roboter schulen. Damit gehört die Physiotherapie am Hacheneyer Kirchweg zu den einzigen in Dortmund und ganz wenigen in NRW, die eine solche Therapie anbieten. „Das ist so etwas unglaublich Besonderes“, sagt Josina Hohlfeld. „Es ist zu unserem Projekt geworden.“
Inzwischen sitzt sogar ein zweites Exoskelett neben dem von der Firma ReWalk ausgeliehenen Trainingsgerät von Timo. Es gehört Samuel (26), der nach einer Krebserkrankung beim Gehen ebenfalls auf das Hilfsgerät angewiesen ist.

Die Kosten sind erheblich: Rund 120.000 Euro kosten Apparat und Therapie laut Josina. Bis die Krankenkasse ein eigenes Exoskelett für Timo übernimmt, ist es dann noch ein weiter Weg. Zunächst einmal muss er dafür eine Art Führerschein machen, der beweist, dass er Treppen, Kurven und eine gewisse Strecke bewältigen kann.
Die positiven Auswirkungen auf die Gesundheit sind dafür enorm: „Der ganze Körper freut sich“, sagt Timo. „Der Mensch ist nicht für das Sitzen gemacht.“ Das Gehtraining hilft dem Kreislauf und der Durchblutung in den Beinen, verbessert die Knochendichte und Gelenkbeweglichkeit, entlastet den Sitzbereich und regt den Magen-Darm-Trakt und die Blase an.
Auf Augenhöhe begegnen
Für den 1,83 Meter großen Timo zählt aber vor allem etwas anderes: „Auf Augenhöhe kommen und durch die Gegend spazieren.“ Es sei ein unglaublich schönes und befreiendes Gefühl, „sich wie eine Feder fortzubewegen“, auch wenn der Gang nicht besonders flüssig sei und die Koordination sehr anstrengend. Für ihn ist es eine Auszeit von seinem „Leben auf 180 Grad“, wie er es nennt. Sogar mit dem Segelfliegen hat er wieder begonnen.
Die Strecke zu sehen, die er nach wenigen Wochen Training mit dem Roboter bereits zurücklegen kann, motiviert ihn. „Timo hat eigentlich immer ein Grinsen im Gesicht“, bestätigt Josina. Davon kann sich jeder überzeugen, wenn Timo demnächst bei der monatlichen Party nebenan in der Fitnesslounge eine Bratwurst isst: im Stehen.
Dieser Text erschien erstmals am 4. Juni 2023.
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