Urteil im Fall Mouhamed Dramé Alle Polizisten sind freigesprochen

Tod von Mouhamed Dramé: Urteil im Polizisten-Prozess von Dortmund ist gefallen
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Im Prozess gegen fünf Polizistinnen und Polizisten nach dem Tod von Mouhamed Dramé 2022 sind am Donnerstag (12.12.) die Urteile am Landgericht Dortmund verlesen worden. Alle Angeklagten sind freigesprochen. Das gilt also auch für Thorsten H., Dienstgruppenleiter und für den Einsatz am 8. August 2022 in der Dortmunder Nordstadt verantwortlich. Auch Fabian S., aus dessen Maschinenpistole die tödlichen Schüsse auf Mouhamed Dramé fielen, ist freigesprochen worden.

„Im Namen des Volkes verkünde ich folgendes Urteil. Die Angeklagten werden freigesprochen“, sagte der Vorsitzende Richter Thomas Kelm um 13.15 Uhr. Manche Journalisten hatten zu diesem Zeitpunkt gerade erst wieder ihre Plätze eingenommen.

Das Medieninteresse am Urteilstag war riesig. Eingangs sagt Kelm über Mouhamed Dramé: „Die Erwartungen, die er an Europa, an Deutschland gestellt hat, haben sich nicht erfüllt.“ Danach skizziert der im Folgenden noch einmal den Ablauf des Einsatzes, der in der Hauptverhandlung sekundengenau rekonstruiert worden war.

„konkrete, gegenwärtige Gefahr“

Die Kammer sieht in dem Messer, das Mouhamed Dramé sich vor dem Bauch hielt, „ganz klar eine konkrete, gegenwärtige Gefahr“. Kelm trägt vor: „Sie mussten einschreiten, sie konnten auch nicht lange warten.“ Die Richter sind aber auch überzeugt, „dass Mouhamed keinen Angriff geplant hatte.“ Er habe aus einer bedrohlichen und für ihn schmerzhaften Situation fliehen wollen.

Eine Notwehrlage habe deshalb nicht vorgelegen, als der Polizist Fabian S. die Schüsse auf Mouhamed Dramé abgab. Die Kammer folgt im Falle des Schützen damit der Argumentation der Staatsanwaltschaft, die ebenfalls von einem Erlaubnistatbestandsirrtum ausgeht. Das heißt, eine konkrete Gefährdung lag tatsächlich nicht vor, es sei aber nachvollziehbar, dass die Beamten aufgrund der Lage dem Irrtum unterlagen, sie würden angegriffen. Die MP5 in der Hand von Fabian S. sei in der Kürze der Zeit, das einzige Abwehrmittel gewesen.

„Es war zu verhindern, dass auch dritte Personen verletzt werden“, man habe eine mögliche Flucht verhindern müssen, nannte Kelm unter anderem als Grund für den Freispruch für den Einsatzleiter Thorsten H. Anders als die Staatsanwaltschaft ging das Schwurgericht im Urteil davon aus, dass der Einsatz des Pfeffersprays, der die gesamte nachfolgende fatale Kette in Gang gesetzt hatte, nicht rechtswidrig war. „Der Suizid stand möglicherweise unmittelbar bevor“, sagte der Vorsitzende Richter Thomas Kelm dazu. Die Gefahr sei keineswegs nur abstrakt, sondern „konkret und gegenwärtig“ gewesen.

Staatsanwaltschaft forderte Strafe für Einsatzleiter

In diesem Moment sei Pfefferspray deshalb ein „geeignetes Mittel“ gewesen, Mouhamed zu entwaffnen. Dass der Einsatzleiter keinerlei Alternativplan aufgestellt hatte, für den Fall, dass das Pfefferspray die gewünschte Wirkung verfehlte, sei ebenfalls nicht strafrechtlich relevant.

Auch bei den Beamten, die vor den Schüssen die Taser eingesetzt hatten, hält die Kammer den Einsatz als Abwehrmittel für legitim. Sie hätten ebenfalls einem Erlaubnistatbestandsirrtum unterlegen.

Damit folgte das Gericht zumindest zum Teil den Anträgen der Anklage. Nach der Beweisaufnahme hatte die Staatsanwaltschaft für vier von fünf Angeklagten Freisprüche gefordert. Dem Einsatzleiter hatte sie jedoch fahrlässige Tötung vorgeworfen und sich für eine Haftstrafe auf Bewährung ausgesprochen. Er habe zu Unrecht und zu unüberlegt den Einsatz von Pfefferspray angeordnet – und so den fatalen Lauf der Dinge erst in Gang gesetzt, argumentierte die Staatsanwaltschaft.

Urteil noch nicht rechtskräftig

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Eine Überprüfung durch den Bundesgerichtshof in Karlsruhe, die sogenannte Revision, ist auf Antrag möglich. Lisa Grüter, die im Prozess Mouhameds Brüder Sidy und Lassana vertreten hat, kündigte eine solche Revision im Anschluss an die Urteilsverkündung an. „Das ist sicherlich ein Urteil, das überprüft werden muss“, sagte sie.

Konkret sieht das zeitliche Vorgehen dann so aus: Grüter hat nun eine Woche Zeit, die Revision förmlich einzulegen. Danach wird abgewartet, bis die schriftliche Urteilsbegründung vorliegt. In diesem Moment startet eine neue Frist von einem Monat. Innerhalb dieses Zeitraums muss die Revision dann begründet werden.

Im Anschluss gehen die Akten dann an den Bundesgerichtshof nach Karlsruhe, wo das Urteil auf mögliche Rechtsfehler überprüft wird. Bis zu einer Entscheidung dort dürfte mindestens ein Jahr vergehen. Aktuell sprach Lisa Grüter erst einmal von einem „falschen Signal“, das von dem Urteil ausgehe. Dieser Tag sei „traurig und ernüchternd“, Mouhameds Brüder wirkten, „als stünden sie unter Schock“. Beide saßen nach dem Urteil mit gesenktem Kopf weinend im Gerichtssaal.

„Justice for Mouhamed“-Rufe

Auch Michael Emde, der Verteidiger des angeklagten Einsatzleiters, äußerte sich nach dem Urteil gegenüber den Medien. Er kritisierte erneut die „unglaubliche Polarisierung“, die in dieses Verfahren hineingetragen worden sei.

Dazu zählte er auch, dass sich die Zuschauer nach dem Abschluss der Urteilsverkündung von ihren Bänken erhoben und lautstark immer wieder „Justice for Mouhamed“ gerufen hatten. Auch der Satz „Das war Mord“ fiel mehrmals. Die Richter und die zahlreichen Wachtmeister, die die Sicherheit im Verhandlungsaal gewährleisten sollten, ließen die Zuschauer zunächst gewähren, unterbanden die Rufe schließlich aber doch. Die Zuschauer verließen friedlich den Saal.

Bei einer Kundgebung des „Solidaritätskreis Mouhamed“ nach dem Prozess drückten viele Redner vor dem Landgericht dann noch einmal ihr Unverständnis und ihre Wut über das Urteil aus.

Mit Material von dpa