
© Uwe von Schirp
Modellbau boomt: Im fiktiven Tremberg spielen Geschichten aus dem Leben
Freizeittipp
Die gute alte Modelleisenbahn feiert in Corona-Zeiten ein Comeback. Für eine große Platte mit Zügen ist im Wohnzimmer kein Platz. Aber für Tremberg – eine Stadt mit vielen Geschichten.
Tremberg ist eine mittelgroße Stadt. Sie liegt an der Fachwerkstraße. Davon zeugt ihre Altstadt. Der Mittelpunkt. Groß ist der historische Kern rund um den Rathausmarkt nicht – gerade 96 mal 52 Meter. Im Maßstab 1:87 sind das 1,10 Meter mal 60 Zentimeter.
Tremberg gibt es nicht wirklich. Tremberg ist Fantasie, Illusion, ein Altstadt-Teil im Modell. Vor allem ist es aber ein Ort, um Geschichten zu erzählen: Geschichten rund um die Kirche St. Remigius, das Rathaus, das Romantik-Hotel „Königshalt“. In der Altstadt liegen auch der Remigiusbräu-Keller, die Dorhöfe, der mittelalterliche Freistuhl mit einer Femlinde sowie eine Buchhandlung und eine Boutique.
Es sind die Geschichten, die auf dem Markt spielen, am Flussufer im Schatten der Stadtmauer oder hinter dem Industriezaun der Brauerei. Geschichten auf 0,66 Quadratmetern – die kleine Fläche erscheint endlos groß für immer neue Ideen. Und wenn das nicht reicht: Wechselnde Anbau-Module zwischen 0,2 und 0,08 Quadratmetern böten weiteren Raum. Aber das ist Zukunftsmusik.
Eine heile Welt als Lockdown-Projekt
Tremberg ist ein „Lockdown-Projekt“ in Corona-Zeiten. Eine weitgehend heile Welt, dabei für aktuelle (auch politische) Themen offen. Eine Welt mit Augenzwinkern: beobachtet im Alltag, überzeichnet – erfunden an langen (Winter-)Tagen und in noch längeren Nächten.

In der Turmwohnung lebt und arbeitet der Tremberger Stadtschreiber. Von hier hat er alles im Blick, um die neuesten Tremberger Geschichten zu notieren. © Uwe von Schirp
Die Idee zu Tremberg reifte irgendwann im November 2020. Es ging um Weihnachten und die Frage, welchen Tannenbaum wir im Wohnzimmer aufstellen. „Warum nicht unseren kleinen Weihnachtsbaum von der Modellbahn?“, sagt mein Sohn. „Vor der Kulisse der Fachwerkhäuser“, schlage ich vor. Keine lange Diskussion: Die Tannenbaumfrage war geklärt – zumindest vorerst.
Im Keller stehen zwölf Kartons in den Regalen: mit Lokomotiven, Personen- und Güterwagen, mit gut 30 Metern Gleisen, mit fertigen Häusern, mit weiteren Bausätzen und Ausgestaltungs-Sets, mit Kabeln, Leuchten und Trafos. Nach unserem Umzug vor vier Jahren haben wir keinen Platz mehr für die große Modellbahnanlage.

Unweit vom „Königshalt“ liegt der mittelalterliche Freistuhl mit der Femlinde. Im kleinen Fachwerkhaus residiert die Denkmalschutz-Beauftragte. Die Inwertsetzung dieses schattigen Gerichtsortes war ihr ein besonderes Anliegen. © Uwe von Schirp
Auf den obersten Kartons im Regal liegen ein Holzrahmen und eine Sperrholzplatte. 110 mal 60 Zentimeter groß, einmal geplant als Teil der Anlage. Ein „historischer Grund“ quasi für unser Projekt – und exakt so groß wie der Platz zwischen Esstisch und Balkonfenster.
60 Zentimeter Gleis für die Güterabfertigung
Ein Sonntagnachmittag im Keller: Sortierarbeiten. Platte und Rahmen sind schnell verschraubt. Bei der großen Anlage vor zwölf Jahren haben wir mit Gleisplan- und Grafikprogrammen die Anlage geplant. Tremberg entsteht durch Stellen und Schieben.

Die Brauerei ist der letzte größere Bauabschnitt vor den Detailarbeiten. Braukessel und Abfüllanlage warten noch auf den Einbau. © Uwe von Schirp
Das Gleis wird ganze 60 Zentimeter lang am rechten Anlagenrand: Staffage für den Gleisanschluss der Brauerei – Produktion und Güterverladung. Geografisch wird sie im Osten von Tremberg liegen. Nach Westen hin schließen sich Kirche, Markt, Rathaus und Stadtbefestigung an. An den beiden Längsseiten reihen sich Fachwerkhäuser mit Wohnungen, Geschäften, Gastronomie und Hotel.

Das Romantik-Hotel „Königshalt“ ist beliebt. Paare kommen gern mal übers Wochenende und genießen die regionale Spitzenküche der Hotel-Gastronomie und einen guten Tropfen im benachbarten Weinhaus (l.). © Uwe von Schirp
Die Gebäudemodelle sind teilweise 45 Jahre alt, andere gut 25, die jüngsten 8. Als Kind bekam ich meine erste Modelleisenbahn. Die damalige Leidenschaft holt mich immer wieder ein. Zu den jüngeren Bausätzen gehört das Hotel. Von ihm stehen nur die Grundmauern. Die Fertigstellung soll uns mehrere Abende kosten. Von den 330 Teilen ist erst weniger als die Hälfte verbaut.
Nahe am Romantik-Hotel „Königshalt“ steht die Femlinde
Der Weiterbau des detaillierten Modells weckt die Phantasie: Promis und Sportgrößen logieren hier. Eine Tennisspielerin bevorzugt die Suite im Dachgeschoss – mit Blick auf einen Park und dahinterliegende und nur in der Illusion bestehende Sportanlagen.

Von der Loggia des Hotels genießt diese Frau den Blick in den Park und die angrenzenden Anlagen des Tennis- und Golfclubs Tremberg (TGT). © Uwe von Schirp
„Königshalt“ wird es heißen – in Anlehnung an eine Dortmunder Straße. In Tremberg machten im Mittelalter Könige auf der Durchreise in einer Herberge an gleicher Stelle Station. Wochen später wächst eine weitere Idee: Zwischen Hotel und Stadttor ist Platz für eine Grünanlage mit einer großen Linde.
Einer Femlinde – der Ort, an dem im Mittelalter die priviligierten Schichten bei Kapitalverbrechen vor ihren Richter treten mussten. Es wird wahrscheinlich die simpelste nachgebaute „Geschichte“: Aus Bausatz-Resten und Modellbau-Kieseln lässt sich leicht ein mittelalterlicher Richtertisch aus einer Naturstein-Platte nachbauen – und damit ein Denkmal wie unweit des Dortmunder Hauptbahnhofs.

Im Tremberger Rathaus trifft der Magistrat alle wichtigen Entscheidungen: Märkte etwa finden 2021 statt. © Uwe von Schirp
Tremberg und seine Geschichten leben – natürlich – von ihren Einwohnern und der Landmarke. Die Kirche St. Remigius steht erhaben auf einer 1,74 Meter (Maßstab: zwei Zentimeter) hohen Erhebung im Mittelpunkt der Altstadt – erbaut aus mehreren Hartschaum-Schichten.
Kirche hat „geheime“ Zugänge zum Brauerei-Keller
Auf das Patronat einigen wir uns schnell – aus drei Gründen: Nicht viele Kirchen sind auf seinen Namen geweiht, als Bischof von Reims erfüllt Remigius unsere Vorliebe zu Frankreich und er ist Patron gleich zweier Kirchen in unserem Stadtbezirk.
Zwei Dinge sind uns wichtig: Die in den Geschichten handelnden Personen entspringen rein der Fantasie und einer kreativen Logik der Szenerie. Alles andere würde in die Kategorie der sprichwörtlich passenden Schuhe fallen.

Unterhalb des Kirchenhügels an der Hauptstraße liegt der Eingang in den Remigius-Bräu-Keller. Davor entsteht ein Biergarten. © Uwe von Schirp
Die Kirche liegt vis à vis der Brauerei. Sie ist der wirtschaftliche Mittelpunkt der Gemeinde. Ihre historische Nähe ist nicht unüblich. Kennzeichnend für Tremberg ist aber der Brauerei-Keller unter der Kirche. Es soll sogar quasi private Zugänge geben.
Zwei Abende verbringen wir damit, von unten Gänge in den Hartschaum zu schnitzen und die Mauer des Kirchenhügels mit Fenstern zu versehen. Ist die Kneipe geöffnet, schimmert das Licht einer Zwölf-Volt-Lampe aus dem Eingang und den Fenstern der Kneipe. Was für ein „Zufall“: Kellerfenster und eine Tür aus Bretterverschlag liegen schräg gegenüber dem Pfarrhaus.
Modellbau boomt in Corona-Zeiten
Die Adventszeit schreitet voran. Für unsere Ideen fehlen noch Ausschmückungsteile. Kurz vor dem Corona-Lockdown darum ein Besuch im „Lockschuppen“, einem großen Dortmunder Modellbahn-Fachhandel: Modelleisenbahnen würden im Corona-Jahr boomen, erzählt ein Mitarbeiter beim Bezahlen von Straßenbelag-Kleberollen und Weihnachtsmarkt-Ausstattung.

An zwei Abenden entstand unter der Kirche ein Gewölbe mit Fenstern des Bräu-Kellers. Kaum ein Zufall: Eine Holztür liegt direkt gegenüber dem Pfarrhaus. © Uwe von Schirp
Auf Anfrage bestätigt Egbert Pitz von Viessmann Modelltechnik das: „Da Familien nicht so reisen konnten, haben sie die Zeit genutzt, um kreativ zu sein“, schreibt er. „Es ist auch zu erwarten, dass dieser Trend anhält.“ Zum Unternehmen gehören die Marken Kibri und Vollmer mit ihren Gebäudebausätzen und Ausstattungsteilen. Viessmann selbst bietet alles, was das Herz der Elektronik höher schlagen lässt.
Alt und Jung scheinen ein Hobby und damit einen Handelszweig wieder zu entdecken. Derzeit liege der Altersdurchschnitt bei 54 plus. „Jedoch ist sich die Branche einig und versucht die Modelleisenbahn wieder in die Kinderzimmer zu bekommen“, erklärt Egbert Pitz.
Gemeinsam mit dem Deutschen Verband der Spielwarenindustrie stellen die Hersteller Ideen und Neuheiten auf einer gemeinsamen Internetseite vor.
Straßenschilder entstehen am Computer
Immer mehr Modellbahn-Läden sind in der Vergangenheit aus den Städten verschwunden. Dabei setzt die Branche schon seit 25 Jahren auf digitale Lösungen. Modelle werden auch dank digitaler Produktionsverfahren immer detaillierter.

27 Zentimeter hoch ist die Kirchturmspitze von St. Remigius. Sie ist der spirituelle Mitelpunkt von Tremberg. © Uwe von Schirp
Vergleichsweise preiswerte Orte, um Loks, Waggons und Bausätze zu kaufen sind Modellbahnbörsen. Die finden derzeit allerdings nicht statt. Der Leidenschaft frönen Väter, Mütter und Kinder – weitgehend abseits vom Computer-Bildschirm.
Neuheiten und Geschichten im Netz
Beim Bauen entstand die Idee, den Baufortschritt und die Geschichten aus Tremberg auf Facebook zu erzählen. Aus dem Lockdown-Projekt erwächst ein Storytelling-Projekt.
Weihnachtsmarkt bleibt als Wintermarkt bestehen
Zurück in unserem kleinen Refugium: Es ist kurz vor Weihnachten, der Rathausmarkt als Platz für Weihnachtsmarkt und „unseren“ Christbaum ist noch eine einzige weiß grundierte Fläche. Das wird sie auch an Heiligabend noch sein. Egal. Wir bauen an zwei Tagen des langen Weihnachtswochenendes 2020 weiter. Die LED-bestückte Tanne erstrahlt im Karton.
„Die Weihnachtszeit geht nach alter Zeitrechnung bis zum 2. Februar“, erklären wir uns. Und: „In Corona-Zeiten und mit Blick auf die Marktbeschicker bleibt der Weihnachtsmarkt als Wintermarkt noch stehen.“ Dann folgen Frühjahr, Sommer und Herbst.

Schnell huscht der Pfarrer aus dem Remigiusbräu-Keller zum Pfarrhaus. © Uwe von Schirp
In den Kisten liegen Wochenmarktstände, Bierwagen, Buden und Karussell – reichlich Abwechslung für das Geschehen auf dem zentralen Platz in Trembergs Mitte. Denn eines ist seit jeher klar: Eine Modell-(Eisenbahn-)Anlage wird nicht fertig und darf es auch nicht werden. Nur zu fahren hat keinen Reiz.
Tremberg wird weiter wachsen. Und mit ihm seine Kulisse, seine Szenen, seine Geschichten. Beim Bauen treffen wir Vorbereitungen, die Geschichten nicht nur für uns beim Bau zu erzählen, sondern zu teilen. Eine Facebook-Page entsteht, ein Blog ist geplant. Wie lange der Lockdown auch dauert: Tremberg wird ihn überdauern.
Geboren 1964. Dortmunder. Interessiert an Politik, Sport, Kultur, Lokalgeschichte. Nach Wanderjahren verwurzelt im Nordwesten. Schätzt die Menschen, ihre Geschichten und ihre klare Sprache. Erreichbar unter uwe.von-schirp@ruhrnachrichten.de.
