JVA Dortmund

Mindestlohn für Häftlinge: Dortmunder Professorin streitet dafür in Karlsruhe

Wer eine Haftstrafe absitzt, muss in dieser Zeit arbeiten. Bezahlt werden Gefangene schlecht. Eine Dortmunder Professorin setzt sich vor dem Bundesverfassungsgericht für den Mindestlohn ein.

Dortmund

, 15.06.2022 / Lesedauer: 4 min

Wer eine Haftstrafe absitzt ist gesetzlich dazu verpflichtet, zu arbeiten. Diese Gefangenenarbeit wird bezahlt - allerdings mit einem Entgelt, für das wohl sonst kaum jemand arbeiten würde. Eine Dortmunder Professorin streitet aktuell vor dem Bundesverfassungsgericht dafür, dass sich die Bezahlung von Strafgefangenen am gesetzlichen Mindestlohn orientiert.

Professor Dr. Christine Graebsch, Juristin und Kriminologin an der Fachhochschule Dortmund, vertritt einen von zwei Inhaftierten bei einer entsprechenden Verfassungsbeschwerde. „Ich wünsche mir, dass das Gericht deutliche Worte findet, die zumindest die Debatte über die Entlohnung von Gefangenen in Bewegung bringen können“, so Christine Graebsch in einem Interview der FH.

Arbeiten für die Zeit nach der Haft und kleine Einkäufe

Aber wie läuft eigentlich Gefangenenarbeit ab? Ralf Bothge, Leiter der JVA Dortmund, unterscheidet zwei Arten: Häftlinge, die direkt für die Anstalt, also das Land, arbeiten, und Häftlinge, die in der Anstalt für externe Unternehmen arbeiten.

Typische Arbeiten seien beispielsweise die Mithilfe in der Gefängnis-Küche, das Austeilen von Essen und das Putzen der Flure. Für Externe verpacken Gefangene zum Beispiel Waren. „Die Gefangenen wollen arbeiten“, betont Ralf Bothge. „Die wollen gern von ihrer Zelle runter und wollen auch Geld verdienen.“

Von diesem Geld müssen Strafgefangene einen Teil für die Zeit nach der Haft zurücklegen. Den Rest ihres Einkommens können Gefangene für Einkäufe in der JVA ausgeben. „Wer zum Beispiel einen bestimmten Orangensaft, bestimmte Körperpflegeprodukte oder Tabak haben möchte, kann das beim Gefängniskaufmann erwerben“, so Ralf Bothge. Solche Einkäufe seien allerdings gedeckelt auf zweimal 110 Euro pro Monat.

Keine 20 Euro am Tag

Und was bekommen Strafgefangene für ihre Arbeit? Christine Graebsch nennt Stundenlöhne zwischen 1,30 und 2,30 Euro. Zum Vergleich: Der Mindestlohn beträgt 9,82 Euro und steigt zum ersten Juli auf 10,45 Euro.

Ralph Bothge leitet die Dortmunder Justizvollzugsanstalt an der Hamburger Straße. © Oliver Schaper

Ralf Bothge geht für die JVA Dortmund mehr ins Detail. Nach dem Strafvollzugsgesetz errechne sich für das Jahr 2022 eine „Eckvergütung“ von 14,21 Euro pro Tag. Ja nach Qualifikation des Gefangenen könne diese aber erhöht oder verringert werden. So ergebe sich eine Spanne von 10,66 bis 17,77 Euro pro Tag.

Ausgehend von einer wöchentlichen Arbeitszeit von rund 39 Stunden und fünf Arbeitstagen in der Woche, ergibt sich so für die JVA Dortmund ein Stundenlohn zwischen 1,37 und 2,28 Euro. Weit entfernt vom Mindestlohn.

Verrechnung mit Leistungen der JVA

Für den Vorstoß der Inhaftierten habe Ralf Bothge persönlich „gewisse Sympathien“. Allerdings müsse man, wenn sich die Bezahlung von Gefangenen an der Welt außerhalb der JVA orientiere, bei einem entsprechenden Modell auch einbeziehen, was die Gefangenen in der JVA bekommen: Wohnraum, Essen und Zugang zu psychologischer Beratung beispielsweise. „Ich finde, das müsste man dann verrechnen.“ Und möglicherweise könne diese Rechnung sogar zum Nachteil der Gefangenen ausgehen.

Auch Christine Graebsch spricht im Interview diesen Gedanken an: „Stimmt, Sie bekommen ein Bett, eine Toilette in der Zelle und Essen. Aber bei Letzterem haben Sie zum Beispiel keine Auswahl. Außerdem müssen Gefangene für Strom bezahlen, für Telefon, Kaffee und Hygieneartikel oder damit sie ein Fernseh-Leihgerät in der eigenen Zelle nutzen können.“

Einig sind sich die Professorin und der JVA-Leiter, dass die Arbeit im Gefängnis der Resozialisierung dienen soll. „Es ist für viele Gefangene nicht selbstverständlich, für Arbeit Geld zu bekommen und sich davon Dinge zu kaufen“, sagt Ralf Bothge. Auch das Bundesverfassungsgericht hat bereits 1998 das Ziel festgelegt, dass Gefangenenarbeit den Wert von Arbeit für ein straffreies Leben erkennbar machen soll. „Ich habe nie verstanden, wie das jemand bei diesen Löhnen erkennen können soll“, sagt Christine Graebsch.

Die Professorin führt zudem noch einen weiteren Aspekt an: Es sei sinnvoll, wenn Gefangene von ihrem Lohn beispielsweise Opferentschädigungen oder Unterhaltsverpflichtungen selbst zahlen könnten. „Es ist eine andere Erfahrung, wenn das Geld für das Kind vom eigenen Lohn und nicht vom Staat kommt. Vor allem aber entspricht es auch dem Würdegedanken des Grundgesetzes, geleistete Arbeit anzuerkennen“, so Christine Graebsch.

Es geht auch um öffentliches Geld

Prozessbeobachter sehen Anzeichen dafür, dass der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts zumindest etwas am bestehenden System der Bezahlung von Gefangenenarbeit ändern wird. Genaue Vorgaben wird das Gericht aber wohl nicht machen, eher einen Rahmen abstecken.

In die Praxis überführen müssen wird das die Landesregierung. Aus ihrer Kasse werden auch die Löhne für Gefangenenarbeit bezahlt - sofern diese nicht zum relativ geringen Teil der Gefangenen gehören, die in der JVA für ein externes Unternehmen arbeiten. In anderen Worten: Es geht bei dem Urteil am Ende auch um öffentliches Geld. Aber: „Wenn Arbeit ein Faktor der Resozialisierung ist und ebendiese Resozialisierung ein Ziel der Inhaftierung –, dann kann man nicht sagen, das ist uns jetzt zu teuer“, argumentiert Christine Graebsch.

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