Keine Chance, sagten die Kollegen. Die Tagesordnung sei doch voll, für dieses Thema sei keine Zeit mehr. Und überhaupt: Eine Mehrheit gebe es doch sowieso nicht dafür hier im EU-Parlament. „Aber ich habe gesagt: Ich will jetzt diese Abstimmung.“
Es sei ihm um ein Zeichen gegangen, unterstreicht Michael Kauch. Darum dass sich Europa deutlich positioniert gegen dieses Gesetz in Ghana, das die Rechte Homosexueller, dass die freie Meinungsäußerung einschränken soll. Auch damit in Afrika „kein Flächenbrand“ entstehe durch immer mehr Unterdrückungsgesetze in immer mehr Ländern.
„Einzelner kann Unterschied machen“
„Ich habe den Antrag gestellt, ich habe ihn begründet - und ich habe plötzlich eine Zwei-Drittel-Mehrheit dafür gehabt, dass diese Debatte stattfindet.“ Ob die Europäische Union also tatsächlich formulieren soll: Wer Menschenrechte einschränkt, kann das bei der Entwicklungshilfe zu spüren bekommen.
„Das hat mir noch einmal gezeigt, dass der einzelne Abgeordnete im Europäischen Parlament einen Unterschied machen kann“, sagt Kauch. Eine neue Erfahrung für den 57-jährigen Dortmunder, obwohl er das politische Leben doch schon seit Jahrzehnten kennt - und das auf den großen wie den kleinen Ebenen.
Kauch war Bundesvorsitzender der Jungen Liberalen, von 2003 bis 2013 saß er für die FDP im Bundestag. Heute ist er nicht nur Chef der Fraktion von FDP und Bürgerliste im Dortmunder Stadtrat, sondern auch Vorsitzender der Liberalen Schwulen und Lesben in ganz Deutschland. Aus zwei Gründen - Herkunft wie Persönliches - ist ihm das Thema Ghana also wichtig.
Was heißt das für Dortmund?
Dortmund hat just eine Städtepartnerschaft mit der ghanaischen Millionenstadt Kumasi unterzeichnet und die Lokalpolitiker standen im Vorfeld vor der Frage: Was bedeutet das vor dem Hintergrund des drohenden neuen Gesetzes in Ghana? Doch zurück nach Brüssel und Straßburg, zurück ins EU-Parlament, von dem Michael Kauch nur wenige Monate ein Teil war - und in dem er doch nie „Tourist“ sein wollte, wie er verdeutlicht.
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Dortmund, Brandenburg, Saarland
„Ich wollte etwas bewegen“, sagt Kauch an einem Donnerstag im Mai, als er kurz zurück in Dortmund ist. 75 Minuten Zeit hat er, dann steht der nächste Termin an. Die eigentliche Zeit mit den Sitzungen im Europaparlament ist da schon vorbei, nach nur fünf Monaten - auch wenn Kauchs Mandat erst am 16. Juli endet, also nach der Europawahl, wenn sich das Parlament in neuer Zusammensetzung trifft.
Kauch wird dann nicht mehr dabei sein - das steht schon fest. Doch dazu später mehr, erst wieder der Blick in den Terminplan. Zwei „ruhrgebietslastige“ Wochen habe er gerade, danach muss er in andere Teile Deutschlands. Fünf Europaabgeordnete hat die FDP, die müssen sich das Land aufteilen. Kauch ist also auch für Berlin, Brandenburg, Thüringen und das Saarland zuständig. Er muss lachen - ja, das sei auch ein bisschen verrückt irgendwie.
„Sehr familienunfreundlich“
Zum 1. Januar 2024 rückte Kauch nach für Nicola Beer, die Vizepräsidentin der Europäischen Investitionsbank wurde. Seitdem lebe er „tatsächlich etwas aus dem Koffer“, sagt Kauch, „weil man unterschiedliche Standorte hat.“ Brüssel, Straßburg, dann wieder ins Zuhause nach Dortmund - und direkt weiter zum Parteitag nach Berlin. Unternehmen besuchen, sich vernetzen, auch international. „Ich war letzte Woche in Wien und in Görlitz.“
„Die Aufgabe ist extrem reizvoll, aber sehr familienunfreundlich.“ Seiner elfjährigen Tochter habe er ja schon gut erklären können, dass er nun ein paar Monate selten zuhause sei. Aber mit jüngeren Kindern? Wie schwierig das sei, habe er von Kollegen im EU-Parlament gehört - erst recht von denen, die eine Flugreise von der Heimat entfernt seien.

Das Problem als Selbstständiger
Nicht nur, dass der Partner das mittragen müsse. Auch beruflich müsse es passen. Kauch ist selbstständig. Ein halbes Jahr - das habe er überbrücken können: Einigen Kunden habe er eine ehemalige Kollegin empfohlen, in anderen Fällen Projekte nach hinten verlagert. „Aber wenn ich denen aber gesagt hätte, es kann sein, dass ich erst in fünf Jahren wiederkomme – dann hätten sie sich im Zweifelsfall auch jemand anderen gesucht.“
Was in Brüssel geschehe, habe nichts mit dem konkreten Leben der Menschen zu tun? Kauch widerspricht vehement und nennt Beispiele: So wehren sich die deutschen Sparkassen und Volksbanken aktuell dagegen, Teil des europaweiten Finanz-Rettungsschirms zu sein. Ihr Argument: Sie hätten doch untereinander ein eigenes funktionierendes System - und wollen nicht haften, falls Großbanken Riesen-Verluste machen.
Sparkassen und Konsulate
Was das mit Dortmund zu tun hat? Gerade die Volksbanken und Sparkassen seien es doch, die den mittelständischen Unternehmen Kredite geben würden, führt Kauch aus - und bei einem großen Minus könnten sie das nicht mehr zu den Konditionen wie bisher. Oder die Sache mit den Konsulaten, so Kauch weiter.
Wenn ein EU-Bürger irgendwo auf der Welt ausgeflogen werden muss - aus Sicherheitsgründen etwa oder bei einer Notlage wie zur Corona-Zeit - könne er sich nun an irgendein EU-Konsulat wenden, nicht nur an das deutsche. Wenn die deutsche Botschaft 600 Kilometer entfernt sei oder nicht erreichbar, sei das ein kleine, aber wichtiger Schritt. Solche Fälle seien unter anderem in Thailand vorgekommen, erinnert sich der FDP-Politiker.
Rede auf Italienisch
Das EU-Parlament sei „eine Mischung aus Stadtrat und Bundestag“. Zwar gehe es um Gesetze für Millionen Menschen, andererseits gebe es keine festen Mehrheiten - nicht dieses „Regierung gegen Opposition“ wie in Berlin oder im Landtag in Düsseldorf. „Man muss für jedes Vorhaben eigene Mehrheiten suchen.“
Und es ist die Frage: Wen will man denn erreichen mit den eigenen Botschaften? So hielt Kauch einen Teil einer Rede auf Italienisch. Denn Adressatin war die postfaschistische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni - „und ich dachte, das kann man dann im italienischen Social Media besser verwenden“, sagt Kauch und schmunzelt. Ansonsten sei ihm zugute gekommen, dass er neben Deutsch und Italienisch auch „verhandlungssicheres Englisch“ und „einigermaßen Französisch“ spreche.

Kein sicherer Listenplatz
Dennoch wird Kauch das Kapitel Europa in einigen Wochen wieder schließen, nach vielen weiteren Terminen und ein bisschen Wahlkampf. Das liegt einerseits an seiner beruflichen und privaten Situation, andererseits auch am Konkurrenzkampf innerhalb der FDP.
Eine erneute Kandidatur „wäre nur gegangen, wenn der Listenplatz bombensicher gewesen wäre“, erläutert Kauch. Doch nicht nur die FDP-Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann kommt aus NRW. Auf Listenplatz 4 folgt mit Moritz Körner der nächste Kandidat aus diesem Bundesland. Und da die Freien Demokraten aus den anderen Teilen Deutschlands auch vertreten sein wollen, wäre für den Dortmunder Kauch maximal ein Nachrückerplatz herausgesprungen - so wie zuletzt auch.
Das störe ihn nicht, sagt der 57-Jährige. Dann gehe es jetzt eben „zurück auf normal“ - privat, beruflich, politisch, das passe schon. Aber in der kurzen Zeit im EU-Parlament habe er etwas bewegen wollen - „und das hat tatsächlich auch geklappt – im Rahmen, in dem man in wenigen Monaten etwas erreichen kann.“