Restaurants müssen Preise erhöhen Dortmunder Gastronomen in Sorge - „Wir werden Gäste verlieren“

Gastro-Schock nach Ende der Steuersenkung: „Wir werden Gäste verlieren“
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Für einen normalen Mittwochabend ist es auf dem Parkplatz des Restaurants Dieckmann‘s an der Wittbräucker Straße im Dortmunder Süden relativ voll. Das Restaurant ist gut besucht, man bekommt aber noch einen Tisch. „Auch wenn viele Gäste da sind“, sagt der Chef Detlef Lotte, „auf dem Niveau von 2019 sind wir insgesamt noch längst nicht. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Speisen, die zum 1. Januar wohl kommen wird, trifft uns und vor allem die vielen kleineren Betriebe sehr.“

Die Ampel-Regierung in Berlin hat beschlossen, was von Gastronomen und dem Deutschen Hotel- und Gaststättenverband Dehoga schon im Sommer befürchtet wurde. Statt der derzeitigen Mehrwertsteuer von sieben Prozent, müssen auf Speisen demnächst wieder 19 Prozent an das Finanzamt abgeführt werden.

Die Haushaltsberatung inklusive der Entscheidung im Bundestag darüber ist zwar wegen des 60-Milliarden-Euro-Lochs im aktuellen Bundeshaushalt aufgeschoben worden, der Sparzwang für die Politik ist aber nicht kleiner, sondern deutlich größer geworden. Es ist davon auszugehen, dass die Corona-Hilfe für die Gastronomie, die 2020 eingeführt und dann wegen der Energiekrise nach dem Kriegsbeginn in der Ukraine bis Ende 2023 verlängert wurde, beendet wird.

Das Umsatztief hält an

„Der Bundeskanzler hat allerdings war anderes versprochen und zugesagt den reduzierten Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent beizubehalten. Leider kann man daraus keinen Rechtsanspruch ableiten. Jetzt tritt der Schadensfall ein, der viele Gastronomiebetriebe an den Rand ihrer Existenz bringen wird“, sagt Detlef Lotte. Der 69-Jährige ist einer der erfahrensten Dortmunder Gastronomen und betreibt neben Dieckmann‘s auch das Bistro „Schönes Leben“ im Kreuzviertel.

Aktuelle Zahlen des Statistischen Bundesamtes belegen, dass die Branche nach Corona noch nicht aus der Krise gekommen ist. Der Umsatz lag im September preisbereinigt immer noch 12,6 Prozent unter dem Wert von 2019.

„Wir haben keine Luft. Die Personalkosten, Energiekosten und die Preise beim Wareneinkauf sind deutlich gestiegen. Und mit unseren Preisen sind wir am Anschlag. Wir merken, dass die Leute weniger Trinkgeld geben, auf eine Vor- oder Nachspeise und das dritte Pils verzichten. Mit der Mehrwertsteuererhöhung werden wir nochmal weniger Umsatz machen - und das bei erhöhten Kosten“, so Detlef Lotte.

Dass jetzt einige Gastronomievereinigungen für Montag (27.11.) alle Gastronomen aufrufen, ihre Lokale wenigstens zeitweise zu schließen, ist für ihn keine gute Idee. „Den Protest über eine Schließung zu machen, bringt doch nichts, da ist die Wirkung nicht groß. Wenn dann müssten Gastronomen und Gäste gemeinsam einen Protest organisieren“, sagt Detlef Lotte.

„Haben dann keine Gäste mehr“

Susanne Eckardt, die mit ihren Kindern Felix und Julia, in Dortmund die drei Pfefferkorn-Restaurants am Hohen Wall, am Alten Markt und am Phoenix-See betreibt, pflichtet ihm bei: „Wir brauchen jeden Cent. Wenn wir aus Protest schließen, schneiden wir uns doch ins eigene Fleisch.“

Auch sie fürchtet aber dramatische Auswirkungen. „Die Differenz von zwölf Prozentpunkten können wir nicht auffangen. Wir sind preislich am oberen Limit. Wir haben jetzt schon weniger Gäste als 2019. Und es gab sehr viel Kritik wegen der nach Corona deutlich gestiegenen Preise. Trotzdem ist unser Gewinn um 20 bis 25 Prozent geschrumpft. Wenn wir aber jetzt nochmal die Preise erhöhen, haben wir keine Gäste mehr.“

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, begrüßt das Ende des Steuerprivilegs für die Gastronomie.
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, begrüßt das Ende des Steuerprivilegs für die Gastronomie. © dpa

Mit ihren Beschäftigten und auch den Lieferanten möchte sich Susanne Eckardt bald an einen Tisch setzen, um über Kostenreduzierungen und vielleicht eine Änderung der Speisekarte nachzudenken. „Fest steht, dass wir nicht an der Qualität sparen können. Und auch die Portionen können wir nicht kleiner machen. Das geht nicht“, sagt sie. „Nein“, sagt auch Detlef Lotte, „wir müssen die Leute ja satt machen.“

Für Susanne Eckardt könnte es ein Weg aus dem Dilemma sein, als Gegengewicht zu den hochpreisigen Gerichten mit Steak oder edlem Fisch das Angebot im unteren Preissegment zu erweitern.

„Mit den Preiserhöhungen“, sagt Detlef Lotte, „werden wir auf jeden Fall Gäste verlieren, die dann beispielsweise nur noch zweimal statt dreimal im Monat essen gehen, weil ein Kalbschnitzel an die 29 Euro statt 26 Euro kostet. Das ist viel Geld, aber den Bestseller von der Karte zu nehmen, ist auch schwierig.“

„Senkung für Besserverdiener“

Der Wirtschaftswissenschaftler Marcel Fratzscher erwartet eine Erhöhung der Restaurantpreise um durchschnittlich zehn Prozent. Außerdem begrüßt der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) die Rückkehr zum normalen Mehrwertsteuersatz in der Gastronomie.

Dies begründete er gegenüber dem „Spiegel“ so: Die Senkung sei teuer, und das Geld fehle für die Kindergrundsicherung oder die Bekämpfung von Armut. Außerdem: „Es ist eine Steuersenkung, die vor allem Besserverdienern zugutekommt, und keine sozial ausgewogene Entlastung.“

Selvi Aksünger vom Café Rot an der Robert-Koch-Straße in Dortmund sagt: „Die Politik hat großen Mist gebaut.“
Selvi Aksünger vom Café Rot an der Robert-Koch-Straße in der Innenstadt sagt: „Die Politik hat großen Mist gebaut.“ © Stephan Schütze (Archiv)

Selvi Aksünger vom Café Rot an der Robert-Koch-Straße hält dagegen. „12 Prozent mehr für ein Frühstück oder ein Stück Kuchen, das ich anbiete, ist ein ordentlicher Preisanstieg. Und zu mir kommen nicht nur Besserverdiener. Bald muss ich dann fünf Euro für ein Stück dreischichtigen Kuchen nehmen. Das ist doch Wahnsinn! Und ich verdiene noch nicht einmal etwas daran. Außerdem: die 19 Prozent Mehrwertsteuer gelten dann nur für den Verzehr im Lokal. Für Speisen, die abgeholt werden, gelten weiter sieben Prozent. Ist es nachhaltiger, Verpackungen rauszugeben?“

Den Umweltschutzaspekt sieht man beim Dachverband Dehoga NRW genauso. „Die sieben Prozent haben eine Gerechtigkeitslücke geschlossen. Aktuell wird ein im Restaurant frisch zubereitetes Essen auf dem Porzellanteller im Vergleich zum verpackten Essen beim Lieferservice oder zu den Fertiggerichten aus dem Supermarkt steuerlich gleichbehandelt. Dass das so bleibt, dafür kämpfen wir“, sagt Thorsten Hellwig, der Pressesprecher bei Dehoga NRW.

Über 2000 Gastro-Schließungen

Auch wenn es nur ein Strohhalm sei, an den man sich jetzt noch klammere, aber man versuche bis zum Schluss, bis zur endgültigen Abstimmung im Bundestag die Mehrwertsteuererhöhung noch abzuwenden. Denn die Auswirkungen seien verheerend. „Wir befürchten deutlich mehr Schließungen von Gastro-Betrieben. Nach den 6000 Geschäftsaufgaben während der Corona-Pandemie rechnen wir in NRW noch einmal mit 2000 bis 2500 Schließungen“, sagt Thorsten Hellwig.

Er verweist darauf, dass Corona immer noch nachwirke. Das Umsatztief - verglichen mit 2019 - halte an, Rücklagen seien aber nach Corona vielfach nicht mehr da und häufig müssten sogar noch Corona-Darlehen zurückbezahlt werden. „Wenn mit der Aufhebung der Mehrwertsteuersenkung die Preise angehoben werden müssen, weil der Kostenapparat gleich bleibt, wird weniger konsumiert werden und Betriebe werden schließen müssen. Damit ist dann auch das Steuergeld, das zur Unterstützung und Rettung von Gastronomiebetrieben eingesetzt wurde, verloren“, so Thorsten Hellwig.

Was aus Sicht der Gastronomie verloren zu gehen droht, wenn 2024 das Steuerprivileg wieder fällt, formuliert keiner so plakativ wie Detlef Lotte: „Es geht um das Wohnzimmer Deutschlands. Wollen wir das in Gefahr bringen? Wir verlieren ein stückweit Kultur, wenn immer mehr Restaurants verschwinden. Kann das im Sinne des Staates sein?“ Nein, sagt er, und wünscht sich, dass die Politik ein Einsehen hat. Damit der Parkplatz vor seinem Dieckmann‘s und allen anderen Restaurants in der Republik auch weiterhin an einem ganz normalen Mittwochabend gut besetzt ist und die Leute essen gehen.

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