Weißes Hemd und blauer Anzug. Die Haare akkurat gestylt. „Den Kaffee schwarz, bitte.“ Das also ist er: Martin Cremer, jener Kandidat, der sich zutraut, auch ohne Parteibuch dem amtierenden SPD-OB Westphal das Amt streitig zu machen. Und, wenn alles gut läuft, nach der Wahl im September 2025 als neuer Dortmunder OB ins Rathaus zu ziehen. Kann das funktionieren? Seine Kandidatur jedenfalls hat bei den Parteien für Überraschung gesorgt. „Martin Cremer? Kenn’ ich nicht, wer ist das?“, hieß es anfangs bei den Grünen. „Er hat keine Partei im Rücken, keine schlagkräftige Organisation. Also keine Chance“, klingt es aus der CDU.

Natürlich hat Cremer mit solchen Reaktionen gerechnet. „Politisch interessiert war ich immer, habe mich aber bewusst nie in einer Partei engagiert“, sagt er. Cremer sieht sich als Dortmunder durch und durch. Er wohnt im Dortmunder Süden (Stadtbezirk Hombruch), ist verheiratet und dreifacher Familienvater. Nach seinem Abitur am Stadtgymnasium folgte das Betriebswirtschaftsstudium an der Münsteraner Wilhelms-Universität, die er als fertiger Dipl-Kaufmann verließ.
„Unglaubliche Unzufriedenheit“
Martin Cremer ist entfernt verwandt mit der Dortmunder Brauereifamilie Cremer, Inhaber der früheren Thier-Brauerei. In der Brauwirtschaft selbst war er aber nicht tätig. Er arbeitet als freiberuflicher Unternehmensberater. Zuvor hatte er mehrere Führungspositionen inne und war unter anderem als Geschäftsführer verschiedener Unternehmen bei Lensingmedia tätig, zu Lensingmedia gehören auch die Ruhr Nachrichten. Seit 2022 sitzt er im Aufsichtsrat von Wilo, einem der größten und bedeutendsten Unternehmen in Dortmund. Sein Werdegang veranlasst ihn prompt zu einer Klarstellung: Ja, sein beruflicher Hintergrund sei die Privatwirtschaft. „Aber ich bin nicht der Kandidat der Dortmunder Wirtschaft“, sagt Cremer. „Ich bin der Kandidat der Dortmunder.“
Was ihn bewogen habe, nach dem OB-Amt zu greifen? Er habe in vielen Gesprächen mit Freunden, Bekannten und Menschen aus unterschiedlichsten Schichten „eine unglaubliche Unzufriedenheit“ festgestellt, sagt er. Sowohl mit den Zuständen auf Bundesebene als auch mit denen in Dortmund. „Die Aussagen sind immer extremer geworden“, schildert Cremer. Da es aus der bürgerlichen Mitte heraus aber keine Bereitschaft für eine Kandidatur gegeben habe, habe er im November 2024 entschieden, sich „selbst als Alternative zur Alternative anzubieten“, wie er sich ausdrückt.
Cremer vermeidet es, einen Namen zu nennen. Klar ist aber, dass er damit in direkter Konkurrenz zu CDU-OB-Kandidat Alexander Kalouti tritt. Im Kampf ums OB-Amt sind beide auf Stimmen aus dem bürgerlichen Lager zwingend angewiesen. Auffallend: Einen direkten Seitenhieb gegen einen seiner Mitbewerber aber spart Cremer im Verlauf des Gesprächs aus.
„Meilenweit von AfD entfernt“
Ihn ärgert, dass „in Dortmund nichts vorangeht“, wie er es in seiner kürzlich präsentierten Video-Botschaft formuliert. Jetzt aber, am Tisch sitzend, wird er an einigen Stellen präziser, ohne sich in Details zu verlieren. Beispiel City: „Wir haben ein Sicherheitsproblem“, konstatiert er. Es könne nicht sein, dass sich Besucher der Dortmunder City „am Wohlbefinden der Drogenszene auszurichten“ hätten. Wenn eine Stadt ein Umfeld für Drogenkonsum schaffe, so Cremer, befeuere sie letztlich nur das Geschäftsmodell der Dealer. Gegen die, sagt er, müsse deutlich härter vorgegangen werden. Die vor Kurzem geführte, aber längst nicht ausgestandene Diskussion über die Verlegung des Drogenkonsumraums („Cafe Kick“) vom Grafenhof zur Küpferstraße hat er eher mit Kopfschütteln verfolgt.
Vielmehr fragt er, wo eigentlich geschrieben stehe, dass eine Stadt einen Drogenkonsumraum haben müsse? Man müsse sich darüber klar werden, was Dortmund wolle. „Ist es unser Ziel, ein gepflegtes und sicheres Umfeld zu haben – oder ist es unser Ziel, möglichst viele Knöllchen zu schreiben?“ Wohl ahnend, dass er damit Kritik auf sich ziehen und seine Aussagen als „populistisch“ abgestempelt werden könnten, fügt er sofort an: „Von der AfD bin ich meilenweit entfernt.“
Es ist ja nicht allein das City-Thema, das ihn umtreibt. Auch die „aufgeblähte Bürokratie“ in der Verwaltung hat er als Hemmnis ausgemacht. Die Abläufe müssten effizienter und damit schneller werden, meint Cremer. Er nennt ein Beispiel: Warum müsse bei einem Bauprojekt extra nochmal ein Statiker vor Ort prüfen, wenn die Statik doch zuvor von einem staatlich anerkannten Ingenieur berechnet worden sei? Könne eine Plausibilitätsprüfung nicht auch reichen? Und überhaupt: „Bauanträge müssten spätestens innerhalb von drei Monaten entschieden sein“, findet Cremer. Er sei überzeugt, dass es in vielen Teilen der Verwaltung Ermessensspielraum zugunsten des Bürgers gebe. Der werde aber kaum genutzt. „Warum nicht?“, fragt Cremer.
Er braucht 450 Unterschriften
Der Teufel steckt immer im Detail, das weiß er. Und er weiß auch, dass OB Westphal als oberster Chef der Stadtverwaltung gegenüber ihm in vielen Fragen einen nicht unerheblichen Wissensvorsprung haben dürfte. Deshalb arbeitet er sich ein. Er führt an, dass für die Reparatur der Straßen ein Gesamtbetrag von 25 Millionen Euro für die Jahre 2025/2026 vorgesehen sei. „Und das bei einem Sanierungsstau von insgesamt 570 Millionen Euro“, sagt Cremer.

Da könne man sich das Ergebnis der aktuellen „Straßenoffensive“ leicht ausrechnen: Der Verfall werde nicht gestoppt, sondern bestenfalls verlangsamt. Straßen, Schulen, städtische Gebäude, Bäder und Leitungsnetze: „Man hat das Gefühl, um Dortmunds Infrastruktur ist es schlechter bestellt als in den 80er Jahren“, sagt Cremer.
Er nimmt einen Schluck Kaffee. Seine Botschaften verkauft er schnörkellos, klar und flüssig. Man nimmt ihm ab, dass er seine Kandidatur ernst meint. Warum er sich zutraue, eine Verwaltung mit 11.000 Mitarbeitern zu führen? Antwort: Er habe in seinem Berufsleben in unternehmerischer Verantwortung ebenfalls größere Mitarbeiterstäbe geleitet. Im Übrigen: Wieviele Mitarbeiter habe denn Westphal als Wirtschaftsförderer der Metropole Ruhr geleitet, bevor er 2013 in die Dortmunder Stadtverwaltung gewechselt sei? „Auf den Führungsstil kommt es an“, meint Cremer, der sich selbst als „fröhlichen, geselligen und strategisch denkenden Menschen“ bezeichnet.
Fragen weicht er selten aus, bleibt aber hier und da etwas unscharf: etwa bei dem Punkt, auf welchen Unterstützerkreis er sich verlassen wolle. An den 450 Unterschriften, die er als parteiloser Kandidat bis Anfang Juli vorlegen muss, werde es jedenfalls nicht scheitern. Aber ein OB-Wahlkampf kostet Geld, viel Geld. Zumal Cremer zwei Agenturen (aus Dortmund und Berlin) beauftragt hat und ein Wahlkampf- bzw. Organisationsteam zusammenstellt. Gibt es Zusagen für Spenden von Privatpersonen aus der Dortmunder Wirtschaft, wie kolportiert wird? Cremer schweigt dazu.
„Ich kann überparteilich agieren“
Kommt das Gespräch auf die vermeintlichen Wählerstimmen, verweist er auf die niedrige Beteiligung von gerade 47,05 Prozent bei der Dortmunder OB-Wahl 2020. Da sieht er Potenzial, das es zu aktivieren gelte. Jenen, die damals zuhause geblieben sind, will er sich ganz bewusst als parteiloser Bewerber anbieten – als Alternative zu allen anderen OB-Kandidaten, die an die Programme ihrer politischen Organisationen gebunden seien. „Parteien“, sagt Cremer, „nehmen immer nur ihre eigene Wählerklientel in den Blick.“
Er nicht. Er als Parteiloser, das ist seine Botschaft, sei an kein Programm gebunden und könne frei agieren. Als „überparteilicher OB“ könne er zwischen den Ratsfraktionen besser moderieren als jemand, der an Parteiprogramme gebunden sei, sagt Cremer. Seinen Status sieht er eher als Chance denn als Hindernis. Er verweist auf den Mainzer OB Nino Haase. Der war 2023 ebenfalls als parteiloser Kandidat angetreten und holte bei der Stichwahl 63,6 Prozent der Stimmen. Unterstützt wurde er dabei lediglich von der ÖPD (Ökologisch-Demokratische Partei) und den Freien Wählern. Derlei Beispiele machen Cremer Mut. Ende April/Anfang Mai will er eine „erste Bekanntheitskampage“ in Dortmund starten. Wie die aussieht will er in Kürze bekanntgeben.
Nach drei Stunden sind die Kaffeetassen leer, das Gespräch geht zuende. Martin Cremer steht auf, er hat noch viel zu tun. Die Suche nach einem geeigneten Wahlkampfbüro, das er finden muss, dürfte noch das Leichteste sein.