
© Stephan Schütze
Kampf um Sterbehilfe: Fünf schwerkranke Menschen klagen in Münster
Sterben in Würde
Das OVG Münster verhandelt darüber, ob Schwerkranken der Zugang zu einem Betäubungsmittel verweigert werden darf. Der Marler Helmut Feldmann (75) kämpft vor dem EUGH für ein Gesetz.
Der schwerkranke Marler Helmut Feldmann will, dass der Auftrag der Verfassungsrichter in Karlsruhe, ein neues Gesetz zur Sterbehilfe zu schaffen, zwei Jahre nach dem Urteil endlich umgesetzt wird und zieht vor den Europäischen Gerichtshof.
In Münster haben jetzt fünf schwerkranke Menschen vor dem Oberverwaltungsgericht Klage eingereicht. Sie wollen den Zugang zu dem Betäubungsmittel Natrium Pentobarbital erstreiten, dass zur Selbsttötung eingesetzt wird. Die Verhandlung findet an diesem Mittwoch (2. Februar) in Münster statt.
Kampf für ein selbstbestimmtes Leben
Unsere bisherige Berichterstattung: Helmut Feldmann, der bei seiner Tochter in Marl lebt, leidet an der Lungenkrankheit COPD. Er fürchtet, daran qualvoll zu ersticken - so wie vor Jahren seine Schwester. Deshalb wehrt Helmut Feldmann sich dagegen, dass andere entscheiden, was er ertragen muss: „Jemand, der noch nie eine Luftnotattacke erlebt hat, kann sich nicht vorstellen, was das bedeutet.“
Seit Jahren kämpft Helmut Feldmann für ein selbstbestimmtes Leben und Sterben - trotz gesundheitlicher Rückschläge. Zwei Lungenentzündungen hat der Marler, der früher in Dortmund lebte und sich dort im Awo-Vorstand stark engagierte, kürzlich überstanden. Wenn das Leben für ihn unerträglich wird, will er den Verein Sterbehilfe Deutschland, in dem er Mitglied ist, anrufen, das Betäubungsmittel Pentobarbital abholen (lassen), sich von seinen Lieben verabschieden und gehen.
Bis zum 26. Februar 2020 hatte er nicht das Recht dazu gehabt. Doch an diesem Tag hat Helmut Feldmann das Recht auf Sterbehilfe vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe erstritten: Unter strengen Voraussetzungen erlaubten die Richter die geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid. Daraus leitet sich die Aufgabe der Politik ab, einen rechtlichen Rahmen zu schaffen und das Betäubungsmittelgesetz im Sinne des Urteils zu ändern.
„Aber zwei Jahre später hat der Bundestag immer noch kein neues Rahmengesetz in Angriff genommen“, kritisiert Helmut Feldmann. „Und das alte Betäubungsmittelgesetz wurde nicht aufgehoben.“
Karl Lauterbach unterstützt den schwerkranken RentnerVersuche dazu gab es: Vor einem Jahr gewann der Marler Karl Lauterbach als Verbündeten. Der Gesundheitsminister, damals noch SPD-Bundestagsabgeordneter, brachte mit Kolleginnen der FDP, Linken und Grünen einen interfraktionellen Gesetzentwurf auf den Weg. Darin wird das „Recht auf Hilfe zur Selbsttötung“ und das „Recht zur Hilfeleistung“ geregelt: Betroffene sollen nach Beratungs-Gesprächen mit ihrem Hausarzt und einem Psychologen oder einer sozialpädagogischen Fachkraft Sterbehilfe in Anspruch nehmen können. Voraussetzung: Der ausdrückliche Wunsch nach Sterbehilfe und das Beratungsgespräch werden dokumentiert.
Doch die Gesetzes-Initiative wurde ausgebremst. „Für mich ist das unterlassene Hilfeleistung und Körperverletzung“, erklärt Helmut Feldmann: „Hier werden Menschen ignoriert, die qualvoll leiden und nicht sterben können. Solche Menschen rufen mich auch oft an. Das geht mir nahe. Die CDU/CSU blockiert dieses Thema im Bundestag. Das verstößt gegen die Menschenwürde, ist ein klarer Rechtsbruch. Es kann nicht sein, dass es drei Jahre dauert, ein Gesetz zu ändern.“
Deshalb zieht der Rentner nun vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Er hat Strafanzeige gegen den Deutschen Bundestag erhoben. Seine Anwälte hielten dieses Vorgehen für aussichtsreich, sagt Helmut Feldmann.
Unterdessen unternehmen Bundestagsabgeordnete in dieser Wahlperiode einen neuen Anlauf. Der Bundespressekonferenz soll am Donnerstag ein neuer Sterbehilfe-Gesetzentwurf vorgestellt werden.
Rückenwind gibt Helmut Feldmann ein Beschluss des Deutschen Ärztetags. Er hat mit großer Mehrheit das berufsrechtliche Verbot der ärztlichen Suizidbeihilfe gestrichen. Ärzte dürfen nun unter bestimmten Voraussetzungen Sterbehilfe leisten, ohne persönliche Konsequenzen fürchten zu müssen.
Viele Mediziner lehnen das trotzdem ab, berichtet Helmut Feldmann. Denn solange das Betäubungsmittelgesetz noch gilt, dürfen Ärzte Pentobarbital nicht verschreiben. Sterbehilfe-Verbände bezögen das Medikament aber legal aus der Schweiz. Helmut Feldmann: „Das versteht keiner.“ Seinen Kampf für ein Leben und Sterben in Würde will der Marler trotz der vielen Hürden nicht aufgeben.
Heinz-Peter Mohr schreibt seit 1991 als Redakteur der Marler Lokalredaktion Berichte, Analysen und Kommentare über Politik- und Kulturthemen. Sein Politikstudium an der Uni Münster beendete er 1988 mit einer Magisterarbeit über Experimente der Stadt Rotterdam mit Demokratie-Modellen. Als Redakteur in Marl veröffentlichte er die Serien "50 Tage ohne Auto" und "Eine Stadt gegen Gewalt". Nach seinen Recherchen über belastetes Brunnenwasser wurden 46 Brunnenbesitzer vom Bergwerkskonzern RAG entschädigt. Von Anfang an berichtete er über den Grimme-Preis – und schaut auch privat gern gutes Fernsehen und Kino.