Ein Leben ohne Kneipe wäre „tödlich langweilig“ Wirte-Ehepaar ist Psychologe und Notfallchirurg

Traditionskneipe in Huckarde: „Wirt sein, ist ein Herzensjob“
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Die Marktschänke ist für viele Menschen in Huckarde kaum wegzudenken. Seit 1982 ist die Kneipe in der Nähe des Huckarder Marktplatzes zu finden. Erst betrieb seine Mutter den Laden, dann seine Schwester: 2014 übernahm schließlich Michael Wicke die Marktschänke. Auch seine Frau Julia ließ ihren Job hinter sich und widmet sich seither voll und ganz der Kneipe.

„Wir machen das jetzt seit zehn Jahren mit Herz und Seele. Der Laden ist unser Baby. Alles, was wir denken und reden – es dreht sich alles um den Laden“, erzählt Julia Wicke. Die Marktschänke ist der Mittelpunkt ihres Lebens: auch deshalb, weil das Ehepaar direkt über der Kneipe wohnt. Der Haustürschlüssel ist gleichzeitig der Ladenschlüssel.

Auch privat ist Michael Wicke daher immer ein wenig Wirt. Selbst wenn er kurz in den Keller gehen möchte, erkundigt sich seine Frau, wann er denn wiederkommt. „Er kommt und kommt dann nicht wieder, weil er sich auf dem Weg nach unten mit den Gästen verquatscht hat. Da merke ich: Das ist für ihn ein Herzensjob“, erzählt die 56-Jährige.

Stehen Michael und Julia Wicke an der Theke, geht es aber nicht allein darum, Getränke oder Essen auszugeben. Ihr Beruf lebt vom Kontakt mit den Menschen, die die Marktschänke besuchen. „Hinter dem Tresen ist man nicht nur Wirt. Man ist Papst, Vertrauter, Psychologe, Eheberater – sogar Notfallchirurg – und alles in einer Person“, sagt das Wirtspaar. Einmal half Michael Wicke tatsächlich einem Klempner, den Metallspan einer Schraube aus dem Finger zu entfernen: auf den Tresen, Span raus, ein bisschen Korn oder Wodka darauf, dann ein Pflaster und zurück zur Baustelle.

Wenn die Lampe leuchtet

Wenn jemand nicht zum Arzt, sondern in die Kneipe geht, muss die Marktschänke auch für die Gäste etwas Besonderes sein. „Das ist keine normale Kneipe, wo nur gesoffen oder geraucht wird und jeder spricht nur über die Zeche oder Fußball“, erzählt Julia Wicke. „Männer wie Frauen sitzen hier und unterhalten sich zum Beispiel über irgendwelche Kochrezepte. Man kann hier mittags um 12 Uhr vorbeigehen, sich hinsetzen, ein wenig knobeln und Spaß haben.“ Auch viele alleinstehende Frauen treffen sich regelmäßig zum Frühstück, das die Kneipe wochentags um 8 Uhr anbietet. Mit Wasser statt Alkohol genießen sie die gemeinsame Zeit.

Als Wirte kommt das Ehepaar Wicke selbst regelmäßig mit Alkohol in Kontakt. Sie geben jedoch Acht, nicht zu früh und zu viel zu trinken. „Wenn ich morgens um 8 Uhr den Laden aufmache, kann ich nicht um 9 den ersten Korn trinken. Früher war das Standard, aber eigentlich kann man sich das nicht erlauben“, sagt Michael Wicke. Wenn die Gäste jedoch abends in guter Stimmung sind und dem gesamten Thekenteam ein Getränk ausgeben, trinken sie auch.

Die Zusammenarbeit im Team ist dabei entscheidend. „Wir müssen als Team zusammen trinken können. Auch wenn die Lampe leuchtet, müssen wir alles hinbekommen – ob es Kassieren, Bedienen oder Zapfen ist“, erzählt Julia Wicke.

Zusammen mit ihren vier Mitarbeiterinnen, darunter eins der fünf Kinder des Paares, macht es das Ehepaar Wicke möglich, dass die Marktschänke jeden Tag für die Gäste öffnen kann. Nur am ersten Weihnachtsfeiertag bleibt die Kneipe geschlossen. Sogar als die Wirte mit den angestellten Frauen in den Urlaub fuhren: Da übernahmen deren Ehemänner für eine Woche den Laden.

Am 4. Oktober 2014 übernahm Michael Wicke die Marktschänke von seiner Schwester. Das zehnjährige Bestehen feiert die Kneipe am 12. Oktober 2024.
Am 4. Oktober 2014 übernahm Michael Wicke die Marktschänke von seiner Schwester. Das zehnjährige Bestehen feiert die Kneipe am 12. Oktober 2024. © Katrin Popenda

Gute Laune und Gemeinschaft

Denn auch Michael und Julia Wicke haben manchmal einen Tapetenwechsel nötig. Wie in jedem Job gibt es auch Tage, an denen sie lustlos oder verstimmt sind. „Die größte Herausforderung ist für mich definitiv diese Drecksbüroarbeit“, sagt Michael Wicke. Bei den Gästen an der Theke zu stehen, schätzt er umso mehr. Ohne die Marktschänke zu leben – für Michael Wicke eine seltsame Vorstellung: „Für uns wäre es ganz tödlich langweilig, einfach nur einen Job zu machen.“

Für Michael und Julia Wilke ist die Abwechslung und die Gemeinschaft mit den Gästen das Schönste am Wirt-Sein. Mal sind es Menschen, die sie freudig begrüßen und zu Späßen aufgelegt sind, mal sind es aber auch die Momente, wenn die Gäste plötzlich bei guter Musik mitsingen oder beginnen zu tanzen.

„Viele betiteln unseren Laden als zweites Wohnzimmer. Es gibt Gäste, die jeden Tag kommen und knobeln. Wenn sie krank oder im Urlaub sind, melden sie sich ab, damit wir uns keine Sorgen machen“, erzählt Julia Wicke. Es sind Menschen, die das Ehepaar zehn Jahre ihres Lebens täglich begleitet haben. Sie sehen, wie deren Kinder allmählich groß werden, aber auch ältere sterben. „Wir haben viele verloren“, sagt die 56-Jährige, als spreche sie von ihrer eigenen Familie.

Fernab der Dienstzeiten verabredet sich Familie Wicke auch gern für eine Knobelrunde oder zum Dartspielen mit den Gästen: Dann ist Michael Wicke nicht als Wirt, sondern als guter Kollege dabei. Mit Angeboten wie Dart oder Bingo, gemeinsames Fußballgucken, Partys oder saisonalen Feiern zu Karneval oder Halloween zeigt sich aber auch, dass die Kneipe ein breites Programm bieten muss.

„Früher reichte es, dass das Bier aus dem Zapfhahn kam und der Schnaps daneben stand. Heute muss man mehr machen“, sagt Julia Wicke. Den Menschen mit ihren Angeboten eine Freude zu bereiten, erfüllt die Wirte mit Begeisterung, erzählen sie. Es ist ein Job, den sie lieben und in dem sie aufgehen. Dass man sich mit einer Kneipe „keine goldene Nase“ verdienen könne, stört sie dabei nicht.

Das Wirtspaar hat aber noch mehr in Planung. Wenn der Bauantrag genehmigt wird, übernehmen sie die Räume der anliegenden Post und vergrößern die Kneipe. Da manche Gäste bewusst wenig trinken, weil sie die Treppe zur Toilette nicht gut heruntergehen können, soll der Umbau auch ein ebenerdiges WC mitbringen. Für die Bauarbeiten soll die Kneipe aber so wenig wie nötig schließen.

Am 12. Oktober feiern Michael und Julia Wicke das zehnjährige Bestehen der Marktschänke unter ihrer Führung. An einen Ruhestand denken sie noch lange nicht. „Ich habe immer gesagt: Ich feiere das zehnjährige Jubiläum in Silber und das 20-jährige in Gold“, sagt Julia Wicke. Solange die Gesundheit mitmacht, wollen sie die Kneipe weiterführen.