
© Anna Chatzakis
Mama werden in der Pandemie: „Einsamkeit treibt mich in den Wahnsinn“
Eine Dortmunderin erzählt
Schwangerschaft und Wochenbett: zwei der sensibelsten Phasen im Leben einer Frau. Phasen, in denen Unterstützung gut tut - die Corona-bedingt fehlt. Eine Dortmunderin erzählt, wie belastend das ist.
Noch nie hat Alexandros die Gesichter seiner Großeltern ohne Maske gesehen. Drei Monate ist der kleine Junge alt. „Ich habe schon zu meinen Eltern gesagt: Wenn er euch später ohne Maske sehen wird, wird er erstmal weinen.“
Anna Chatzakis stockt, als sie das erzählt. Vielleicht, weil es eine der eigentlich alltäglichen Situationen ist, die Corona-bedingt eben alles andere als normal sind.
Alexandros ist ein absolutes Wunschkind: So sehr hatte sich seine große Schwester Eleanna ein Geschwisterchen gewünscht. So sehr hatten sich seine Eltern über die Schwangerschaft gefreut. So sehr hatte sich seine Mutter auf eine kuschelige Zeit im Wochenbett eingestellt.
Corona beeinflusst Schwangerschaft und Wochenbett sehr
Die Realität sieht anders aus. Die Freude darüber, dass man nun zu viert ist, ist weiterhin riesig. Aber die Corona-Pandemie trübt das Empfinden über eine Zeitspanne, die man bestenfalls uneingeschränkt genießen können sollte, sehr.
Es beginnt schon während der Schwangerschaft: „Wir haben uns total abgeschottet und keinen Besuch außer der Hebamme empfangen. Auch die Arztbesuche waren schrecklich für mich, mein Mann durfte nicht mitkommen. Bis zum achten Monat konnte ich es überhaupt nicht genießen. Meine Angst war zu stark“, sagt die 39-jährige Dortmunderin.
2018 hat sie während einer Schwangerschaft ein Kind verloren - die Angst davor, dass eine Covid-19-Erkrankung sich auf ihr Baby übertragen könnte, ist groß, sie will keinerlei Risiko eingehen.
Das ändert sich auch nicht, nachdem Alexandros am 19. November per Kaiserschnitt auf die Welt kommt. Drei Wochen hat ihr Mann danach Urlaub, anschließend ist Anna Chatzakis im Wochenbett viel alleine mit ihren Kindern.
Kein Kontakt zu anderen Müttern und deren Babys
Dabei war ihr Plan eigentlich ein ganz anderer: Die Dortmunderin wollte Wochenbett und Elternzeit voll auskosten. Ihre Tochter Eleanna kam vor neun Jahren noch in Griechenland zur Welt.
Die intensive Betreuung durch eine Hebamme, Rückbildungskurse, Babymassagekurse, Krabbelgruppen oder Babyschwimmen - diese Angebote gab es dort nicht. „Ich wollte jetzt ganz viele dieser Dinge nutzen.“
Kontakt zu anderen Müttern mit Säuglingen finden, Freundschaften knüpfen, die Kinder gemeinsam fördern - davon bleibt nun fast nichts. „Ich habe das Gefühl, ganz viel zu verpassen, hinterher zu hängen. Jetzt bin ich in Elternzeit, hätte die Zeit dafür.“
Mit diesem Gefühl ist Anna Chatzakis während der Corona-Pandemie nicht alleine, das bestätigt ihre betreuende Hebamme Christina Ioannidis. „Schwangerschaft und Wochenbett, das sind besondere Situationen, die Sensibilität ist immens. Es ist verständlich, dass sich Frauen da momentan alleingelassen vorkommen.“
Abstand und Kurzbesuche statt Ruhe und viel Zeit
Natürlich betreuen sie und ihre Kolleginnen weiterhin Frauen in der Schwangerschaftsvorsorge und im Wochenbett. Aber wo es normalerweise darum geht, Ruhe zu vermitteln, sich Zeit zu nehmen, müsse man jetzt auf einen schnellen Ablauf drängen, wenn möglich Abstand halten.

Christina Ioannidis arbeitet seit 25 Jahren als Hebamme. © St.-Johannes-Gesellschaft
„Wenn die Hebamme kommt, ist es wie ein Sprint: ganz fix. Sonst hatte man viel mehr Zeit, es war auch Zeit für Zwischenmenschliches. Man ist in einer sehr empfindlichen Phase, hat den Job aufgegeben, die Geburt hinter sich, die Hormone... da tut Verständnis einfach gut“, sagt Anna Chatzakis über das, was eigentlich wichtig wäre, aber jetzt fehlt.
Ein Dilemma, das sich nicht richtig lösen lässt, sagt Christina Ioannidis, die seit über 25 Jahren als Hebamme im Krankenhaus und freiberuflich arbeitet. „Natürlich versuchen wir, das aufzufangen, machen Besuche, dazu kommen ausführliche Telefonate. Aber das ersetzt nicht den intensiven persönlichen Kontakt.“
Austausch mit anderen Müttern fehlt
Parallel zum Umstand, dass viele Kurse gar nicht oder nur online stattfinden, boomen Foren, Facebook-Gruppen etc. „Da steht viel ungefilterter Mist drin und das trägt zu großer Verunsicherung bei“, so die Hebamme.
Anders als in Kursen, Krabbelgruppen und Workshops gebe es hier eben kein Fachpersonal, die eingreifen und Dinge richtigstellen, wenn per Mundpropaganda Geschichten rund um Schwangerschaft und Wochenbett erzählt werden, die falsch sind.
Ein weiteres großes Problem: „Der Austausch mit anderen Schwangeren und Müttern ist überhaupt nicht mehr gegeben.“ Dabei sei es besonders wichtig, sich mit Frauen in derselben Situation zu reden und zu treffen. „Ich bin nicht alleine mit meinen Fragen und Sorgen. Da geht es jemandem genauso“ - dieses Gefühl gebe Frauen viel Halt.
Diesen Austausch, den Kontakt zu anderen Müttern vermisst auch Anna Chatzakis, die sich mit ihrer Familie sehr zurückzieht. Selbst die Großeltern des kleinen Alexandros haben ihn seit der Geburt nur zweimal gesehen: „Das Besuchsverbot gilt bei uns zuhause noch immer. Die Einsamkeit treibt mich zwar in den Wahnsinn. Vielleicht bin ich auch einen Ticken zu vorsichtig. Aber die Situation macht mir einfach Angst.“
Babylotsin hat Tipps zu Beratung und Kursen
- Eine große Unsicherheit von frischgebackenen Eltern nimmt auch Sonja Wollny, Babylotsin im St.-Johannes-Hospital, wahr: „Viele Eltern denken, dass momentan gar nichts geöffnet hat und es überhaupt keine Ansprechpartner gibt. Das stimmt so nicht: Es sind nicht alle Türen zu, es gibt Ansprechpartner.“ Rückbildungskurse finden online statt, Infos gibt es auf den Internetseiten der Elternschulen und bei Hebammen - aus den Kursen können sich weitere Kontakte zu anderen Müttern ergeben, so Wollny. „Man kann sich zum Beispiel zu zweit zum Spazierengehen verabreden.“
- Neben den freiberuflichen Hebammen, die Betreuung während Schwangerschaft und Wochenbett anbieten, seien auch die Familienhebammen des Gesundheitsamtes und der Schwangerschaftsberatungsstellen gute Ansprechpartner. Das Hebammen-Zentrum bietet ebenfalls Hilfe an: Hier können sich Frauen auch vor Ort betreuen lassen, beispielsweise, wenn sie Corona-bedingt niemanden in die eigene Wohnung lassen möchten. Auch die Schwangerschaftsberatungsstellen sind weiter für Schwangere und Eltern da: „Da wird vieles über Videotelefonie angeboten.“
- Wollny selbst gibt Eltern ebenfalls Tipps, wo man bei Fragen, Unsicherheiten und Ängsten Hilfe bekommt. Sie kann auch helfen, wenn beispielsweise etwas bei der Erstausstattung fehlt: „Die Kleiderkammern sind zwar geschlossen, aber ich kann dort vermitteln. Dann können die Sachen nach Absprache Corona-konform abgeholt werden.“
1983 im Münsterland geboren, seit 2010 im Ruhrpott zuhause und für die Ruhr Nachrichten unterwegs. Ich liebe es, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, Fragen zu stellen und vor allem: zuzuhören.
