Kuriose Meldungen über Lütgendortmund von 1902 Geklaute Tauben, Besoffene und Bahn-Ärger

Kurz notiert – Kuriose Meldungen aus dem Dezember 1902
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Was kann man tun, wenn man etwas über die Vergangenheit einer Stadt herausfinden will? Man könnte mir älteren Bewohnern sprechen, aber auch deren Gedächtnis reicht nur einige Jahrzehnte in die Vergangenheit. Man kann natürlich auch dicke Wälzer lesen oder Museen besuchen, doch es gibt noch eine weitere durchaus erheiternder Art und Weise mehr über die Geschichte eines Stadtteils wie Lütgendortmund zu erfahren: die Zeitung. Genauer gesagt die kleinen Meldungen und Notizen in der Zeitung, die uns noch heute viel über die kleinen Sorgen und Nöte des Alltags verraten.

Das Zeitungsportal zeit.punktNRW sammelt historische Zeitungen aus NRW online, darunter auch etliche Ausgaben der „Amts Zeitung“ für Lütgendortmund. Zu den ältesten Ausgaben zählen die aus dem Jahr 1902. Zweimal in der Woche, am Dienstag und am Freitag, ist dieses Blatt erschienen als „amtliches Organ“ für die Gemeinden des Amtes Lütgendortmund. Gefüllt mit internationalen Nachrichten, Ankündigungen, Werbungen – und besagten kleinen Meldungen.

Aber wie sah ein Monat in Lütgendortmund 1902 denn nun aus? Wir haben die November- und Dezember-Ausgaben des Amtsblattes von vor 122 Jahren studiert, auf der Suche nach den besonderen kleinen Nachrichten.

Die Themen haben sich nach mehr als 120 Jahren kaum geändert. Es geht um Bahnen, Kriminalität, das Wetter. Ende 1902 wurde die neue elektrische Straßenbahn in Lütgendortmund in Betrieb genommen. Ein Ereignis, das fast in jeder Aufgabe auftaucht.

„Lütgendortmund. 24. Nov. Am vergangenen Freitag fanden auf der neuen Strecke der elektrischen Straßenbahn Lütgendortmund-Amtshaus-Brunholt Probefahrten statt, die, wie wir hören, befriedigend ausgefallen sind. Angenehm fallen die schmucken neuen Wagen auf, die mit Drehachsen versehen sind. Es hat nun noch die landespolizeiliche Abnahme stattzufinden, worauf der Tag der Eröffnung festgesetzt werden kann. Die bisherige Omnibusverbindung Specht-Bahnhof-Süd soll vorläufig beibehalten werden, und zwar geht die Fahrt jetzt über die Wilhelm-Bahnhofstraße.“

Die Sprache hat sich seit 1900 doch ziemlich verändert, gerade wenn es um Minderheiten oder Erkrankungen geht. Was das Ergebnis der angekündigten Erhebung war, wissen wir leider nicht.

„Lütgendortmund, 22. Nov. Die Anzahl der Geisteskranken hat in den letzten Jahren derartig zugenommen, dass die Regierung die Gemeinden angewiesen hat, Erhebungen über die Unterbringung dieser Kranken zu veranstalten.“

Keine Bilder, alte Schrift und viel Text - so sah die Zeitung nach der Jahrhundertwende aus.
Keine Bilder, alte Schrift und viel Text - so sah die Zeitung nach der Jahrhundertwende aus. © Zeitungsportal zeit.punktNRW

Betrunkene, die Nachts durch die Straßen geirrt sind, gab es auch damals schon. Anders als heute hatte man damals aber kein Problem damit, die Namen der Unglücklichen zu veröffentlichen.

„Lütgendortmund. 27. Nov. Vor dem Tode des Erfrierens wurde gestern der Maurer Eduard Schneider durch das Eingreifen der hiesigen Polizei bewahrt. Er wurde gestern Nachmittag gegen 4 Uhr in der Nähe der Somborner Grenze schwer betrunken und schlafend auf freiem Felde aufgefunden. In seiner Trunkenheit hatte er sich den Rock ausgezogen und ihn sich auf den Kopf gelegt. Bei seiner Auffindung war er bereits steif gefroren und musste mittelst Wagens nach dem Polizeigewahrsam geschafft werden. Heute Vormittag wurde er nach Ausnüchterung wieder entlassen.“

1902 war der Deutsch-Französische Krieg noch kein verblasstes Ereignis in den Geschichtsbüchern, sondern gerade mal 30 Jahre her.

Lütgendortmund. 28. Nov. Heute Abend findet in Dortmund, Restaurant Klöpper, Westwall, die alljährliche Gedenkfeier der Schlacht von Beaune la Rolande statt. Vielen sind diese festlichen Zusammenkünfte der alten und jungen Hacketäuer in warmer Erinnerung und auch der heutige Abend verspricht einen erhebenden, herzerfreuenden Verlauf. Herr Oberbürgermeister Schmieding wird den Kaisertoast ausbringen, Herr Stadtverordneter Feuerbaum der Kameraden gedenken und Herr Rendant Rang eine kurze Rede auf Deutschland halten. Die Herren Bäckermeister Fritz Mecklenbeck und Straßenmeister Wilhelm Bürger und andere Kameraden sind bereit, Episoden ernsten und heiteren Inhalts vorzutragen. Der bekannte und beliebte Humorist Seeger wird durch seine Darbietungen die Lachmuskeln in Bewegung halten. – Kriegskameraden anderer Truppenteile und Freunde sind willkommen.“

Betrügerischer Knecht

2024 schaut ein potenzieller Arbeitgeber im Internet, wen er da im Bewerbungsgespräch vor sich hat. Oder es lässt sich zumindest mal ein Führungszeugnis zeigen. Kurz nach der Jahrhundertwende war es da noch deutlich leichter, mit Schwindel und Betrug durchzukommen.

„Lütgendortmund. 28. Nov. Achtung Landwirte. Ein Schwindler, der sich als stellen-suchender Knecht ausgibt, sich Mietgeld geben lässt und dann unter Mitnahme fremder Gegenstände verschwindet, treibt in hiesiger Gegend sein Unwesen. Er sucht sich in der Landwirtschaft seine Opfer und hat in vergangener Woche diesen Trick mit Erfolg angewandt. Dort ist er tags nach seinem Diensteintritt mit 4 Mk. Mietgeld und 2 Taschenuhren, von welch letzteren eine den eingravierten Namen „August Schmidt“ trägt, verschwunden. Nach den angestellten Ermittelungen soll der Fuhrknecht Heinrich Lemke (Lippke) infrage kommen. Da es wahrscheinlich ist, dass der Genannte weitere Schwindeleien treibt, so sei hier vor ihm gewarnt. Er ist gesetzter Gestalt, 1,82 m groß, hat längliche Gesichtsbildung, gesunde Gesichtsfarbe, schwarzes Haar und kleinen schwarzen Schnurrbart.“

Pferde gestohlen

Während wir in den Zeitungen heute eher von einem Autodiebstahl lesen, gab es am 2. Dezember 1902 noch eine ganz andere Art von Verbrechen – ein Zweig, der heute fast ausgestorben ist.

Lütgendortmund. 2. Dez. Der großen Zahl letzter Zeit erfolgten Viehdiebstähle ist ein neuer hinzuzufügen. Am 26. v. Mts. ist in Dortmund ein Fuhrwerk mit Pferd gestohlen worden. Das Pferd ist dunkelbraun, 14-15 Jahre alt, mittelgroß, hat weiße Blesse und eingedrücktes Kreuz (früheres Soldatenpferd). Wert 100 Mark. Der Wagen ist ein langer vierräderiger Gemüsewagen, ohne Bremse, Werth 220 Mark. Der Name Heinrich Schwabe ist mit einem Bleistift angeschrieben. Mitteilung über den Verbleib des Uhrwerkes oder der Täterschaft wolle man an die nächste Polizei-Verwaltung richten.“

Ärger mit der Bahn gab es auch schon im Jahr 1902. Die Klagen über müffelnde Bahnhöfe kommen auch 122 Jahre später noch sehr realistisch daher.

„Lütgendortmund, 5. Dez. Geradezu traurige und klägliche Verhältnisse herrschen an unserm Berg. Märk. Bahnhofe. Die kleinen Wartesäle vermögen die Menge der Fahrgäste nicht zu fassen und daher kommt es, dass vor Abgang fast eines jeden Zuges die Passagiere teilweise auf dem Flur, der undefinierbare Gerüche ausströmt, teilweise gar im Freien, jedem Wind und Wetter ausgesetzt, sich aufhalten müssen. Bei dem rapid gewachsenen Verkehr sind die Räumlichkeiten schon lange zu klein. Wann werden endlich dort bessere Verhältnisse geschaffen? Wie verlautet, soll der Bahnhof verlegt und das Empfangsgebäude bedeutend vergrößert werden. Jedenfalls muss bald etwas geschehen.“

Die Zeche Gneisenau in Dortmund Derne liegt am anderen Ende der Stadt. Eine Explosion im Dezember 1902 war aber auch in Lütgendortmund zu hören.
Die Zeche Gneisenau in Dortmund Derne liegt am anderen Ende der Stadt. Eine Explosion im Dezember 1902 war aber auch in Lütgendortmund zu hören. © © Schaper

Grubenunglück

Kohle und Bergbau sind in der Zeitung allgegenwärtig. Auch die Schattenseiten des schwarzen Goldes finden sich in den kleinen Meldungen.

„Lütgendortmund, 12. Dez. Gestern Nachmittag gegen 3½ Uhr wurde hier ein heftiger Erdstoß verspürt, der zu allerlei Vermutungen Anlass gab. Die Ursache klärte sich bald dahin auf, dass auf Zeche „Gneisenau“ bei Derne eine furchtbare Dynamit-Explosion stattgefunden hat. Zechenarbeiter waren damit beschäftigt, von einem Fuhrwerk der Firma Hemsoth in Witten mittels der Zechenbahn Dynamit zur Grube zu schaffen. Ob nun durch einen unvorsichtigen Stoß des in gefrorenem Zustande besonders explosiven Dynamits die Explosion erfolgte oder ob die Arbeiter einen Teil des Dynamits haben fallen lassen, wird wohl nie aufgeklärt werden, kurz, die ganze Ladung flog mit einem entsetzlichen Knall in die Luft. In einer 1⁄4-stündigen Umgebung sind fast sämtliche Fensterscheiben zersplittert oder eingedrückt. Furchtbar sah der Zechenplatz aus. Das Maschinenhaus bei Schacht III, das einige 20 m von der Explosionsstelle, die durch eine tiefe, kreisförmige Grube von etwa 6 bis 8 m Durchmesser bezeichnet ist, ist an einer Seite vollständig zertrümmert. {...} Es stellte sich nach der ersten eiligen Untersuchung heraus, dass die 3 Personen, welche bei dem Abladen beschäftigt gewesen, vollständig vernichtet waren. Man fand von ihnen nur noch Teile des Schädels und Stücke von Gliedmaßen.“

Es gab aber auch erfreuliche Meldungen für Lütgendortmund, genauer gesagt für die Oespelerstraße.

„Lütgendortmund, 12. Dez. Die Anwohner der Oespelerstraße werden nun auch bald die Vorteile der elektrischen Beleuchtung haben. Wie wir hören, gedenkt das Elektrizitätswerk die Beleuchtung noch vor Weihnachten bis Reinecke betriebsfertig zu haben. Auch wird wahrscheinlich die Bahnhofstraße in Bälde elektrische Beleuchtung erhalten.“

Kuriose Verbrechen und Kriminalität gab es 1902 selbstverständlich auch schon. Man fragt sich nur, warum das Opfer nicht wollte, dass das Verbrechen aufgeklärt wird.

„Station Lütgendortmund, 18. Dezember. Der Streckenwärter M. von hier wurde gestern Abend auf der Strecke in der Nähe des Eisenbahn-Übergangs nach Kley verletzt aufgefunden und musste in das Krankenhaus zu Kirchlinde geschafft werden. Die Verletzungen sind nicht schwerer Natur. M. will nicht wissen, auf welche Weise er verletzt worden ist.“

„Lütgendortmund, 3. Dez. Ein Liebhaber von Tauben scheint der Bergmann Gustav Ozepluch von hier zu sein. Er stand heute unter Anklage, dem Bergmann Ries 3 Brieftauben gestohlen zu haben. Da im Lauf der Verhandlung sich ergab, dass Einbruchdiebstahl vorlag, wurde die Sache an die Strafkammer verwiesen.“

„Station Lütgendortmund, 19. Dezbr. Gestern Abend wurde hier am Stationsgebäude dem Kutscher des Omnibusses ein Paket, enthaltend 45 Paar Schlappen, gestohlen. Das Paket war an den Kaufmann Rosenwald adressiert und per Eisenbahn als Passagiergut angekommen.“

„Lütgendortmund, 21. Dez. Sein Weihnachtsgeschenk von 6 Wochen Gefängnis holte sich der Bergmann Karl Hahn von hier in der gestrigen Schöffengerichtssitzung in Dortmund. Und das für die heimliche Mitnahme von 50 Zigarren aus einem Friseurgeschäft.“