Sie sind Geschwister und sie hängen an Lütgendortmund – persönlich wie beruflich: Christiane Hoppe (56) führt seit Jahrzehnten das Schreibwarengeschäft „Köhler“ in der Limbecker Straße, der Einkaufsstraße im „Dorf“; ihr Bruder Thorsten Eustrup (48) ist Chef des Reisebüros „Köhler“ an der Ecke zum Marktplatz.
Beide kennen die Geschäftswelt des westlichsten Dortmunder Stadtteils nicht nur sehr gut, sie engagieren sich auch. Eustrup war Vorsitzender des Gewerbevereins „Aktiv im Ort“, seine Schwester ist derzeit stellvertretende Vorsitzende. Mit den „Lüdo“-Profis sprachen wir über das zentrale Problem des Vorortes: Es fehlen Kunden.
Wann haben Sie das letzte Mal in Lütgendortmund geshoppt und was haben Sie da gekauft?
Thorsten Eustrup: Ich bin fast immer bei meiner Schwester im Schreibwagengeschäft oder bei Rewe Amshove, in der Weinhandlung Uecker und der Bäckerei Grobe.
Christiane Hoppe: Reisen buche ich bei meinem Bruder. Ansonsten gibt es bei uns im Geschäft immer was, was man braucht, wie Glückwunschkarten, Geschenkartikel. Ich gehe auch in die Drogerie Zimmermann. Zweimal die Woche bin ich bei Rewe, fast täglich bei Grobe; Apotheken braucht man auch – ich kaufe hier im Ort für den täglichen Bedarf ein.
Und ganz spontan, was fehlt Ihnen im Ort?
Thorsten Eustrup: Ganz einfach: ein Drogeriemarkt. Egal, ob dm, Rossmann oder ein anderer Filialist. Die Auswahl ist zwar bei Rewe ein klein wenig da, aber nicht das, was man heutzutage braucht.
Rossmann sollte kommen, der Vertrag war unterschrieben, das Geschäft sollte ins modernisierte Kaufhaus Konze ziehen. Herr Eustrup, Sie können es aus Ihrem Reisebüro täglich sehen: Aus dem Umbau ist nichts geworden, das Gebäude gammelt vor sich hin. Egal, mit wem man spricht, warum es im Dorf nicht so gut läuft: Man landet dort. Sehen Sie das auch so?
Christiane Hoppe: Unter anderem – es fehlen mehr attraktive Geschäfte. Wenn wir sagen, wir setzen auf Beratungsqualität, dann brauchen wir auch noch mehr Geschäfte, die das bieten. Und es fehlt Vielfalt. Die Leute sagen: Wir fahren woanders hin, da haben wir alles auf einem Fleck.
Thorsten Eustrup: Die Kunden laufen konsequent ihre zwei, drei Punkte an, sind dann aber aus dem Ort raus. Früher waren wir hier am Marktplatz in der Mitte des Dorfes. Mittlerweile fühle ich mich komplett außerhalb. Sie gehen oben in die Limbecker Straße rein, fahren bei der Fleischerei, dem Schreibwarengeschäft, bei Mohrenstecher, dem Optiker um die Ecke und sind am Center Shop weg. Die Laufkundschaft, die sich hier unten aufhält, ist verschwindend gering geworden und das macht mir Angst für den Ort, wenn da in der Konze-Immobilie nicht kurzfristig was passiert. Wir leben von der Stammkundschaft, aber die allein reicht auf Dauer nicht – vor allem auch bei den steigenden Kosten.

Vororte haben generell zu kämpfen, gibt es welche, in denen es besser läuft? Bövinghausen? Bochum-Werne?
Thorsten Eustrup: In der näheren Umgebung finde ich es nicht besser. Da müsste ich schon in den Dortmunder Süden, Richtung Hombruch, gucken.
Christiane Hoppe: Genau, es müsste mehr Geschäfte geben, bei denen es Spaß macht, zu bummeln. Mit tollen Schaufenstern, bei denen die Kunden sagen: Da wollen wir gerne entlang gehen.

Es fehlt also an Laufkundschaft. Kommen Sie denn gut klar, so wie es jetzt läuft?
Christiane Hoppe: Wir kämen natürlich besser klar, wenn wir mehr Laufkundschaft hätten. Wir haben gerade viel zu tun wegen der Schulranzenberatung. Aber wenn man sich ringsherum umhört, sagen andere: Bei uns ist nichts los. Abgesehen vom Ranzenkauf ist unsere Kundschaft auch recht alt. Bei den vielen jungen Familien, die in den letzten Jahren nach Lütgendortmund gezogen sind, fragen wir uns: Wo sind die?
Und wo sind sie?
Beide: Im Ruhrpark.
Thorsten Eustrup: Der Indupark ist weniger Konkurrenz. Da gehen sie zu Ikea und Kaufland. Aber der Indupark ist nicht der Ort, wo ich schlendere, etwas esse, mich einfach mal aufhalte. Da ist der Ruhrpark von der Attraktivität her unschlagbar in unserer Umgebung. Leider.

Ende Januar hat die Familie Mohrenstecher öffentlich gemacht, dass sie ihr Traditionsgeschäft in Lütgendortmund schließen wird. Ein Grund sind auch zu wenige Kunden. Wilhelm Mohrenstecher sagt: Mit einer belebten Konze-Immobilie hätte man 150 Kunden pro Tag mehr im Dorf. Teilen Sie diese Schätzung?
Thorsten Eustrup: Ich hätte sogar mehr gesagt.
Christiane Hoppe: Ich auch. Wenn es wirklich einen Rossmann, also ein Geschäft gäbe, in das die Leute ständig gehen, könnten es noch mehr sein.
Thorsten Eustrup: Ein Drogeriemarkt und auch ein Kik brächten auf jeden Fall Laufkundschaft. Da wären es noch mehr als 150 Extra-Besucher in Lütgendortmund. Das wäre eine deutliche Aufwertung des Ortes. Man kommt heute kaum aus, ohne dass der Ort mit Filialisten bestückt ist, gleichzeitig macht es der Online-Handel aber schwierig, in Vororte zu gehen. Früher haben wir hier von „Ernsting’s family“ geträumt. Auch dm war mal im Gespräch. Eine Drogerie wäre das Nonplusultra. Das hat jeder Vorort. Kirchlinde, Huckarde, Bövinghausen.
Stimmt: Lütgendortmunder fahren nach Bövinghausen, um zu dm zu gehen.
Thorsten Eustrup: Aber nur deswegen. Wir haben hier den attraktiven Ort. Der Marktplatz hat eine tolle Gestaltung bekommen, wird aber nicht genutzt, außer mittwochs und samstags. Ich habe schon lange darauf gepocht, dort vielleicht an bestimmten Tagen und zu bestimmten Uhrzeiten und mit einer begrenzten Anzahl Autos wieder parken zu können – aber wir sind immer an der Politik gescheitert. Hier müsste ein Umdenken stattfinden, dass man Kunden die Möglichkeit gibt, näher ans Geschäft zu kommen. Montags, dienstags, donnerstags und freitags, also wenn kein Markt ist, 30 Fahrzeuge von 10 bis 17 Uhr. Das würde dem Ort auch helfen. Wir haben es aber als „Aktiv im Ort“ nicht hingekriegt. Ich bin gespannt, ob der neue Vorstand es schafft. Ich glaube, das wird genauso schwierig.

Es gibt auch Veranstaltungen wie den Martinsmarkt oder kleinere Aktionen zu Halloween, die Kunden ins Dorf locken sollen. Reicht das?
Christiane Hoppe: Es gab mal mehr, wir hatten auch „Ein Stadtbezirk blüht auf“, eine Veranstaltung im Frühjahr mit Blumen- und Einzelhändlern. Es gab auch einen Themenmarkt für Kids und Teens. Aber es ist ein wahnsinniger Aufwand. Die Beantragungen im Voraus, die Absperrungen für die Veranstaltung. Und dann ist auch die Nachfrage derer, die aktiv mitarbeiten wollen, derart zurückgegangen, dass es sich nicht lohnt, für zwei, drei Stände diesen Aufwand zu betreiben. Das wurde vor Jahren mal sehr gut angenommen, aber dann irgendwann nicht mehr.

Gut angenommen von den Kunden oder den Einzelhändlern?
Christiane Hoppe: Von beiden. Aber es war nachher schon ein Kampf, zwei Blumenhändler zu finden, die mitmachen.
Thorsten Eustrup: Weil alle nicht mehr nur die Präsenz und die Darstellung sehen, sondern darauf gucken, dass unterm Strich etwas übrigbleibt. Aber das ist bei einem Präsenztag nicht gegeben: Ich muss einen Mitarbeiter abstellen, ich habe mehr Kosten. Ich glaube, das war für viele ein Grund zu sagen, ich kann es nicht mehr stemmen.
Christiane Hoppe: Ich glaube, die Arbeitsintensität ist so hoch geworden, dass man denkt, das schaffst du jetzt nicht auch noch.
Thorsten Eustrup: Auch für mich war es irgendwann nicht mehr möglich, solche Veranstaltungen als Organisator für „Aktiv im Ort“ zu betreuen. Mit dem Aufwand, den man im Hintergrund zu leisten hat an Telefonaten, Anschreiben, Nachhaken, ist das schwer geworden. Die Stadt erschwert es aber auch mit dem, was sie verlangt. Wenn ich überlege, wie lange im Voraus man etwas beantragen muss; dass vorher noch mal konkretisiert werden muss, mit einem Zusatzantrag, mit maßstabsgetreuen Skizzen, mit Angaben zu: Welcher Händler verkauft was an seinem Stand. Ganz ehrlich: Was ein Themenmarkt an Arbeit bringt, das möchte man nicht in Stunden aufwiegen. Und das alles ehrenamtlich.
So ein Verein wie „Aktiv im Ort“ hat es also schwer?
Christiane Hoppe: Das stimmt, es ist so: Es fehlt die aktive Mitarbeit der Mitglieder. Man kann nicht denken: Ich zahle meinen Beitrag und dann bin ich für dieses Jahr fertig. Wie jeder Verein kann auch dieser nur leben, wenn alle anfassen, das kann nicht an fünf Leuten hängenbleiben. Wenn ich mehr als 50 Mitglieder habe und jeder sagt, ich erkläre mich bereit, zwei, drei Arbeitsstunden oder fünf im Jahr zu machen, kämen wir deutlich weiter.
Was wäre mit einem Feierabendmarkt wie in der Innenstadt? Würde das klappen in Lütgendortmund?
Christiane Hoppe: Ich fände das cool.
Thorsten Eustrup: Gerade Geselligkeit wird in Lütgendortmund noch großgeschrieben: Dorffest, Treffen unterm Maibaum, Treffen zum Fassanstich Kirmes, das läuft alles gut. Wenn man sagt, man macht so einen Feierabendmarkt im Sommer einmal im Monat, wäre das vielleicht was. Aber man muss natürlich wieder gucken: Wie läuft so eine Beantragung? Was muss ich abliefern? Brauche ich noch Sicherheitskonzepte? Aber Potenzial wäre da.
Zum Abschluss: Wenn Sie Wünsche freihätten, welche Neuansiedlungen wären das, abseits einer Drogerie?
Christiane Hoppe: Ein Bekleidungsgeschäft, das alle Altersstufen abdeckt und nicht zu teuer ist. In die Richtung von Ernsting’s family, Takko oder Kik.
Thorsten Eustrup: Ich würde auch einen Mitbewerber zu Rewe nehmen. Einen Edeka. Es gab mal entsprechende Pläne, aber es scheiterte an Hausbesitzern, die Teilgrundstücke nicht abgeben wollten. Es gab genug Konzepte und Investoren, die hier etwas getan hätten. Das Projekt für den Konze-Umbau war auch top. Es gab nur immer wieder Steine, die dem Investor zwischen die Beine gelegt wurden, wo ich sage, musste es so weit kommen? Der Investor hat viele Projekte sehr gut gemacht und hier in Dortmund ist er gescheitert.
Jetzt gehen wir ganz negativ aus dem Gespräch heraus...
Thorsten Eustrup: Nein, wir sind schon so lange da, wir geben nicht auf.
Christiane Hoppe: Wir versuchen, durchzuhalten. Wir hängen an Lütgendortmund mit Herz und Seele.
Thorsten Eustrup: Aber man hinterfragt sich schon jedes Jahr aufs Neue: Wie attraktiv ist mein Standort noch? Gerade, da die jungen Familien nicht kommen.
Christiane Hoppe: Deswegen ist es auch wichtig, dass wir was für Jüngere aufleben lassen.
Thorsten Eustrup: Die alten Sachen müssen teils erhalten bleiben, aber auch teils durch neue ersetzt werden. Wir wollen kein Dorffest zwei, keine Kirmes zwei. Wir wollen Stil auch im Ort haben. Wie zum Beispiel mit einem Feierabendmarkt. Eine Zeitlang war geplant, einen Mittelpunkt auf dem Marktplatz zu installieren. Eine Art Café-Insel. Aber es fehlte ein Investor. Das wäre aber etwas, das ich mir sehr wünschen würde.
