Ein Leben auf der Autobahn, immer auf Achse, kaum zu Hause und das bei schlechtem Lohn, viel Stress und wenig Anerkennung. Wer kann so etwas wollen? Für Lothar Westbrock ist das der Traumberuf. Er ist seit 40 Jahren leidenschaftlicher Lkw-Fernfahrer. Der Job ist hart, sagt er, manchen kostet er das Leben.
Lothar hat Freunde zu Grabe getragen und seine Kinder kaum aufwachsen sehen. Er hat aber auch ganz Europa bereist und enge Freundschaften geknüpft. Wir treffen ihn und seine Frau Martina an einem freien Wochenende zu Hause. Er erzählt von romantischen Abenden zwischen Lkw, Liebesbriefen an seine Frau und den Kollegen, die er unterwegs verloren hat.
Ein harter Job
Mit gerade einmal 15 Jahren machte der Dortmunder, gebürtig aus der Nordstadt, eine Lehre als Maurer - aber nur, weil er die Lehre zum Berufskraftfahrer erst mit 18 machen durfte. Das war Anfang der 80er Jahre. Schon als Teenager war das sein Traumberuf. Ganz Europa bereisen, Menschen kennenlernen, das wollte er unbedingt. Mittlerweile ist er mit seinem eigenen Transportunternehmen selbstständig. Am liebsten erzählt er von seiner Zeit als Fernfahrer in den 80er und 90er Jahren.

Die Bedingungen sind damals wie heute hart: An Bord gibt es weder Toilette noch Dusche. Die Fahrer müssen also zum Beispiel an Raststätten halten. „Und viele legen keinen Wert darauf, die Duschen zu säubern.“ Es gebe aber auch andere, wo man sich wirklich wohlfühlen könne, wo es gutes Essen, saubere Toiletten und nette Gesellschaft gebe. „Natürlich kostet das aber alles Geld. Und wer nicht viel verdient, kann nicht viel ausgeben.“
Meistens fuhr Lothar montags oder sonntags los und war dann die ganze Woche lang unterwegs. Mitten in der Woche mal freinehmen: als Fernfahrer fast unmöglich. Lothar war öfter auf der Autobahn als zu Hause. Trotzdem führte er ein harmonisches Familienleben.
Glückliches Familienleben
Martina lernte ihren Lothar über ihren Bruder kennen – ebenfalls ein Lkw-Fahrer. „Ich wusste also, worauf ich mich einlasse“, sagt die schmunzelnd. Eine Beziehung sei damals das letzte gewesen, wonach sie gesucht habe, „aber dann war er so nett“, erzählt sie und lacht ihren Mann an.
Die beiden kamen kurz nach ihrem Kennenlernen zusammen. Zu dieser Zeit reiste sie manchmal einfach mit, wenn Lothar auf eine längere Tour musste. Es dauerte nicht lange, da war Martina zum ersten Mal schwanger. Im 5. Schwangerschaftsmonat läuteten die Hochzeitsglocken.
Für die Eheringe schob Lothar in seiner Freizeit Überstunden im Lkw. Als die Kinder da waren, musste Martina zu Hause bleiben. Lothar war selten zu Hause, verpasste die ersten Schritte seiner Söhne, ihre Einschulung und viele andere Meilensteine. „Im Grunde war ich alleinerziehend“, sagt Martina.
Trotzdem spricht sie von einem glücklichen Familien- und Eheleben, „dafür hat Lothar gesorgt“. Die Postkarten und Liebesbriefe, die ihr Mann vom Fahrersitz aus schrieb, hat sie aufbewahrt. Weil der Vater auch bei Kindergeburtstagen nicht dabei sein konnte, überlegte er sich Überraschungen für die Söhne.

„Ich habe eine Kamera aufgestellt, mich hinters Sofa gehockt und ein Puppentheater aufgeführt, damit die Kinder sich das Video an ihrem Geburtstag angucken konnten. So war ich wenigstens ein bisschen da.“ Die VHS-Kassetten haben Westbrocks aufbewahrt.
Durch Aufmerksamkeiten wie diese, sei die Familie anders als viele andere Fernfahrer-Familien zusammen geblieben, sagt Martina. Und auf Familienzeit am Wochenende und im Urlaub habe man umso mehr Wert gelegt. Zu den Kindern und Enkelkindern bestehe nach wie vor ein sehr enges Verhältnis.
Fahrer werden ausgebeutet
Dass es schwierig sein kann, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen ist nur ein Aspekt, der den Job für viele unattraktiv macht. Zum einen gebe es sehr wenig Wertschätzung für Lkw-Fahrer, „obwohl sie tonnenweise Ware liefern, die wir alle täglich brauchen“, sagt der 60-Jährige.
Auch die Arbeitsbedingungen locken wenige Nachwuchskräfte in den Beruf. Die Bedingungen hätten sich mit der EU-Osterweiterung 2004 verschlechtert, so der Dortmunder. Zu dieser Zeit seien viele billige Arbeitskräfte, unter anderem aus Polen, nach Deutschland gelangt. Die Fahrer aus Osteuropa seien hierhergekommen, um Geld für ihre Familien zu verdienen, sagt Lothar. „Die wurden ausgenutzt und sind teilweise kaum noch nach Hause gekommen, so viel haben sie gearbeitet.“

Weil es wenig Nachwuchs gibt, setze man auch heute viele unterbezahlte Fahrer aus Osteuropa ein. Viele Unternehmen würden schlecht zahlen, und das, obwohl Fernfahrer aus dem Ausland manchmal zwei oder drei Wochen am Stück arbeiten und insgesamt monatelang hier sind, bevor sie mal wieder für eine Woche nach Hause zu ihren Familien können.
„Diese Menschen verwahrlosen. Sie haben oft kaum soziale Kontakte. In Pausen sitzen sie allein in ihren Lkw, blasen Trübsal, spielen mit dem Handy oder trinken Bier.“ Denn manchmal muss ein Fernfahrer einen ganzen Tag oder mehr überbrücken, bis er weiterfahren kann.
So geht Romantik auf dem Autohof
Gerade diese Pausen, in denen manche Fahrer vereinsamen, sind einer der Gründe, warum Lothar seinen Job immer geliebt hat. Manchmal war er sechs Wochen am Stück unterwegs. In Pausen habe er dann den Lkw abgestellt und sei zu Fuß oder mit der Bahn in die Stadt zum Sightseeing gefahren. Lothar war oft in Norwegen und Spanien unterwegs, hat viel erlebt. Eine seiner liebsten Erinnerungen ist, als er mit anderen Lkw-Fahrern spontan eine Grillparty direkt am Strand von Barcelona feierte.
Oder als er Anfang der 90er Jahre das Wochenende am alten Fischerhafen von Marseille in Südfrankreich verbrachte. „Da gab es Fahrerkneipen, da wurde richtig für einen gesorgt.“ Von riesigen Buffets mit französischen Speisen erzählt Lothar, von langen Tafeln, an denen Fahrer aus ganz Europa sich als Fremde gegenüber saßen und am Ende des Abends Freunde geworden waren.
„Anfangs bist du vielleicht der einzige Deutsche in der Runde verstehst nur Bahnhof. Aber dann gibt‘s für alle Fisch, Kaffee und Wein und dann verstehen wir uns plötzlich und lachen zusammen.“ Lothar hat viele Fotos von verschneiten Winterlandschaften in Schweden und malerischen Sonnenuntergängen in Spanien. „Der Beruf hat auch etwas Romantisches“, sagt Lothar und erinnert sich an stundenlange Fahrten, bei denen er wunderschöne Landschaften vorbeiziehen sah.
Kistenweise hat er Alben voll mit Bildern davon, wie er mit anderen Fahrern auf Campingstühlen zwischen den Lkw vor einem Campingkocher oder einem kleinen Grill sitzt. „Da hat jeder ausgepackt, was man noch essen konnte und hat es geteilt. Wenn man wollte, war man nie allein.“ Die Freundschaften, die in dieser Zeit geknüpft wurden, halten teilweise bis heute.
Einsamkeit auf der Autobahn
Heute gebe es unter den Fahrern weniger Kameradschaft. Es gebe weniger Leidenschaft für den Beruf, weniger Hilfsbereitschaft, dafür mehr Einsamkeit und Gleichgültigkeit. Über Funk werde viel gequatscht und getratscht, „wenn einer irgendwo Unsinn macht, erfährt man davon schnell.“ Aber die Einsamkeit kann das nicht auffangen.
In 40 Jahren auf der Autobahn hatte Lothar keinen einzigen ernsthaften Unfall. Gesehen hat er viele. Er verdränge das, sagt er. „Ich sehe sofort, ob das ein Unfall ist, bei dem keiner mehr lebend rausgekommen ist. Dann fahre ich direkt weiter und schaue nicht hin. Die Bilder wirst du sonst dein Leben lang nicht mehr los.“
Das sei Selbstschutz. Manche Kollegen hat er bei Unfällen verloren, weil sie wegen eines Sekundenschlafs verunglückten. Andere Kollegen hat er an Einsamkeit und Alkoholismus verloren. Gerade wer emotional labil sei oder wenige soziale Kontakte habe, greife öfter zur Flasche.
Er erinnert sich an einen Kollegen, der sich das Leben nahm. Er habe psychische Probleme und Ärger mit der Familie gehabt. Dazu die Einsamkeit im Fahrerhäuschen. „Mit sieben Pullen Wodka hat er sich irgendwo bei Sundsvall in Schweden an einen Baum gesetzt und ist eingeschlafen. Da wird es bis zu Minus 20 Grad kalt. Er ist einfach erfroren. So wollte er sterben.“
So viel verdienen Lkw-Fahrer
Ob ihn Geschichten wie diese belasten? Damals manchmal schon, heute weniger, sagt er. Lothar ist ein fröhlicher Mensch, der gern das Gute in allem sieht. Das macht ihn widerstandsfähig gegen die harten Seiten des Berufs. Er ist sich sicher: Könnte er die Zeit zurückdrehen, würde er keinen anderen Beruf machen wollen.
Immerhin: Schlechtes Geld hat er als internationaler Fernfahrer nicht gemacht, „zumal Häuser früher natürlich günstiger waren als heute.“ Er lebt heute mit seiner Frau in einem kleinen verwinkelten Haus mitten im Grünen in Bochum. Das könne sich heute kaum ein Lkw-Fahrer leisten.

Gute Firmen würden etwa 3.500 bis 4.000 Euro brutto zahlen. Der Durchschnitt liege eher bei 3.000 Euro. Für 40 Wochenstunden? Lothar zieht die Augenbrauen hoch. „Es werden auch gerne mal 66 Stunden.“ In der Praxis dauere eine Fahrt oft länger als in der Theorie. Staus, Grenzblockaden, Wartezeiten bei Auf- und Abladestationen, Autopannen und Unfälle verzögern die Fahrt manchmal.
Wenigstens ist das Fahren mittlerweile komfortabler als früher. Heute sind die Fahrerkabinen deutlich größer, bequemer und besser ausgerüstet. Die teuren Fahrersitze sind belüftet, beheizt und mit einer Rückenmassage ausgestattet. Jede Fahrzeugbewegung wird digital erfasst. Aber einsamer ist es geworden, sagt Lothar. Sicher hat nicht jeder Lkw-Fahrer Kisten voller Fotos mit romantischen Grillabenden zwischen den Trucks, während im Hintergrund die spanische Sonne hinter dem Horizont verschwindet.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 5. Januar 2025.