Mareike hat recht lange Glück, relativ lange bleibt sie von einer Covid-19-Infektion verschont. Erst im März 2022, wenige Wochen nach ihrer dritten Impfung, erwischt es sie dann doch. Zehn Tage ist sie krankgeschrieben. „Starke grippeähnliche Symptome und wahnsinnige Nierenschmerzen“ setzen ihr zu, aber „insgesamt habe ich mich gut erholt“. Kurz überlegt sie, wie sie es formulieren soll, dann fügt sie hinzu: „Und ja, ich war auch irgendwie stolz, es gut überstanden zu haben.“
Von diesem positiven Gefühl ist heute nichts mehr geblieben: Seit dem Spätsommer 2022 kämpft die 51-Jährige aus Dortmund täglich mit den starken Folgen ihrer Covid-Infektion. Sie leidet an Post-Covid. Studien gehen davon aus, dass mindestens zehn Prozent aller Infizierten weltweit mit den Spätfolgen einer Corona-Infektion kämpfen.
Was von ihrem alten Leben, vor der Covid-19-Infektion, noch übrig ist? Mareike muss keine Sekunde überlegen: „Nur noch meine Arbeit. Mein Tag hat nur noch fünf bis sechs ‚gute‘ Stunden, wo ich funktioniere. Diese Stunden nutze ich voll und ganz für meine Arbeit. Dann muss ich mich hinlegen und verbringe den Rest des Tages, mal mehr, mal weniger, in einer Art Dämmerzustand. Für mein eigentliches Leben bleibt nichts oder nur sehr wenig an Ressourcen übrig.“
Ständige Erschöpfung
Die Erkrankung, die das Leben der Übersetzerin und Dolmetscherin im Justizdienst mittlerweile völlig bestimmt, bemerkt sie anfangs eher schleichend: Richtig fit ist sie auch Wochen nach ihrer Corona-Infektion nicht, fühlt sich ständig erschöpft. „Aber es war ja auch ein schwerer Infekt, natürlich ist man da noch eine Weile abgeschlagen“, beruhigt sich die Dortmunderin selbst. Aber die Beschwerden nehmen drastisch zu: Eine Thrombose mit Arterienriss bringt sie ins Krankenhaus, mehrere Zähne brechen ihr weg, ihr gehen die Haare aus.
„Dann hatte ich zunehmend kognitive Schwierigkeiten, das Kurzzeitgedächtnis funktionierte nicht mehr richtig, ich hatte Konzentrationsprobleme. Da wurde ich stutzig. Ich war immer ein leistungsstarker und belastbarer Mensch, nie krank. Plötzlich merkte ich, dass alles zusammenbrach.“
Ihre Hausärztin nimmt die Beschwerden sofort ernst. Es folgen viele Untersuchungen und große Ängste: Die Symptome können auf verschiedenste Erkrankungen hindeuten – „HIV, Krebs, und und und – man sieht sich da plötzlich mit ganz schlimmen Dingen konfrontiert“. Die entsprechenden Untersuchungen bestätigen nichts dergleichen. Ganz anders als die Testungen, die Mareike durchläuft, als sie nach neun Monaten endlich einen Termin in der Long-Covid-Ambulanz am St.-Josef-Hospital in Bochum hat.
Sie bekommt schon bei ihrem ersten Termin ein eindeutiges Ergebnis: „Es gibt einschlägige Fragebögen und Messwerte, die genommen werden.“ Bei Mareike fallen die Ergebnisse eindeutig aus: „Die Diagnose war sofort klar.“ Die Beschwerden, die mit Post-Covid einhergehen, sind vielschichtig, bei Mareike äußern sie sich sehr drastisch. Schwer wiegt für sie das chronische Fatigue-Syndrom – ein tiefgreifender Erschöpfungszustand, dem wohl eine Fehlregulation des Immunsystems und des autonomen Nervensystems zugrunde liegt.
Für ihren Alltag bedeutet das beispielsweise, dass selbst kleine Belastungen zur völligen Erschöpfung führen und ihr Körper direkt darauf reagiert: „Ich unterhalte mich gerne intensiv – merke aber jetzt schon wieder, dass ich erhöhte Temperatur habe“, beschreibt sie während des Gesprächs, das wir für diesen Text führen. Erhöhte Temperatur, geschwollene, schmerzende Lymphknoten sind bei ihr typische Reaktionen auf Überbelastung.
„Es gibt Tage, da kann ich kaum schlucken oder meinen Kopf bewegen, kleinste Muskelbewegungen sind zu viel. Chronische Schmerzen sind immer da, die Muskelschwäche ist mal mehr, mal weniger ausgeprägt. An schlechten Tagen kann ich keine Wasserflasche öffnen.“ Noch ein Ehrenamt ausüben oder Yoga-Stunden geben, wie sie es früher gemacht hat? Schlicht undenkbar.
Die Art der Erschöpfung sei sehr tiefgehend, nicht vergleichbar mit einer normalen Müdigkeit. „Mit über 50 ist man eben müde, wenn man von der Arbeit kommt“ – diesen Subtext nehme sie in Gesprächen mit Nicht-Betroffenen oft wahr. So einfach sei es aber nicht, betont Mareike: „Wenn man chronische Fatigue hat, spürt man, dass das eine andere Art von Erschöpfung ist. Es ist eben keine Erschöpfung, die durch genug Ausruhen oder gesundes Essen und Bewegung weggeht, sondern es ist wirklich eine Erschöpfung auf Molekular- oder Zellebene. Das ist eine alles verbietende Müdigkeit und Erschöpfung, gegen die man wirklich nicht ankommt.“

Auch die kognitiven Einschränkungen sind geblieben: „Ich fühle mich, als sei ich auf einen Schlag 25 Jahre gealtert. Man ist eben nicht nur einfach etwas schusselig oder vergesslich. Sondern viele Dinge sind nicht mehr abrufbar, Informationen können nicht mehr richtig und vor allem schnell erfasst und verarbeitet werden. Mein Kurzzeitgedächtnis ist betroffen, aber auch mein Hör- und Sehvermögen sind deutlich schlechter geworden.“
Regelmäßig passiere es ihr, dass sie statt des sauberen Geschirrs das schmutzige in den Schrank räume. „Das sind Sachen, für die schäme ich mich und das wäre mir auch definitiv sonst nicht passiert. Es löst bei mir auch enormen Stress aus, wenn ich zwei oder drei Dinge koordinieren muss. Im Supermarkt: Einkauf abstellen, Sachen scannen, einpacken und bezahlen – Dinge, die eigentlich selbstverständlich laufen sollten.“
Erschreckend klingt auch die Schilderung eines weiteren Problems: Mehrfach am Tag schießt Mareikes Puls ohne jegliche Anstrengung in die Höhe, bis zu 130 Schlägen. „Dieser viel zu hohe Puls führt zu großer innerer Anspannung und ermüdet Körper und Geist. Außerdem kann mein Blutdruck die Haltung nicht ausgleichen, wenn ich lange stehe oder sitze: Das Blut versackt und wenn ich Pech habe, verliere ich das Bewusstsein.“
Alltag als „Drahtseilakt“
Erst kürzlich sei sie ausnahmsweise mit ihren Eltern nachmittags unterwegs gewesen, um in ein Café zu gehen: „Ich bin vor dem Café einfach umgekippt. Ich habe es überhaupt nicht kommen sehen, es ist wirklich wie einen Stecker ziehen.“ Die Folge solcher Erlebnisse: „Ich mache eigentlich nichts mehr außer meiner Arbeit, einfach weil ich Angst habe.“
Mareike nimmt es als ständigen „Drahtseilakt“ wahr – sich einerseits fordern, um nicht noch mehr abzubauen, aber auch mit den Ressourcen zu haushalten, um nicht zusammenzubrechen. „Sonst bleibt mir irgendwann nichts mehr. Ich möchte nicht nur im Bett liegen, in einem verdunkelten Raum. Ich möchte arbeiten, aber auch meinem Alltag nachgehen können. Darum kämpfe ich.“
Auf Anraten ihrer behandelnden Ärzte hat Mareike sich entschieden, Teilerwerbsminderungsrente zu beantragen. Aktuell hat sie Sechs-Stunden-Arbeitstage – eigentlich zu viel für ihre Erkrankung: „Oft schaffe ich das nicht, muss dann abends oder am Wochenende Stunden nachholen.“ Ein Gutachten der Deutschen Rentenversicherung fiel negativ aus, doch die Dortmunderin hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben, befindet sich im Klageverfahren: Die Kritik des Gutachters, dass sie noch keine Post-Covid-Selbsthilfegruppe besuche, geht sie nun ganz pragmatisch an. Mit Unterstützung der Selbsthilfe-Kontaktstelle Dortmund hat sie eine eigene Gruppe gegründet (Kontakt siehe unten).
„Ich habe trotz aller Impfungen und Schutzmaßnahmen einen Großteil meiner Lebensqualität eingebüßt und bange um das, was noch geblieben ist. Unterstützung finde ich kaum, die Belastung ist groß, die Entwicklung der Krankheit ungewiss.“ Experten sind rar und überlastet, auf Untersuchungstermine wartet Mareike oft monatelang, dazwischen gibt es kaum Fortschritte. Inzwischen hat sie sich selbst viel Wissen angeeignet. „Ich weiß, dass es vielen anderen ebenso geht. Mir ist daher wichtig, Möglichkeiten zum Austausch zu schaffen und auf uns als Betroffene aufmerksam zu machen.“
Dinge anpacken, initiativ werden, nach vorne schauen – das passt zu Mareike, zu ihrem alten, Vor-Covid-Leben. Sie möchte das Beste aus ihrer Situation machen, optimistisch bleiben. Und sie hat den Blick für das Positive nicht verloren: „Man lernt mit den kleinsten Dingen sehr viel zufriedener zu sein als zuvor. Meine Tochter und ich haben uns eine Katze ins Haus geholt. Ich genieße die Zeit mit ihr unglaublich. Sie beruhigt auch so ein bisschen das Gemüt, wenn man nachmittags mit der Kleinen auf dem Bett liegt. Und ich bin stärker motiviert als früher, mir die Wohnung schöner herzurichten, einfach weil ich jetzt so unglaublich viel Zeit zu Hause verbringe.“
Ein weiteres großes Thema ist Achtsamkeit. „Die Krankheit selbst gibt ein super Achtsamkeitstraining her. Man lernt, den Blick ins Nichts zu richten, den Kopf leerzumachen.“ Mareike überlegt kurz: „Ich sehe ganz viel Positives. So bin ich einfach.“
Update, 25.4.2025:
Vier Monate nach unserem ersten Treffen klingt Mareike sehr positiv, als wir nachfragen, wie es ihr geht: Die im Januar noch in Planung befindliche Selbsthilfegruppe läuft mittlerweile „mit sehr guter Resonanz und Wirkung“.
Außerdem ist die Dortmunderin gerade eine Reha-Maßnahme gestartet - die Hoffnung, auf Linderung ihrer Beschwerden und eine steigende Lebensqualtität trotz Long-Covid lebt weiter.
Post Covid und Selbsthilfe
- Die Charité Berlin, die intensiv zur Thematik Post-Covid und Fatigue forscht, beschreibt die Problematik wie folgt: „Wenn drei Monate nach einer SARS-CoV-2-Infektion noch immer gesundheitliche Beschwerden bestehen, die über mindestens zwei Monate anhalten und nicht anderweitig zu erklären sind, spricht man vom Post-Covid-Syndrom (PCS).“ Die Symptome seien sehr unterschiedlich, viele Betroffene litten jedoch an Atembeschwerden, könnten sich schlecht konzentrieren und seien kaum belastbar. „Besonders oft berichten PCS-Erkrankte von einer bleiernen Erschöpfung, die sich durch normale Erholung kaum beheben lässt: die sogenannte Fatigue. Häufig können diese Menschen den Alltag kaum noch bewältigen und leichte Anstrengung verschlechtert den Zustand, man spricht von Belastungsintoleranz. Frauen trifft es deutlich häufiger als Männer.“
- Informationen zur geplanten Long-/Post-Covid-Selbsthilfegruppe erhalten Interessierte bei der Dortmunder Selbsthilfe Kontaktstelle. Mögliche Themen für die Gruppentreffen sind Begleiterkrankungen, Umgang mit chronischer Ermüdung, Alltstagstipps und der Austausch individueller Erfahrungen.
- Mehr Infos gibt es auf www.selbsthilfe-dortmund.de. Kontakt: Ostenhellweg 42-48, Telefon: 0231 52 90 97, E-Mail: selbsthilfe-dortmund@paritaet-nrw.org
Dieser Text erschien erstmals am 4. Januar 2025. Aufgrund des großen Interesses haben wir ihn erneut veröffentlicht.