„Der dunkle Monat“, so nennt Kübra die vier Wochen, in denen ihr altes Leben völlig zusammenbricht. „Es war ein Gefühl, wie lebendig tot zu sein.“
Vier Wochen lag die Dortmunderin zu Jahresanfang 2024 in ihrem abgedunkelten Schlafzimmer im Bett. Völlig kraftlos und total abgeschottet. Ihrem Körper fehlte nach ihrer zweiten Coronainfektion jegliche Energie, alles schmerzte bei jeder Bewegung. Ausgestattet mit Augenmaske und Gehörschutz vegetierte sie vor sich hin, weil sie Licht und Geräusche überhaupt nicht aushalten konnte. Ihre Schwester zog zu ihr und versorgte sie.
„Aber die Tür zum Zimmer musste geschlossen sein, ich konnte die Geräusche, die sie im Haushalt gemacht hat, nicht aushalten. Sie konnte nur wenig mit mir reden, musste leise und langsam sprechen, weil ich Geräusche nicht ertragen konnte.“ Die Sinnesorgane waren so beeinträchtigt, dass die äußeren Einflüsse sofort Übelkeit und schlimme Schmerzen im Kopf auslösten.
„Was ist, wenn das so bleibt?“
Kübra sitzt gegen Kissen gelehnt auf ihrem Sofa in ihrer gemütlich eingerichteten Wohnung im Saarlandstraßenviertel. Die Dortmunderin erzählt ganz ruhig und gefasst vom Horror dieser Zeit: „Jedes Geräusch, jeder Satz, jede Bewegung tat weh. Aber der Geist war ja hellwach. Ich hatte fürchterliche Angst. Was ist, wenn das so bleibt? Es war ja überhaupt nicht klar, was es ist und ob es so bleiben wird. Ich habe direkt überlegt: Will ich so leben? Kann ich so leben?“
Einige der Fragen sind mittlerweile beantwortet: Die 38-Jährige leidet an einer schweren Form von Long-Covid – am gravierendsten beeinträchtigt sie das chronische Erschöpfungssyndrom (ME/CFS: „Myalgische Enzephalomyelitis/das Chronische-Fatigue-Syndrom“). Der tiefgreifende Erschöpfungszustand, dem wohl eine Fehlregulation des Immunsystems und des autonomen Nervensystems zugrunde liegt, macht ein Leben mit normalem Alltag und Arbeit unmöglich.
„Man muss sich das vorstellen wie einen Akkustand von zehn Prozent am Handy. Ein altes Handy. Mit diesen zehn Prozent muss man 24 Stunden auskommen“, beschreibt Kübra. Das Tückische daran: „Wenn ich unter diese zehn Prozent gehe, ist es nicht so, dass das Handy ausgeht, sondern es explodiert quasi. Alle Symptome verschlimmern sich drastisch. Ich werde noch kränker und habe für Tage bis Wochen nicht mal mehr diese zehn Prozent an Energie.“
„Der dunkle Monat“ – er holt sie in diesen Momenten bis heute immer wieder ein. Wieder Abschottung, im Bett liegen, warten. „Immer die Sorge: Wie lange bin ich im dunklen Zimmer, wie lange dauert dieser Rückschlag?“

Von ihrem alten, aktiven Leben ist nichts mehr übrig. Früher hat die 38-Jährige im Dietrich-Keuning-Haus mit Kindern und Jugendlichen Kulturarbeit gemacht, parallel an der FH Dortmund Film studiert. Heute wird sie von Freunden im Rollstuhl geschoben, wenn sie einen Spaziergang machen möchte. Außerhalb der Wohnung reicht die Energie für maximal eine Stunde, dann muss sie sich den Rest des Tages ausruhen. „Diese Krankheit, das haben Studien gezeigt, hat verglichen mit anderen eine der geringsten Lebensqualitäten. Weil man nur so kleine Lücken hat, wo man am Leben teilnehmen kann.“
In ihrer Wohnung kann sie an guten Tagen zwei bis drei Stunden ein wenig aktiv sein. „Aber nicht, wie man sich das vorstellt, wenn man 100 Prozent Energie hat, sondern wie eine gebrechliche 90-jährige Oma, die zwei Stunden was im Haushalt macht.“ Kleine Haushaltsaufgaben wie Kochen muss sie penibel einteilen: „Ich gehe in die Küche, schäle drei Kartoffeln, ruhe mich aus. Dann gehe ich nochmal in die Küche, setze Wasser auf, dann ruhe ich mich wieder aus.“
Ohne genaue Planung und den strikten Blick auf die Energiereserven geht nichts, zu groß ist die Angst vor weiteren Zusammenbrüchen. „Ich muss jede Woche, jeden Tag einteilen. Habe ich in der Woche einen Arzttermin? Oder habe ich Besuch wie heute? Dann muss ich überlegen: Was hat Priorität? Heute hat Priorität, dass wir reden – also habe ich mich gestern ausgeruht. Morgen ruhe ich mich vielleicht auch nochmal aus. Am Tag danach würde ich mir was kochen. Dann wieder ein Tag Pause. Dann würde ich vielleicht eine Freundin treffen.“
An guten Tagen sei vielleicht ein Ausflug in ein Café machbar. „Ich könnte eine Stunde im Café sitzen. Das wäre das Maximum, weil Sitzen auch schon anstrengend ist. Generell ist die Wohnung zu verlassen, super anstrengend für den Körper. Aber für die Psyche ist es wichtig, auch mal hinauszukommen.“
Der Einblick in ihren Alltag zeigt: Long-Covid hat Kübra in einer sehr schweren Form erwischt – das bestätigt auch ein Arztbericht zur Entlassung aus einer entsprechenden Rehamaßnahme im März 2024. Nach ihrem „dunklen Monat“ hatte sie sich ins Krankenhaus einweisen lassen, nach der Diagnose Long-Covid ging es weiter in die Reha. Ein wenig hat sich ihr Zustand seitdem verbessert. Das Erschöpfungssyndrom ist weiterhin die größte Belastung, gefolgt von der großen Empfindlichkeit auf äußere Reize. „Und die Konzentration ist nicht mehr da. Das Gehirn funktioniert nicht mehr wie früher.“
Kübra arrangiert sich so gut wie möglich mit ihrem Schicksal: Sie hat gelernt, sich ihre Kraft sehr gut einzuteilen. Ihre Familie und Freunde sind die größte Stütze, kümmern sich mit viel Engagement um sie. Für Sozialkontakte ist so gesorgt, soweit die Kraft eben reicht. Eine Haushaltshilfe kümmert sich einmal wöchentlich um die Wohnung.
Neben der klassischen schulmedizinischen Versorgung nimmt Kübra weitere Medikamente, die ihr helfen. „Die muss ich selbst bezahlen, weil sie als off-label gelten.“ Die Medikamente sind nur für andere Krankheiten zugelassen, für Long-Covid fehlen in vielen Bereichen noch immer belastbare Studien. „Wir Betroffenen fühlen uns da auch vom System im Stich gelassen.“
Auch die „einzige und letzte Hoffnung“, auf die Kübra nun setzt, um wieder mehr Lebensqualität zurückzugewinnen, wird von den Krankenkasse nicht gezahlt. Bei der Immunadsorption, einer Blutwäsche, werden Autoantikörper, die sich gegen das eigenen Immunsystem richten, aus dem Blut entfernt. „Die Behandlung besteht aus acht Sitzungen, diese werden in einer Klinik in Köln durchgeführt.“ Um die Behandlung bezahlen zu können, läuft aktuell eine Spendenaktion auf der Online-Plattform gofundme.
Über 27.000 Euro sind darüber schon zusammengekommen (Stand 1.4.2025). „In dieser Zeit, wo ich das Gefühl habe, die Welt geht unter, es wird immer düsterer, ist das total berührend zu sehen, dass die Menschen so solidarisch sind.“ Ein krasser Gegensatz zu einem Gefühl, das ansonsten dominiert: „Mit Long-Covid verschwindet man still und leise aus der Gesellschaft.“

Kübra erzählt das alles, ohne die Fassung zu verlieren. Sie spricht langsam, mit Pausen. Immer wieder holt sie tief Luft. Man merkt ihr die Anstrengung an, die das Gespräch verursacht. Langsam kann sie die Konzentration nicht mehr aufrecht halten. „Eine Stunde unterhalten geht so gerade, danach verliere ich den Faden, kann mich nicht mehr konzentrieren.“
50 Minuten Gesprächszeit sind um. Die Sonne scheint herrlich durchs Fenster, es ist ein Frühlingsvormittag wie aus dem Bilderbuch. Kübra wird davon an diesem Tag nichts mehr haben. Die Kraft ist verbraucht. Raus an die frische Luft, daran ist auf keinen Fall mehr zu denken. So geht es ihr an viel zu vielen Tagen.
„Meine Welt ist auf die Größe meiner Wohnung geschrumpft. Es ist eine bittere Erkenntnis der Krankheit: Man kann sein Leben verlieren, ohne zu sterben.“
Selbsthilfegruppen Long-/Post-Covid
In Dortmund gibt es Selbsthilfegruppen für Long-/Post-Covid-Betroffenen. Mehr Infos gibt es auf www.selbsthilfe-dortmund.de. Kontakt: Ostenhellweg 42-48, Telefon: 0231 52 90 97, E-Mail: selbsthilfe-dortmund@paritaet-nrw.org
Dieser Artikel erschien ursprünglich am 3. April 2025.