
Polizei-Gewerkschafter Torsten Seiler (v.l.), William Dountio vom afrikanischen Bündnis und die Redakteure Lukas Wittland und Ulrich Breulmann haben über die tödlichen Schüsse gesprochen. Aus Hamburg zugeschaltet wurde Prof. Dr. Rafael Behr. © Kevin Kindel
Live-Talk zum Tod von Mouhamed D.: „Es ist Zeit, Brücken zu bauen“
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Die tödlichen Schüsse auf Mouhamed D. (16) bewegen die Stadt. Auch um das Vertrauen zwischen Bevölkerung und Polizei ging es im Live-Talk unserer Redaktion.
Neun Tage, nachdem der 16-jährige Mouhamed D. in der Dortmunder Nordstadt von einem Polizisten erschossen worden ist, haben sich der Vorsitzende der Dortmunder Gewerkschaft der Polizei und ein Organisator der Demonstrationen gegen Polizeigewalt an einen „digitalen“ Tisch gesetzt.
Torsten Seiler und William Dountio haben am Mittwoch (17.8.) zusammen mit Polizei-Wissenschaftler Prof. Dr. Rafael Behr im Online-Talk über die tödlichen Schüsse und das Vertrauen in die Polizei gesprochen.
Der Nordstädter Dountio sagte: „Die Stimmung ist nach einer Woche immer noch sehr traurig und verwirrt.“ Der Polizei-Gewerkschafter schilderte: „Die Kolleginnen und Kollegen erleben vor Ort starke Anfeindungen.“ Viele Polizeikräfte seien vom tödlichen Einsatz sehr berührt.
Seiler selbst habe im Einsatz bereits mehrfach seine Schusswaffe ziehen müssen: „Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, wie es ist, wenn man da steht und nicht weiß, ob man heute nach Hause kommt.“ Er warb für Verständnis für diese Ausnahmesituation, die nicht mit einem Training vergleichbar sei.
Rafael Behr sagte: „Wäre es ein abgestimmter SEK-Zug gewesen - eine Gruppe, die das übt - hätte die Situation anders aussehen können.“ Er meint: „Unter den gegebenen Umständen mache ich den eingesetzten Beamten keinen Vorwurf. Es war ein Unfall.“

Prof. Dr. Rafael Behr lehrt an der Akademie der Polizei in Hamburg. © Privat
Der Forscher kritisierte jedoch, dass die Maschinenpistole nicht die korrekte Ausrüstung in dieser Situation gewesen sei. Eine Stange, mit der man Mouhamed D. beim mutmaßlichen Messerangriff auf Distanz halten könnte, wäre zum Beispiel sinnvoller gewesen: „Aber das hatten sie nicht an Bord.“
Lagen die Voraussetzungen für den Bodycam-Einsatz vor?
Zur Frage, wie es sein könne, dass bei allen elf Einsatzkräften die Bodycams ausgeschaltet waren, erklärte Torsten Seiler, dass dieses Mittel grundsätzlich zum Schutz der Beamten vor Angriffen gedacht ist. Er verweist auf die im Gesetz definierten Einsatzbereiche, meinte aber auch: „Für diesen konkreten Fall würde ich sagen, hätten die Voraussetzungen vorgelegen.“
Kriminologe Behr sagte zu den Regeln für die Kameras: „Das halte ich für einen schlimmen Zustand, was die Transparenz, die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in die Polizei betrifft.“ Von den Polizisten zu verlangen, die Kamera erst anzuschalten, wenn sie angegriffen werden: „Das ist doch absurd. Warum herrscht nicht so viel Klugheit, alles zu dokumentieren, was passiert?“
Genau wie Behr kritisierte William Dountio, dass die benachbarte Polizei Recklinghausen nun gegen die Kollegen aus Dortmund ermittelt. „Die Polizei ist eine Familie, das sagt sie auch selber. Und in der Familie beschützt man sich.“
Polizei-Gewerkschafter Seiler sagte zu einer möglichen neutralen Ermittlungsbehörde, die es bislang in Deutschland nicht gibt: „Ich glaube schon, dass man immer zu noch mehr Neutralität kommen kann.“ Er versicherte aber auch zum aktuellen Vorgang: „Es findet neutrale Ermittlungsarbeit statt.“
Verabredung zu gemeinsamen Gesprächen
William Dountio kritisierte außerdem ein generell „kriegerisches“ Auftreten der Polizei in der Nordstadt: „Die Polizei fährt jede fünfte Minute vorbei, aber nimmt sich kaum Zeit, die Menschen in dem Viertel wirklich kennenzulernen.“
Wegen seiner dunkleren Hautfarbe werde er von der Polizei häufiger kontrolliert als andere. „Überall Polizei, nirgendwo Gerechtigkeit“, gab er einen Slogan der Demonstrationen nach dem Tod von Mouhamed D. wider. Er lud die Polizei ein, mit den Vereinen der Nordstadt in Gespräche zu treten, damit beide Seiten mehr Kontakt zueinander bekommen.
Polizist Seiler antwortete: „Mich hat sehr berührt, dass es viele persönliche Erlebnisse gibt, die in diese Richtung gehen.“ Die Polizei Dortmund habe seit vielen Jahren schon null Toleranz für Rassismus und Rechtsextremismus. Diese Bemühungen dürfe man nicht aus dem Kopf wischen, genau so wenig wie er die Erfahrungen der Menschen wegwischen wolle: „Da ist es Zeit, Brücken zu bauen. Ich finde, hier ist es an der Zeit, miteinander ins Gespräch zu kommen.“
Kevin Kindel, geboren 1991 in Dortmund, seit 2009 als Journalist tätig, hat in Bremen und in Schweden Journalistik und Kommunikation studiert.
