Ladensterben und Standortwechsel: die City wandelt sich gerade - und wird sich noch viel stärker wandeln. Dazu gibt es interessante Prognosen. © Schaper

Einzelhandel

Ladensterben und Corona-Hilfe: So verändert sich die Dortmunder City

Kann das Ladensterben noch aufgehalten werden? Reicht ein städtisches 15-Millionen-Euro-Programm, um die City von morgen zu gestalten? Es gibt schon Trends und Prognosen.

Dortmund

, 23.09.2020 / Lesedauer: 6 min

Auf dem Alten Markt pulsiert das Leben, fast alle Tische sind besetzt, Kellner bringen Bier, Kaffee, Eis und vielerlei Leckereien. Die Sonne scheint und eigentlich ist alles wie immer - von Corona-Krise keine Spur.

Der Eindruck trügt. Schon das Karstadt-Sporthaus steht hier sinnbildlich für den Wandel im Handel. Egal, ob und wie das Sporthaus doch noch gerettet wird, die Corona-Krise zwingt viele Geschäfte ziemlich in die Knie und wirkt in vielen Innenstädten - auch in der Dortmunder - wie ein Brandbeschleuniger.

Ob Galeria Kaufhof, Esprit, Gina Tricot oder Hallhuber. Schon jetzt haben etliche namhafte Einzelhandelsunternehmen dicht gemacht oder stehen kurz davor. Und nicht wenige Experten sehen darin erst einen Anfang.

Mehr als 50.000 Geschäfte, so schätzt der Handelsverband Deutschland die deprimierende Lage ein, könnten im Laufe der Corona-Krise bundesweit schließen.

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In Dortmund läuft in der Galeria Kaufhof bereits der Sortiments-Abverkauf, der letzte Verkaufstag wird dort am 17. Oktober sein. Was aus dem großen Kaufhaus wird, ist fraglich. Die Eigentümerverhältnisse sind schwierig und man hört, dass es bei der Immobilie einen gehörigen Investitionsstau gibt.

Mayersche: „Es braucht keine Buchhandlung auf 3500 qm mehr“

Andere Unternehmen verringern vor dem Hintergrund des wachsenden Online-Handels ihre Verkaufsflächen deutlich. Dafür steht der Umzug der Mayerschen Buchhandlung, die im März nächsten Jahres die Straßenseite wechselt und in das Schuhhaus Roland zieht.

„Es braucht einfach heute keine Buchhandlung auf 3500 Quadratmetern mehr. Die Kundenerwartung hat sich geändert. Es reichen auch 1500 Quadratmeter“, sagt Vertriebsdirektor Dennis Book. Wer Nachfolger in dem derzeitigen Gebäude wird, ist offen.

Weinhändler Matthias Hilgering freut sich auf mehr individuellen und auch qualitativ ansprechenden Einzelhandel in der City. © (A) Dan Laryea

„Es gab immer ein Auf-und-ab am Westenhellweg. Aber in dieser Form hat es das noch nicht gegeben. Das ist schon eine Sondersituation“, sagt Matthias Hilgering als Chef der gleichnamigen Weinhandlung, die es seit 1959 am Westenhellweg gibt. Und als Mitglied im Vorstand des Cityrings begrüßt er es sehr, dass die Stadt in dieser Sondersituation helfen will.

Das Karstadt-Haupthaus mit der neu gestalteten Fassade bleibt in der City ein wichtiger Publikumsmagnet. © Stephan Schuetze

Nachdem die notorisch klamme Stadt Bremen als eine der ersten Städte Deutschlands schon 13 Millionen Euro zur Rettung ihrer Innenstadt locker gemacht hat, sollen in Dortmund nun 15 Millionen Euro eingesetzt werden - allerdings gestreckt auf fünf Jahre.

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Mit einem ganzen Bündel an Maßnahmen will sich die Stadt der gewaltigen Herausforderung stellen, die die Corona-Pandemie für den Einzelhandel, die Gastronomie, die Wirtschaft und die Stadt insgesamt bedeutet.

Bei neuem Stadtmobiliar, zusätzlicher Begrünung und Beleuchtung, neuen Trinkwasserspendern, frei zugänglichem WLAN-Netz, besseren Sanitärangeboten und mehr Sauberkeit soll es nicht bleiben. Dem derzeitigen Wirtschaftsförderer und OB-Kandidaten der SPD, Thomas Westphal, schwebt vor allem vor, neue Gastro- und Handelskonzepte zu unterstützen.

City-Konzept: Individualität statt Uniformität

„Wir können individuelle Ladenkonzepte fördern und die Neugründung mit städtischen Mitteln unterstützen. So ist es möglich, dass die Fußgängerzone individueller wird“, sagt Thomas Westphal und plädiert dafür, wieder mehr in Viertel und Quartieren zu denken. Darin sieht er unter anderem eine Chance für den Ostenhellweg, den er trotz immer wieder auftretender Leerstände als Handelszone nicht aufgeben will.

Mit seinem Kontrahenten ums OB-Amt, Dr. Andreas Hollstein von der CDU, ist sich Westphal darin einig, dass die Corona-Krise die Chance bietet, die Uniformität der Innenstädte, in denen sich die immergleichen Filialisten tummeln, aufzulösen.

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„Die hohen Mieten haben diese Uniformität geformt“, sagt Andreas Hollstein. Und auch Thomas Westphal sieht in der Miethöhe das zentrale Problem. „Wir müssen zu anderen Mietmodellen kommen“, sagt Westphal.

In den Erdgeschosslagen seien die aufgerufenen Mieten vom Handel kaum zu erwirtschaften. In den oberen Etagen werde es günstiger: „Wir müssen es hinbekommen, das umzudrehen, so dass unten deutlich weniger und oben deutlich mehr Miete erhoben werden kann.“

Viele Eigentümer in Dortmund seien da für Umgestaltungen offen. Dafür müsse die Stadt nicht selber Eigentümer sein und analog zu anderen Städten in Deutschland jetzt unbedingt City-Immobilien kaufen.

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Für Andreas Hollstein ist in der Zukunft ein Dreiklang aus Einkauf, Erlebnis und qualitativ gutem Angebot wichtig. Dazu würde er als neuer OB sofort alle Innenstadtakteure an einen Tisch holen. „Wer in die City kommt“, sagt er, „kommt ja nicht, um etwas zu besorgen - das geht im Internet viel bequemer -, sondern um gleichzeitig auch etwas zu erleben.“

Verschränkung von stationärem Handel und Online-Handel

Etwas von diesem Trend ist in der Innenstadt möglicherweise schon erkennbar. Plötzlich rücken für Modegeschäfte Branchen nach, die bisher kaum in der City vertreten waren.

Das Einrichtungshaus BoConcept beispielsweise, das Möbel in skandinavischem Design bietet, beerbt das Modehaus Deters in den Propstei-Arkaden. „Die innerstädtische Lage ist für uns deshalb interessant, weil wir dem Kunden dort ein einmaliges Einkaufserlebnis bieten. Individuelle Einrichtungsberatung ist eine unserer Stärken“, sagt Guido Rickert, Franchisenehmer von BoConcept.

Das Gerüst am früheren Modehaus Deters steht vielleicht sinnbildlich für den Umbau, der sich in der Dortmunder City abzeichnet. Die Geschäftsräume in den Propstei-Arkaden werden für den Einzug des Einrichtungshauses BoConcept gerade modernisiert. © Peter Wulle

Und auf der anderen Seite des Hansaplatzes zieht das Leuchtengeschäft Light11 in das Ladenlokal des langjährigen Modeanbieters Strenesse ein. Store-Leiter Andreas Oschatz kommt mit seinen Mitarbeitern aus dem Inhouse an der B1 in die City, um den Onlinehandel mit dem stationären Einzelhandel zu verschränken. Er sagt: „Licht ist ein komplexes Thema, das auch unmittelbar erfahrbar sein muss.“

Ein Leuchten-Fachgeschäft statt Mode. Light 11 zieht hier in das Hansa-Carrée ein. © Peter Wulle

Matthias Hilgering vom Cityring freut sich über diese bevorstehenden Neueröffnungen. „Nur durch Individualität und Qualität kann sich die Stadt abheben von anderen“, sagt er. Und hinzukommen müsse eine Aufenthaltsqualität durch Sauberkeit, eine gut funktionierende Gastronomie und Veranstaltungen. „Der nackte Einkauf“, sagt auch er, „wird es langfristig nicht mehr sein, für den Menschen in die City kommen.“

Dirk Rutenhofer ist Vorsitzender des Cityrings Dortmund und freut sich, dass die Stadt dem Einzelhandel mit einem Sofortprogramm helfen will. „Die Frage ist, wie das Geld verwendet wird“, sagt er. © (A) Stephan Schuetze

Cityring-Vorsitzender Dirk Rutenhofer begrüßt ein Engagement der Stadt Dortmund sehr. Junge Firmengründer und ihre Geschäftsideen zu unterstützen, hält er für einen guten Ansatz.

„Es darf aber kein Aktionismus stattfinden. Man muss schon die Geschäftsideen prüfen und gucken, ob sie am Ende auch tragen“, so Rutenhofer. Leerstände in kleineren Ladenlokalen könnten so auf jeden Fall vermieden werden. „Und um die großen Gebäude mache ich mir weniger Sorgen. Dafür ist Dortmund ein starkes Einzelhandelszentrum und die Mieten werden sich regulieren.“

Kommen Baumärkte und Gartencenter in die City?

Auch, wenn auf dem Westenhellweg längst wieder ein Menschenstrom wie vor der Corona-Krise unterwegs ist, die Umsätze in den Geschäften erreichen zurzeit laut Handelsverband Westfalen-Münsterland etwa 80 Prozent des Vorjahresniveaus.

„Die Textilbranche leidet in besonderem Maße, aber ein echtes Ladensterben sehe ich in Dortmund nicht“, sagt Thomas Schäfer, der Geschäftsführer des Verbandes.

Das Dessous-Geschäft Intimissimi zieht am Westenhellweg um und wechselt von diesem Standort nahe Galeria Kaufhof in die Räume des bisherigen Schmuckgeschäft „I am" in Höhe des Alten Marktes. © Peter Wulle

Gleichwohl sieht der Handelsexperte in der City von morgen auch mehr Individuelles und Anderes – unter anderem Kleinflächen-Sortimente von Baumärkten. „Selbst Gartencenter wären möglich“, sagt Thomas Schäfer. Während er sich vorstellen kann, dass die dort ausgesuchten Produkte anschließend vom Händler nach Hause geliefert werden, pocht Weinhändler Matthias Hilgering auf eine weiter gute Erreichbarkeit der Geschäfte mit dem Auto. „Ob kostenlose Nahverkehrstickets oder breite Fahrradspuren, die Entwicklung darf nicht komplett zu Lasten des Autofahrers gehen. 12 Flaschen Wein trägt niemand in eine Straßenbahn“, so Hilgering.

Dass es bei der Neustrukturierung der City, die sich im digitalen Zeitalter vom reinen Handels- und Kommerzzentrum zu einem vielfältigen Lebens- und Erlebensraum wandeln muss, um ein komplexes Problem geht, macht ein Gespräch mit Prof. Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhein deutlich. „Wenn es überhaupt zu lösen ist“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler, „dann nur mit tiefgreifenden Maßnahmen.“

„Wer Handel haben will, muss auch Autos wollen“

Dortmund gehöre mit einigen anderen Großstädten in Deutschland, so Prof. Heinemann, weltweit zu den Städten mit der höchsten Verkaufsflächenzahl pro Einwohner. „Die nun frei werdenden Flächen werden nicht wieder mit vergleichbarem Einzelhandel belegt. Da müssen die Städte umdenken“, sagt er, der als „urbaner Vordenker“ gilt, und schlägt vor: „Auch in Dortmund wird es so sein, dass es zu wenig bezahlbaren Wohnraum gibt, der nun zu vielen Einzelhandelsflächen gegenübersteht. Da für eine schnelle Umnutzung zu sorgen, dabei können die Städte unterstützen.“

Wie Thomas Schäfer sieht auch Prof. Gerrit Heinemann die Zeit gekommen, um ganz andere Branchen der bisherigen Dominanz der Textilbranche entgegenzustellen. „Man sollte in der Tat versuchen, den Möbelhandel oder Baumärkte, die jahrzehntelang auf die grüne Wiese abgeschoben wurden, in die City zu holen. Man könnte zum Beispiel Geld dafür einsetzen, um Ikea auf einer verkleinerten Fläche mit einem vorausgewählten Sortiment in das Kaufhof-Warenhaus zu holen.

„Außerdem fehlen auch Lebensmittelgeschäfte in der Innenstadt“, sagt Prof. Heinemann und ergänzt abschließend: „Klar muss sein: wenn eine Stadt weiter Handel in der City haben möchte, dann muss sie auch Autos haben wollen oder ihren öffentlichen Nahverkehr aufrüsten und für Familien preislich lukrativ machen.“

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