Das Gehen fällt Alan Mehovic immer noch schwer. Die Füße wollen nicht so, wie er will, das Gefühl für seine Gliedmaßen fehlt ihm immer noch. Seit mehr als einem Jahr ist er in Behandlung. Ende 2023, als er sich nur mithilfe von Freunden ins Dortmunder Krankenhaus schleppen kann, weil ihm Füße und Beine versagen, sind die Ärzte ratlos: Wieso kann ein 29-Jähriger schon so schwere Nervenschäden haben? Die Diagnose - Polyneuropathie, also das Versagen mehrerer peripherer Nerven im Körper - werde eigentlich eher bei Rentnern gestellt, erklärten ihm die Ärzte damals. Erst Alan selber gibt den entscheidenden Hinweis: Über zwei Jahre hatte er exzessiv Lachgas konsumiert. Eine Partydroge, die unter Jugendlichen im Trend liegt.
Dortmund verbietet Verkauf an Jugendliche
So erzählt Alan heute seine Geschichte. Inzwischen sagt der Dortmunder: „Nie wieder Lachgas!“ Er hat eine E-Mail mit seiner Geschichte an Stern TV geschrieben, die darauf eine Kurzdoku mit ihm drehten. Wenig später sitzt er beim selben Sender zusammen mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in einer Talkrunde und diskutiert über das geplante bundesweite Verkaufsverbot von Lachgas an Minderjährige.
Inzwischen ist die Stadt Dortmund dem vorher gekommen und hat als erste Kommune Deutschlands den Verkauf an Jugendliche verboten, ab 15. Februar. Er habe sich über die Entscheidung gefreut, sagt Alan, der in der Dortmunder Nordstadt aufgewachsen ist. „Denn es sind ja mehr die Minderjährigen als die Erwachsenen, die Lachgas konsumieren. Die wissen gar nicht, was sie ihrem Körper damit antun. Wenn die nicht damit aufhören, werden die irgendwann im Rollstuhl landen.“
Mehrere Flaschen pro Nacht
So wie auch er beinahe im Rollstuhl gelandet wäre. Das erste Mal, so erzählt er, probierte er Lachgas, als er 27 Jahre alt war. „Durch Freunde, nebenbei im Auto. Es hat mit den kleinen 640-Gramm-Flaschen angefangen und sich dann gesteigert. Am Ende waren es die großen Tanks mit 2,7 Kilogramm. Und davon wurden in einer Nacht zusammen mit Freunden gut fünf bis sieben Flaschen plattgemacht.“ Kein günstiges Vergnügen - pro Nacht gingen auchmal bis zu 700 Euro für insgesamt drei oder vier Leute drauf.

An das Gas zu kommen, war kein Problem. Die Flaschen sind frei verkäuflich und an fast allen Kiosken zu bekommen, teils auch an Automaten oder über Lieferdienste. Teils bieten Bars und Cafés die Ballons sogar selber zum Verkauf an. „Es wirkte harmlos und fühlte sich so an, wie wenn man sich den Hals zudrückt und kurz bewusstlos wird.“ Ein kurzer Kick also, der nur wenige Sekunden anhält. „Man war für ein paar Sekunden weg.“
Kribbeln in Fingern und Zehen
„Die Wirkung hat sich aber mit der Zeit verändert“, sagt Alan. „Irgendwann machte es mich psychisch abhängig.“ Depressionen, Magenprobleme, Bewusstlosigkeit, Halluzinationen - das alles seien mit der Zeit Folgen seines exzessiven Lachgaskonsums geworden.
Die ersten Symptome kamen nach einer langen Partynacht. Alans Finger und Zehen fingen an zu kribbeln. „Ich dachte erst, das wären die ganz normalen Nebenwirkungen von Lachgas. Man kannte das ja schon, auch dass man zwei, drei Tage nichts Richtiges mehr essen konnte, weil der Geschmack im Mund fehlt. Aber dann hat dieses Kribbeln nicht mehr aufgehört, sondern hat immer mehr zugenommen. Es ging von den Zehen hoch bis zum halben Bauch. Ich konnte höchstens vom Bett bis zur Toilette laufen, Treppen waren unmöglich für mich.“
Schwere Schäden am Rückenmark
Trotzdem suchte sich Alan anfangs keine Hilfe. „Ich dachte: Das geht schon wieder weg. Man will sich ja nicht so einfach eingestehen, dass mir so etwas passiert ist.“ Erst nach zwei Monaten überwindet er sich, ins Dortmunder Klinikum zu gehen, inzwischen aufgrund der mangelnden Bewegung mit rund 20 Kilo mehr auf den Rippen. „Da waren die Schäden an den Nerven schon weit fortgeschritten. Das Rückenmark war angegriffen, und das hat die Nerven in den Beinen und Füßen zerstört.“
Die Dortmunder Leiterin der neurologischen Klinik Gisa Ellrichmann-Wilms hat Alan Mehovic behandelt. Auf einem MRT-Bild zeigt sie, wie im oberen Bereich des Rückenmarks am Übergang zum Gehirn Nervenzellen abgestorben sind, weil das konsumierte Lachgas die Aufnahme des Vitamins B12 gehemmt hat. Das Vitamin braucht der Körper unter anderem, um Nervenhüllen aufzubauen. Die Veränderung am Rückenmark kann auch zu Lähmungen und Sensibilitätsstörungen im peripheren Nervensystem führen, also jenen Nerven außerhalb von Gehirn und Rückenmark, beispielsweise in Händen und Füßen.
Immer mehr Lachgas-Patienten
Extreme Nervenschädigungen aufgrund von Lachgas-Konsums wie bei Alan sind auch in der Neurologie nicht alltäglich. Zwischen zehn und zwölf Patienten, die nach regelmäßigem Lachgaskonsum Schäden an den Nerven hatten, habe sie im Jahr 2024 gehabt, alle im Alter zwischen 18 und 30 Jahren, schildert Ellrichmann-Wilms. Auch in der Kinder- und Jugendmedizin gab es bereits entsprechende Fälle. Keinem Patienten sei um die Gefahr seines Konsums bewusst gewesen.

Das Phänomen ist zwar nicht neu - schon in den 1830er Jahren gab es in England Lachgaspartys - doch erst in den letzten zwei Jahren hätten sich in der Dortmunder Neurologie die Fälle gehäuft. Die Patienten berichteten über ein Kribbeln in den Gliedmaßen bis hin zu höhergradigen Lähmungen, teils kamen auch Konzentrations- oder Gedächtnisstörungen hinzu. Im extremsten Fall lag ein Patient im Bett und konnte nicht mehr laufen - wie bei Alan. „Das war definitiv auf den Konsum von Lachgas zurückzuführen und wäre vermeidbar gewesen“, so die Ärztin.
Langzeitschäden werden bleiben
Lachgas ist zwar nicht ab dem ersten Konsum gefährlich, doch einen Schwellenwert, ab wann Schäden entstehen können, gibt es nicht. „Es ist immer eine Frage der Menge, aber sobald Symptome auftreten, sollte der Lachgas-Konsum sofort eingestellt werden“, so die Neurologin. Um den Vitamin-Mangel auszugleichen, können unter ärztlicher Kontrolle B12-Tabletten eingenommen werden oder als Spritze verabreicht werden.
Alan Mehovic ist nun seit zwei Jahren in Behandlung. Inzwischen kann er wieder Auto fahren und sich zu Fuß fortbewegen. „Er kann zwar wieder laufen, aber für einen jungen Menschen ist es noch weit weg von normal“, sagt die Ärztin. „Sind Nervenbahnen einmal komplett geschädigt, können sie sich nicht mehr regenerieren. Aber je jünger der Körper ist, umso mehr Möglichkeiten gibt es, dass andere Nervenbahnen die Funktionen übernehmen können. Die Alltagseinschränkungen von Herrn Mehovic werden sicherlich noch weiter zurückgehen, aber ich gehe auch von langfristigen Schädigungen aus.“
Momentan ist Alan noch arbeitsunfähig, doch er hofft, bald wieder arbeiten gehen zu können. Bis dahin will er andere vor Lachgas-Konsum warnen, zum Beispiel über die Stern TV-Reportage und über andere Medien. Auch die Stadt Dortmund hat Kontakt zu ihm aufgenommen und erstes Interesse gezeigt, seine Geschichte für Präventionsmaßnahmen zu verwenden. „Ich musste zunächst über meinen Schatten springen, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Aber mit dem Verkaufsverbot in Dortmund habe ich jetzt auch gesehen, dass mein Entschluss richtig war und Wirkung zeigt.“
Dieser Artikel erschien ursprünglich am 16. Februar 2025.