Luxus sieht anders aus. Der 30-jährige Maschinenbau-Student Lars Urban teilt sich Dusche und Badezimmer seiner 25-Quadratmeter-Wohnung im vierten Stock eines Gründerzeit-Hauses im Kreuzviertel mit seinen Flurnachbarn. Bis zu acht Parteien nutzen je nach Etage dieselben Sanitäranlagen in dem Haus am Neuen Graben 20. Viele Studenten wohnen dort, die es bis zum Hintereingang der Dortmunder Fachhochschule nur einmal über die Straße haben. Als Student musste sich Urban nie um einen Job bemühen, erzählt er, denn die Warmmiete lag gerade einmal bei 250 Euro. Er wäre gern noch einige Jahre in der Wohnung geblieben.
Wohnungen sollen größer werden
Doch kurz vor Weihnachten ist damit Schluss. Der Vermieter Casa Sogno, eine Immobilienfirma aus Dortmund, die das Haus vor drei Jahren gekauft hat, kündigt zunächst den 27 Hausbewohnern die Mietverträge oder lässt bereits befristete Verträge auslaufen. Binnen drei Monaten müssen alle Mieter raus. Leonard Sträter, Chef von Casa Sogno, begründet das im Kündigungsschreiben mit einer „Verwertungsabsicht“: „Es ist geplant, das Gebäude umfassend zu sanieren und energetisch zu modernisieren“, mit dem Zusatz: Von den 27 Wohnungen sollen nur noch vier Stück übrig bleiben, eine pro Etage, mit Wohnflächen zwischen künftig 125 und 180 Quadratmetern.

Casa Sogno hat sich in den vergangenen Jahren damit einen Namen gemacht, schöne alte, teils unter Denkmalschutz stehende Häuser in Dortmund zu kaufen, die enthaltenen Wohnungen zu sanieren, zu modernisieren und dann als Eigentumswohnungen zu verkaufen. Allein im Kreuzviertel hat das Unternehmen laut eigener Aussage in den vergangenen zwölf Jahren eine „niedrige zweistellige Zahl an Objekten“ erworben und aufgewertet. Zum Beispiel das auffällige rot-weiß-gestreifte Eckhaus an der Ecke Kreuzstraße/Arneckestraße, dem Casa Sogno zwei weitere, äußerlich stark im Kontrast zum restlichen Gebäude stehende Stockwerke aufgesetzt hat. Oder auf der Kreuzstraße 99, wo die kleinste Wohnung des Hauses derzeit für 300.000 Euro noch zum Verkauf steht. Die Firma bietet in Dortmund aber auch kleinere und günstigere Wohnungen an.
Beeindruckende Außenfassaden
Die Gebäude im Kreuzviertel machen von außen ordentlich Eindruck. Bestes Beispiel ist die sanierte Stadtvilla auf dem Neuen Graben 11, dessen stuckverzierte und nachts angeleuchtete Fassade so manchen Kreuzviertel-Bewohner immer wieder staunen lässt. Mieter zahlen dort laut eigener Aussage mehr als 15 Euro kalt pro Quadratmeter, zum Beispiel 1.300 Euro für eine 73-Quadratmeter-Wohnung. Zum Vergleich: Im Kreuzviertel lag die durchschnittliche Angebotsmiete 2023 bei rund 9,70 Euro und damit bereits 1,20 Euro über dem Dortmunder Schnitt.

„Ich verstehe, dass unser Haus saniert werden muss“, sagt Urban. „Aber ich verstehe nicht, dass man 27 Studenten direkt gegenüber der FH herausschmeißt, um hier Luxuswohnungen einzurichten.“
Er und manche seine Mitmieter müssen Abschied nehmen vom Kreuzviertel. Der Wohnungsdruck in dem beliebten Viertel ist groß, günstige Wohnungen findet man dort kaum noch - schon gar nicht binnen drei Monaten. Und auch die im Kreuzviertel ansässige Gemeinnützige Wohnungsgenossenschaft, die teils eine Miete von nur fünf Euro pro Quadratmeter fordert, nimmt längst keine neuen Mitglieder mehr auf.
Kündigung rechtlich fragwürdig
Im ursprünglichen Kündigungsschreiben machte Casa Sogno Druck: Wer seine Wohnung bis zum 28. Februar nicht verlassen hat, dem droht das Unternehmen vorsorglich mit einer Räumungsklage. Wer sogar schon bis Mitte Januar raus ist, also anderthalb Monate nach Erhalt der Kündigung, dem bietet das Unternehmen 3.000 Euro Entschädigung. Casa Sogno räumt den Mietern eine Bedenkfrist von etwas mehr als einer Woche ein.
Die Immobilienfirma spiele mit der Angst ihrer Mieter, meint Markus Roeser, wohnungspolitischer Sprecher des Mietervereins Dortmund. Denn gegen das Kündigungsschreiben hätten die Mieter erfolgreich vorgehen können, so seine Einschätzung.
Eine Kündigung wegen „Verwertungsabsicht“ müsse umfassend begründet werden und sei nicht so leicht umsetzbar wie eine Kündigung wegen Eigenbedarfs oder ausbleibender Mietzahlungen. „Der Vermieter muss quasi zeigen, dass das Haus auseinander bröckelt und es für ihn wirtschaftlich untragbar ist, das Haus in der gegenwärtigen Form weiterzuführen.“ Das habe Casa Sogno aus seiner Sicht nicht getan.
Casa Sogno nennt bauliche Mängel wie etwa das Fehlen eines zweiten Rettungsweges als Grund, warum das Haus unter Räumung sämtlicher Wohnungen saniert werden muss. Zudem sei die Nutzung mit 27 Wohnungen nie genehmigt gewesen. Das sei laut Firmenchef Leonard Sträter aber erst bei einer kürzlichen Akteneinsicht aufgefallen. Über einen Anwalt lässt er mitteilen: „Die Wiederherstellung des Ursprungszustands ist wirtschaftlich, baulich und baurechtlich die einzig vernünftig umsetzbare Lösung.“
„Vorgehen ist ein Skandal“
Die Immobilienfirma habe außerdem die Kündigungsfristen nicht korrekt eingehalten, so Markus Roeser. Zumindest dem Mieter Lars Urban, der bereits mehr als fünf Jahre in dem Gebäude wohnt, hätte eine Kündigungsfrist von sechs statt drei Monaten zugestanden. „Ein glaubwürdig klingendes Kündigungsschreiben reißt aber viele Mieter in Aktionismus“, so Roeser. „In Anbetracht der angespannten Wohnungsmarktsituation ist dieses Vorgehen ein Skandal.“
Casa Sogno betont, dass alle Mieter das Angebot über 3.000 Euro angenommen hätten und einvernehmliche Aufhebungsverträge unterschrieben hätten. Dadurch traten die ausgesprochenen Kündigungen nie in Kraft und die Mieter zogen vorzeitig aus. Die gezahlte nEntschädigung übersteige zudem die obligatorische Summe und es seien sogar Ersatzwohnungen angeboten worden.
Neu ist dieses Vorgehen im Kreuzviertel jedoch nicht. Petra Bank von der Wohnungsberatung des Kreuzviertel-Vereins erinnert sich an einen Immobilienhändler, der in den 80er-Jahren Häuser im Viertel aufgekauft, die Wohnungen günstig modernisiert, teuer weiterverkauft und die bisherigen Mieter dafür „auf übelste Weise rausgeschossen“ habe. „Die gewachsenen Strukturen - dass man sich als Nachbarn gegenseitig unterstützt - gingen dadurch kaputt“, sagt sie. Viele Bewohner würden bereits seit ihrer Geburt im Viertel leben und täten sich im Alter mit einem Umzug schwer.
Kreuzviertel verändert sich
Und auch das Viertel habe sich dadurch verändert: „Irgendwann waren die Bäcker und Lebensmittelgeschäfte weg, dafür kamen Cafés, Restaurants und Weinläden.“ Denn gut ausgestattete Eigentumswohnungen, wie sie auch Casa Sogno anbietet, würden eher von „jungen Studierten mit guten Jobs“ gekauft.
An der Möllerbrücke, wo Casa Sogno derzeit 13 Eigentumswohnungen ab 300.000 Euro vermarktet, könne man künftig abends kein Bier mehr trinken, befürchtet Petra Banks Kollege Jan Hoppmann. „Das dort einziehende Klientel wird Ansprüche stellen, und das wird Konflikte geben.“ Auch dort hatte Casa Sogno den bisherigen Mietern Geld angeboten, damit sie ausziehen.
Kein Verlust von Mietwohnungen
Allerdings: Umwandlung in Eigentumswohnungen bedeute nicht zwangsläufig, dass Ortsfremde die Wohnungen kauften, meint ein 42-Jähriger Wohnungseigentümer des Hauses auf der Ecke Kreuzstraße/Arneckestraße. So lebe er selber mit seiner Familie wie die meisten Eigentümer in dem Haus schon seit vielen Jahren im Kreuzviertel, einst zur Miete, nun eben als Eigentümer.
Das bestätigt auch das Wohnamt der Stadt Dortmund: Zwar wurden im Jahr 2023 mit 70 Angeboten so viele Eigentumswohnungen im Kreuzviertel zum Verkauf inseriert wie in keinem Jahr zuvor. Dadurch stünden aber nicht automatisch weniger Mietwohnungen zur Verfügung.
„Oft ziehen in die Eigentumswohnungen Menschen ein, die zuvor dort oder woanders zur Miete gewohnt haben und die ehemaligen Wohnungen werden somit frei.“ Seit 2020 sind im Kreuzviertel und im Bereich Westfalenhalle zudem viele Ein- und Zweiraumwohnungen dazugekommen.
Eine Eigentumswohnung jedoch kann und will sich nicht jeder leisten. Casa Sogno liegt mit seinen aktuellen Inseraten etwas über dem durchschnittlichen Preis für eine Eigentumswohnung im Kreuzviertel von rund 3.400 Euro pro Quadratmeter.
Lars Urban gehört nicht zu jenen. Er hat die Entschädigungssumme über 3.000 Euro angenommen und verlässt seine Wohnung binnen anderthalb Monaten. Über Kontakte hat er eine neue, wenn auch teurere Wohnung im Saarlandstraßenviertel gefunden. Mietnachbar Nathaniel Pangan zieht zunächst zurück zu seiner Mutter. Einige sind in Ersatzwohnungen des Vermieters untergekommen. Andere suchen noch.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 12. Januar 2025.