Natalia und Mikhailo sind bemüht, mit ihrer sechsjährigen Tochter fürs Foto zu lächeln. Die Müdigkeit und die Anstrengung der vergangenen Wochen können sie im Gesicht aber nicht verbergen.
„Wir dachten erst, der Krieg sei schnell vorbei“, sagen sie auf Ukrainisch. Ein Dortmunder, der sich um sie kümmert, übersetzt. Die Familie wollte in ihrer Heimatstadt Winnyzja, südwestlich von Kiew, bleiben. Tochter Veronika sollte zu Hause eingeschult werden.
Es kam auch der Tag der Einschulung: „Aber nach 15 Minuten gab es Fliegeralarm.“ Die Stadt, die etwa so groß wie Bochum ist, ist ein Ziel von russischen Luftangriffen geworden: „In unserer Nähe gibt es ein Kraftwerk, das mit Raketen beschossen wurde“, erzählt die Mutter.
Ein weiteres großes Hemmnis zur Flucht: Anfang Juni bekam Natalia die Diagnose Brustkrebs. Der aggressive Tumor musste schnell entfernt werden. Die beiden 41-jährigen Vertriebsmanager hätten bis dahin Geld gespart wie jede durchschnittliche Familie, sie seien weder arm noch reich gewesen. Doch die Krebs-Behandlung sei sehr teuer gewesen.
Flucht per Auto im Dezember
Bis Oktober gab es Chemotherapie. Im Dezember packten die drei dann doch ihre Sachen und fuhren im Auto nach Bochum. Über Chatgruppen hätten sie gehört, dass dort Flüchtlinge aufgenommen würden. Am Tag der Registrierung seien sie von dort direkt ins Münsterland gebracht worden.
Drei Wochen lang wohnten sie in einer Notunterkunft, in der es Essen und Taschengeld gab. Dann seien sie Dortmund zugeteilt worden. Und nachdem die eigenen Ersparnisse restlos aufgebraucht waren, kamen sie mit komplett leeren Portemonnaies an.
Im Lauf des vergangenen Jahres ist das Prozedere für neu ankommende Menschen aus der Ukraine bundesweit geändert worden. Seit Juni ist das Jobcenter für sie zuständig: Sie wechselten vom Asylbewerberleistungsgesetz in die Grundsicherung (Zweites Sozialgesetzbuch).
Seitdem gebe es keine sofortigen Geldzahlungen mehr bei der Ankunft, erzählen die Dortmunder, die die Familie unterstützen. Sie möchten ihre Namen nicht veröffentlichen, weil sie befürchten, benachteiligt zu werden, nachdem sie sich an unsere Redaktion gewandt haben.

Wer sich bei der Stadt Dortmund registrieren will, brauche Passfotos, erzählen die Helfer. Die kosten in der Berswordt-Halle 8 Euro pro Person. Parkgebühren oder Kosten für Bahntickets werden beispielsweise auch fällig.
Doch Geld gebe es erst mit bestätigtem Aufenthaltstitel und nach wochenlanger Bearbeitung des Jobcenters. Einen Vorschuss dürfe man dort nicht herausgeben. Bis dahin brauchen alle Neuankömmlinge aus dem Kriegsgebiet offenbar Eigenkapital, das wochenlang reicht.
„Ohne Hilfe kommen die nicht klar“
„Sie haben aber gar kein Geld“, sagt der Dortmunder Helfer: „Die können nicht so lange warten.“ Hinzu kämen noch ganz simple Schwierigkeiten bei der Antragstellung und Sprachprobleme, persönliche Ansprechpartner würden fehlen: „Ohne Hilfe kommen die gar nicht klar.“
Die Anmeldung hätte auch bereits deutlich früher in den anderen Städten geschehen können. Man muss sich aber erst einmal mit dem System auskennen, eine weitere Voraussetzung für die Jobcenter-Genehmigung sei etwa, ein Bankkonto zu haben.
Ultraschall bald notwendig
Dabei ist Eile geboten. Erst mit der Bestätigung des Jobcenters könne sich die Familie bei der Krankenkasse anmelden. Und erst dann seien Arztbesuche möglich, die keine absoluten Notfälle sind. Doch Natalia braucht die Krebs-Nachsorge: „Diesen Monat sollte noch ein Ultraschall gemacht werden“, sagt sie.
Weil sich die betreuenden Dortmunder schon lange in der Flüchtlingshilfe engagieren, haben sie sich bereits an verschiedenen Stellen beschwert und um schnelle Gesprächstermine gerungen: „Das hat bislang aber auch absolut nichts gebracht.“
Das Team des Jobcenters gibt zu: „Das gesetzliche Verfahren ist an vielen Stellen leider noch sehr kompliziert.“ Auch vorläufig bewilligte Leistungen seien nur möglich, „wenn grundlegende Unterlagen eingereicht wurden“. Bei Mittellosigkeit biete man Notfalltermine an, wonach Zahlungen möglich seien - aber nicht sofort in Form von Bargeld.
„Wir sind uns bewusst, dass die Finanzierung medizinischer Behandlungen eine große Belastung darstellen kann“, sagt Jobcenter-Sprecher Sebastian Bröker. Er bittet die betroffene Familie, „sich direkt an uns zu wenden, damit wir ihr weiterhelfen können“. Dort muss sie offenbar persönlich erscheinen, was wiederum Fahrtkosten bedeutet.
Großzügige Regelungen?
„Oftmals haben die Krankenversicherungen großzügige Regelungen und stellen Behandlungsscheine aus, wenn zumindest der Aufenthaltstitel nachgewiesen wird“, sagt Bröker. Auch diesen Weg habe man bereits erfolglos probiert, so der Betreuer.
Natalias und Mikhailos Glück ist, dass die Helfer bereits aus eigener Tasche Geld vorgestreckt haben. Sie seien aber bei Weitem kein Einzelfall, sagen diese: „Das ist ein Problem, das so nicht weitergehen kann.“
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