NRW-Finanzierung führt zum Kita-Kollaps „Wir können nicht mehr so viel Personal vorhalten“

Der wahre Grund für gekürzte Angebote in Dortmunds Kitas: Eine Terminfrage hat fatale Folgen
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„Es ist ein generelles politisches Problem, dass das System einfach nicht auskömmlich finanziert ist“, sagt Kathrin Büttner aus der Geschäftsleitung des Caritasverbandes Dortmund.

Das klingt sehr weit weg, theoretisch und abstrakt, aber niemand sollte sich täuschen. Das hat in Dortmund ganz konkrete und schwerwiegende Folgen für die Eltern von Kita-Kindern: wegen Personalmangels verkürzte Öffnungszeiten, geschlossene Gruppen, Notbetreuung. In der Folge dann verzweifelte Väter und Mütter, die nicht wissen, wo sie ihre Kinder unterbringen sollen, um nicht schon wieder Ärger mit ihrem Arbeitgeber zu bekommen.

Der Kern des „politischen Problems“ im „System“, von dem Kathrin Büttner spricht, lässt sich ganz einfach übersetzen: Die Kitas erhalten nicht genug Geld, um das zu leisten, was sie leisten sollen. In diesem Punkt sind sich alle 78 Träger der 333 Kindertageseinrichtungen in Dortmund einig.

Was sich auf den ersten Blick wie die übliche Klage über „zu wenig Geld“ anhört, die man auch aus Schulen oder von diversen Akteuren aus Kultur, Bildung, Sport, Gesundheit und anderen Bereichen kennt, liegt in diesem Fall etwas anders, dafür aber mit umso gravierenderen Folgen. Um das nachvollziehen zu können, muss man wissen, wer eigentlich die Kosten für die vielen Kitas in jedem Ort bezahlt. Das ist – wie in Deutschland ja eigentlich immer – ein wenig kompliziert.

Drei Säulen tragen die Finanzierung der Kitas in NRW

Dabei ist es zunächst grundsätzlich so, dass die Kosten für die Betreuung von Kindern in Kindertagesstätten oder in der Kindertagespflege auf mehreren Schultern lasten:

1. Der größte Anteil an der Finanzierung kommt vom Staat. Das Land teilt sich dabei die Betriebskosten mit den Städten und Gemeinden. Dabei erhalten die Kitas für jeden vergebenen Platz eine Pauschale, die sich nach der Gruppenform und der Betreuungszeit richtet. Diese Pauschalen werden vom Land NRW festgesetzt und – so sieht es das „Kibiz“, das Kinderbildungsgesetz vor – jährlich an die Kostenentwicklung angepasst und darin steckt eines der größten Probleme. Dazu später mehr.

Kathrin Büttner aus der Geschäftsleitung und Dirk Knüvener aus der Fachbereichsleitung des Caritasverbandes
Kathrin Büttner aus der Geschäftsleitung und Dirk Knüvener aus der Fachbereichsleitung des Caritasverbandes begründen die Einschränkung von Betreuungszeiten in den zwölf Kitas der Caritas in Dortmund mit den schwierigen finanziellen Rahmenbedingungen. © Collage: Breulmann

2. An den Kosten müssen sich auch die Träger beteiligen. Prinzipiell ist es so, dass kirchliche Träger 10,3 Prozent der Kosten tragen, freie Träger wie beispielsweise das Rote Kreuz oder die AWO tragen 7,8 Prozent und Elterninitiativen steuern 3,4 Prozent der Kosten bei.

So läuft die Kostenaufteilung im Prinzip. In Dortmund ist das allerdings seit 2011 Geschichte. Da sich viele Träger unter diesen Voraussetzungen außerstande sahen, weitere dringend benötigte Kita-Plätze zu schaffen, entschied die Stadt: Ab 2011 übernimmt die Stadt den Trägeranteil für jeden zusätzlich geschaffenen Kita-Platz.

Wie viele Plätze inzwischen darunter fallen, halte man nicht nach, teilte die Stadtverwaltung auf Anfrage mit. Was man wisse: Für diesen Zweck habe die Stadt 2024 rund 6,4 Millionen Euro an die freien Träger überwiesen.

Wie gesagt: Da geht es um neue Plätze, nicht um die teils seit Jahrzehnten bestehenden. Da müssen die Träger weiter ihren Teil bezahlen. Allerdings betont die Stadt, dass auch diese Träger für den Erhalt bestehender Einrichtungen Zuschüsse der Stadt erhalten.

3. Die dritte Säule der Finanzierung sind die Elternbeiträge. Jede Stadt und jede Gemeinde legt die Höhe der Beiträge selbst fest und entscheidet auch in Eigenregie über die Staffelung der Beitragshöhe. Die richtet sich grundsätzlich nach dem Einkommen der Eltern. Für die beiden letzten Kita-Jahre vor der Einschulung brauchen die Eltern keine Beiträge mehr zu bezahlen.

Im Löwenanteil der Finanzierung, der vom Land festgesetzten Pauschale für jeden Kita-Platz, steckt das Hauptproblem, mit dem die Träger zu kämpfen haben und das in der Folge auch den Eltern das Leben schwer macht. Thorsten Herrmann ist Geschäftsführer der „Katholische Kindertageseinrichtungen Ruhr-Mark gGmbH“. Sie betreibt im Dortmunder Raum bis nach Schwerte, Lünen und Herne 86 Kitas. Er erläutert, warum viele Kitas gerade jetzt so große Probleme haben.

Die Sache mit den Kibiz-Pauschalen

Die Kibiz-Pauschalen pro Platz habe das Land in den vergangenen Jahren zwar immer wieder angepasst, aber: „In der Refinanzierung ist immer ein zeitlicher Verzug mit dabei. Die Pauschale für das nächste, im August beginnende neue Kita-Jahr 2025/ 2026 wird um 9,49 Prozent erhöht“, sagt Herrmann.

Das Problem: „Die Berechnung dieser Erhöhung der Pauschale basiert auf den Entwicklungen der vorhergehenden Zeit, sie berücksichtigt aber nicht die Preiserhöhungen seit der Festlegung des Satzes im vergangenen Jahr und auch nicht die jetzt anstehenden möglichen Tariferhöhungen. Das sieht das finanzielle System gar nicht vor.“

Unterm Strich bedeute das, dass die Kitas zusätzliche Kosten quasi selbst tragen müssen. Zum einen hänge man bei diesem Vorgehen den tatsächlichen, aktuellen Kosten immer hinterher. Zum anderen sei eine Nachzahlung nicht vorgesehen: „Diese Lücke, die wir dadurch immer haben, ist nicht geschlossen“, sagt Herrmann. Das sei ein grundsätzlicher Fehler im System. „Wir warten schon über ein Jahr auf eine Reform“.

Die konkreten Auswirkungen in den Kitas seien schwerwiegend, erläutert Herrmann: „Wir können nicht mehr so viel Personal vorhalten, wie wir das früher gemacht haben. Da lagen wir 15 Prozent über der gesetzlichen Mindestforderung.“ Das könne man sich nicht mehr leisten.

Die Folge: Der finanzielle Spielraum für die Träger der Kitas ist sehr schmal, denn das Land macht genaue Vorschriften, wie viel Personal mit welcher Qualifikation in welcher Gruppe mindestens vorhanden sein muss. „Die Personalplanung ist so zu gestalten, dass die Mindestbesetzung auch in Ausfallzeiten (z.B. aufgrund von Krankheit sichergestellt ist“, erläutert Juliana Stockheim, Pressesprecherin im nordrhein-westfälischen Ministerium für Kinder und Familie, auf Anfrage.

Was das in der Praxis bedeutet, macht Dirk Knüvener aus der Fachbereichsleitung Kindertagesbetreuung der Caritas klar: „Wir sind durch unsere Aufsichtsbehörde, das Landesjugendamt, aufgefordert, den Mindestpersonalschlüssel vorzuhalten. Und das tun wir. Und wenn wir darunter fallen, müssen wir das anzeigen. Und wenn es so dünn wird, dass wir die Aufsichtspflicht nicht mehr gewährleisten können, kommt es eben leider auch zu Gruppenschließungen oder der Zusammenlegung von Gruppen.“

Dass sich an der Finanzierung der Kitas in NRW grundsätzlich etwas ändert, das fordern nicht nur die Träger, sondern auch Eltern und Gewerkschaften.

David Staercke, Gewerkschaftssekretär bei Verdi, sagt: „Die zeitverzögerte Finanzierung ist ein großes Problem. Da brauchen wir vom Land dringend eine Anpassung im Kibiz, wie Fallpauschalen zu berechnen sind. Die einzelnen Fraktionen im Land reden auch immer davon, aber so richtig Licht am Ende des Tunnels sehe ich da noch nicht.“

In Sachen Kita-Finanzierung gilt Bayern als Vorbild

Anfang Januar prangerte das „Kita-Bündnis NRW“, das rund 8.000 Kitas von freien Trägern vertritt, erneut an, dass die Erhöhung der Platzpauschale viel zu spät ankomme und zudem „die realen Lohn- und Sachkostensteigerungen bei weitem“ nicht auffange. Dabei gehe es durchaus auch anders, erläuterte das Bündnis und verwies auf Bayern. Dort gebe es jeweils eine „vorläufige Erhöhung“ der Sätze und die werde dann im Laufe des Jahres bei Bedarf noch einmal korrigiert.

Ministerin Josefine Paul: „So viele Plätze wie noch nie“

In einer Stellungnahme für unsere Redaktion bekräftigte NRW-Familienministerin Josefine Paul, es sei „Priorität“ der Landesregierung, „Stabilität und Verlässlichkeit in das System zu bringen“.

Dafür habe man in den vergangenen Jahren verschiedene „Maßnahmen zur personellen wie finanziellen Unterstützung“ ergriffen: „Im Haushaltsjahr 2025 stellen wir 5,7 Milliarden Euro für die frühkindliche Bildung bereit – so viel wie nie zuvor. Es geht uns insbesondere auch darum, Lösungen für das oftmals sehr belastete Personal zu entwickeln und ihre Situation zu verbessern. Wir haben so viele Kitaplätze wie noch nie, aber gleichzeitig steigt eben auch der Bedarf an.“

Alle bislang erschienenen Serienteile finden Sie unter rn.de/kita-check

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Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 29. März 2025.

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