Immer früher und länger in die Kita Schaden wir unseren Kindern? Das sagen Psychologen

Schadet Kita-Besuch Kindern unter drei Jahren?
Lesezeit

Die Frage quält fast alle jungen Eltern. Dürfen wir unseren kleinen Sohn, unsere kleine Tochter guten Gewissens zur Betreuung in eine Kita geben? Auch wenn das Kind erst zwei, vielleicht sogar erst ein Jahr alt ist?

Muten wir unserem Kind damit nicht viel zu viel zu? Wird es sich normal entwickeln, obwohl es so jung schon so viele Stunden in einer fremden Umgebung, mit fremden Kindern und betreut von fremden Menschen verbringt?

Das sind schwierige Fragen, die Eltern Bauchschmerzen bereiten. Vorab nur ein Satz von Carsten Taubenberger, der als Psychotherapeut für Kinder und Jugendliche seit Jahren in einer eigenen Praxis in Dortmund arbeitet: „Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mal ein Kind behandelt habe, das ernsthaft erkrankt ist, weil es drei oder vier Jahre lang in einer schlechten Kita oder zu früh in einer Kita war.“

Auch wenn dieser Satz Eltern die schlimmsten Ängste nehmen kann, sind damit längst nicht alle Fragen beantwortet. Zum einen steigt die Zahl der Kinder unter drei Jahren, die schon eine Kita besuchen, rasant. 1990 waren es bundesweit rund 3 Prozent aller Kinder, inzwischen liegt der Wert bei 37,4 Prozent.

2015 gab es in Dortmund 3.242 U-3-Plätze für Kinder, Ende 2024 waren es 4.514. Die Betreuungsquote von U-3-Kindern liegt in Dortmund schon jetzt über 40 Prozent, bis Ende des Jahres soll sie auf 50 Prozent steigen.













Zum anderen sind sich die Experten nicht einig, ob der frühe Kita-Besuch einem Kind schadet oder nicht. Die Psychologin Stefanie Stahl vertritt die Position, dass ein Kind in den ersten beiden Jahren in die Familie mit einer festen Bezugsperson gehört. Alles andere schade der Entwicklung des Kindes.

Andere wie etwa die Entwicklungspsychologin Stephanie Wermelinger widersprechen. Sie halten die Einschätzung von Stefanie Stahl in dieser Pauschalität für falsch. Was also soll man davon halten?

„Sie werden keine klare Antwort bekommen, weil letztlich sowohl Kinder als auch Kitas viel zu unterschiedlich sind“, sagt Carsten Taubenberger. Er rät dazu, das Thema differenziert zu betrachten. Es gebe sicherlich Studien, die darauf hinweisen, dass eine Kita-Betreuung für ein Kind unter zwei Jahren, das sich nicht richtig äußern und behaupten kann, problematisch sein könne. Vor allem, wenn es „in eine drubbelige Kita mit fünf Gruppen kommt, in der – ich mal da jetzt mal ganz schwarz – ein hoher Krankenstand herrscht, überforderte Erzieher sind und Ähnliches. Das ist wahrscheinlich keine gute Kombination“, sagt der Psychologe.

Ob ein Kind in einer Kita gut aufgehoben sei, hänge „absolut von der Qualität der Kita ab. Ist es eine Kita mit guter Konzeption, guter Leitung, motivierten Mitarbeitern, die die Kids im Blick haben, kann das gut funktionieren. Junge Kinder in Kitas, die überfüllt sind, mit überlasteten Mitarbeitern – das ist keine gute Kombination.“

Eltern müssten ihr Kind genau im Blick haben, sagt der dreifache Vater Taubenberger und erzählt: „Bei meinem Ältesten war es fast mit drei noch zu früh für die Kita, weil er unsicher und ängstlich war. Das hat die Kita zwar ganz gut aufgefangen, aber er hat sich, als er mit drei Jahren in die Kita kam, drei, vier Monate lang wirklich schwergetan. Die Jüngste musste sich schon immer durchsetzen gegen die großen Geschwister. Die wollte unbedingt mit zwei schon in die Kita. Sie hatte keinen Bock mehr, alleine zu Hause zu sein, die wollte Spaß haben. Die hat sich gefreut, als wir sie ein bisschen früher in die Kita gepackt haben und ist jeden Tag gerne hingegangen.“ Jedes Kind sei eben anders.













Kinder brauchen gerade in den ersten ein, zwei, drei Lebensjahren das Gefühl von Sicherheit, eine vertraute Bezugsperson. In der Theorie könne das auch eine Kita bieten, aber, sagt Taubenberger: Es komme immer wieder vor, dass genau die Pädagogin, zu der das Kind eine Bindung hat, lange krankheitsbedingt ausfällt. Zudem gebe es ein grundsätzliches Problem: „Es ist in Kitas ja immer häufiger so, dass sie sich aus finanziellen Gründen über Wasser halten mit Jahrespraktikanten, FSJlern oder Ähnlichem. Kann ich einer 17-Jährigen zumuten, in eine Gruppe zu kommen, wo Kinder zwischen 1 und 3 sind, die mehr Bezug brauchen, mehr Bindung, wo auch pflegerische Tätigkeiten wie das Wechseln von Windeln angesagt sind?“ NRW schreibt vor, dass bei Kindern unter 3 in einer Gruppe zwei Fachkräfte maximal zehn Kinder betreuen dürfen.

Taubenbergers Einschätzung nach könnten es sich viele Familien einfach nicht leisten, dass einer ab dem zweiten Lebensjahr des Kindes unbezahlt zu Hause bleibe und das Kind erst mit drei zur Kita gehe. Auf der anderen Seite gelte aber auch: „Es gibt auch Eltern, die – vorsichtig gesagt – erziehungsschwächer sind. Da ist es wahrscheinlich sogar sinnvoll zu sagen: Wir entlasten hier eine Familie, indem das Kind kompetent fachlich betreut wird“, sagt der Psychologe, und ergänzt: „Wir haben zudem Kinder in Dortmund, bei denen nicht sichergestellt ist, dass sie regelmäßig gesunde Mahlzeiten bekommen. Da ist eine Kita mit einem Essensangebot natürlich eine gute Sache.“

Für Taubenberger zeigt die Diskussion die Notwendigkeit sozialpolitischer Konsequenzen: „Wir müssen den Kitas mehr Geld zur Verfügung stellen, dass Mitarbeiter entlastet werden, wieder Freude an ihrem Job haben. Für die kindliche Entwicklung ist es ganz wichtig, dass eine Kita toll aufgestellt ist, dass es eine tolle Konzeption gibt, dass es Mitarbeiter sind, die ein Wir-Gefühl haben, sich gegenseitig unterstützen. Dann kann es super sein, auch Kinder schon mit ein, zwei Jahren in die Kita zu bringen.“

Alle bisher erschienen Teile der Serie finden Sie hier: rn.de/kita-check

Zum Thema

Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Sie erreichen uns ganz einfach per WhatsApp unter der 0160 331 390 3 oder per Mail unter leserreporter@ruhrnachrichten.de, wenn Sie uns Ihre Ansicht zum Thema des Artikels, Ihre Erfahrungen mit Kitas in Dortmund oder Ihre Anregungen zur Serie zukommen lassen möchten.

Die Mitschuld von Eltern an der Not der Kitas: Verantwortliche sprechen von einem Dilemma

„Nachrichten kommen, wenn ich schon auf dem Weg zur Arbeit bin“: Was Kita-Eltern verzweifeln lässt