Kim halbierte ihr Gewicht von 140 auf 70 Kilo Wie eine OP das Leben der 37-Jährigen veränderte

Von 148 auf 68 Kilo - Kim nahm nach Schlauchmagen-OP 80 Kilo ab
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Den enttäuschten Gesichtsausdruck ihrer Tochter wird Kim Altmeyer nie vergessen. Dabei ist die Vorfreude kurz zuvor noch groß: Mutter und Tochter sind auf der Kirmes, wollen zusammen Kettenkarussell fahren. Doch dann kann Kim Altmeyer den Sicherungsbügel nicht schließen. Sie ist zu dick. Das Personal fordert sie auf, wieder auszusteigen. „Das war ein krasser Moment. Sehr peinlich. Viel schlimmer war aber der Gesichtsausdruck meiner Tochter. Sie war damals sechs, hat natürlich schon voll verstanden, dass…“ Die 37-Jährige bricht ab. Tränen stehen in ihren Augen. Auch mehrere Jahre später schmerzt die Erinnerung.

Momente wie diesen gab es viele. Jahrelang hat ihr extremes Übergewicht Kim Altmeyer, die in Dortmund wohnt, von vielem ausgeschlossen. Immer wieder für peinliche und traurige Momente gesorgt. Trotzdem hat sie lange gebraucht, sich dem Thema zu stellen. Mit einem Gewicht von 138 Kilo entscheidet sich die 1,76 Meter große Frau für eine Schlauchmagen-OP. Heute, nicht ganz zwei Jahre nach dem Eingriff, wiegt sie 68 Kilo.

Kim Altmeyer hat 70 Kilo abgenommen. Innerhalb von knapp zwei Jahren ist die Dortmunderin zu einem neuen Menschen geworden. Wenn sie davon erzählt, kann man die Lebensfreude, die sie gewonnen hat, fast greifen. Lange war das anders – mit dem Übergewicht, das sich schleichend entwickelt, nimmt auch die Lebensqualität ab. „Ich habe zigtausend Diäten hinter mir, Weight Watchers, Akupunktur und und und.“ Die „magische Grenze“ liegt bei 120 Kilo. „Darunter habe ich es nie geschafft, da stagnierte das Gewicht immer“, erzählt sie. Der Frust übernimmt – und die Ernährung kippt wieder. „Unmengen an Cola, drei Löffel Zucker im Tee, eine Tüte Chips am Abend war nichts.“

Kim Altmeyer, mittlerweile sehr schlank, hält ein altes Foto von sich in die Kamera.
Beeindruckender Vorher-Nachher-Vergleich: Auf dem Foto vorne bringt Kim Altmeyer über 130 Kilo auf die Waage. Heute wiegt sie 68 Kilo, hält ihr Gewicht seit mehreren Monaten konstant. © Jessica Will

Erfahrungen dieser Art hört Prof. Dr. Ulrich Bolder oft. Er leitet das Adipositas-Zentrum im St. Johannes-Hospital Dortmund. Hier hat sich Kim Altmeyer im Mai 2023 operieren lassen. Dass zuvor eigene Abnehmversuche zum Scheitern verurteilt sind, erklärt der Experte entwicklungsgeschichtlich: „Als es noch Hungersnöte etc. gab, hatten dicke Menschen einen Selektionsvorteil.“ Der Körper sei darauf programmiert, sich sein höchstes Gewicht zu merken. Mit einer Art Rückstellmechanismus versuche er immer wieder, dieses Höchstgewicht zu erreichen. „Der Körper verteidigt sein Fett“, sagt Prof. Bolder.

Zwei Schlüsselmomente geben bei Kim Altmeyer schließlich den Ausschlag, dass sie sich Hilfe sucht: Auf einer Sportveranstaltung ihrer Tochter macht jemand ohne ihr Wissen ein sehr unvorteilhaftes Foto von ihr. „Als ich das Foto gesehen habe, habe ich mich abgrundtief geschämt und geweint.“ Wenig später steht ein ärztlicher Routine-Check an. „Alle Blutwerte waren schlecht und der Arzt hat gesagt, wenn sich nichts ändert, habe ich bald Diabetes.“ Der Arzt empfiehlt ihr, sich beim Adipositas-Zentrum vorzustellen. „Den Vorschlag habe ich eher schmunzelnd hingenommen. Ich habe doch keine 200 Kilo“, für ein Adipositas-Zentrum fühlt sie sich „nicht dick genug“.

Ein Gedanke, der schlicht falsch war: „Eine OP-Indikation besteht ab einem BMI von 35“, sagt Prof. Bolder. Mit fast 140 Kilo bei 1,76 Meter Körpergröße liegt der BMI der Dortmunderin damals bei 44. Ihre beiden auslösenden Erfahrungen seien typisch für die beiden größten Patientengruppen, so Prof. Bolder: „Er gibt Leute, die kommen aus optischen Gesichtspunkten. Das sind häufig Frauen zwischen 20 und 30. Die anderen kommen mit einem ernsthaften medizinischen Problem, zum Beispiel Diabetes Typ 2.“

Kim Altmeyer sitzt in einer Sporthalle. Sie ist von der Seite, sehr unvorteilhaft, fotografiert. Man erkennt deutlich, dass sie stark übergewichtig ist.
Ein Schlüsselmoment: Als Kim Altmeyer dieses Foto von sich sieht, erkennt sie erstmals wirklich, wie dick sie ist. Ihre Eigenwahrnehmung beim Blick in den Spiegel war zuvor eine andere. © privat

Ihre persönlichen gesundheitlichen Aussichten bringen auch Kim Altmeyer schließlich dazu, sich im Adipositas-Zentrum zu melden. Nach einem telefonischen Erstgespräch geht sie zu einem Infoabend. Sie hört von den extremen gesundheitlichen Schäden, die Adipositas verursacht, und wird sich bewusst, was das ganz konkret für sie bedeuten könnte: „Herzinfarkt und Schlaganfall waren Themen. Wenn die Gefäße zusitzen bei dieser Fettleibigkeit – dann ist es schnell vorbei.“ Zu Hause setzt sie sich zu ihrem Mann und sagt: „Ich glaube, das könnte mir mein Leben retten.“

Da widerspricht Prof. Bolder nicht: „Die Spontan-Todesrate ist in dieser Gewichtsklasse nicht zu unterschätzen.“ Ganz pragmatisch fügt er an: „Versuchen Sie mal, mit über 45 und BMI 40 eine Lebensversicherung abzuschließen.“ Der Versuch werde scheitern. „Die Versicherer wissen, statistisch gesehen arbeitet derjenige zehn Jahre kürzer und stirbt früher.“ Grundsätzlich lasse sich festhalten: Wird ein stark adipöser Mensch vor seinem 40. Lebensjahr operiert, „kann man im Durchschnitt eine 10 bis 14 Jahre längere Lebenserwartung für den Patienten erreichen.“

Die Argumente für eine Operation sind stark – und so entscheidet sich Kim Altmeyer einige Tage nach der Infoveranstaltung für diesen Weg. Bevor ein chirurgischer Eingriff infrage kommt, müssen die Patienten im Adipositas-Zentrum sechs Monate lang ein multimodales Therapiekonzept durchlaufen: Es besteht aus drei Säulen - Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie.

Kim Altmeyer lernt dabei viel über sich. Mit einer Ernährungsberaterin analysiert sie ihr Essverhalten, führt penibel Ernährungsprotokolle, lernt nach und nach, sich gesund zu ernähren. Und auch im Kopf macht sie entscheidende Fortschritte: „Essen war mein Ventil, mein Tröster. Alles, was mir Stress bereitet hat, habe ich mit Essen kompensiert.“ Die Dortmunderin erkennt: „Um glücklich leben zu können, brauche ich ein anderes Ventil.“

Das findet die 37-Jährige schnell: Sport. Im ersten Schritt übernimmt sie die Mittagsrunde mit dem Hund. Mindestens 30 Minuten. „Das hört sich nicht viel an, aber für jemanden mit so viel Gewicht ist das anfangs die Hölle.“ Doch es wird besser und der Sport ist eine treibende Kraft. In der OP-Vorbereitung legt Kim Altmeyer Motivationsziele fest – Dinge, die sie machen und erreichen möchte, wenn sie ihr Übergewicht los ist. „Mein großer Traum war, einfach die Joggingschuhe anzuziehen und zum Laufen in den Wald zu gehen.“ Aber auch viele Familienaktivitäten landen auf ihrer Liste: Kletterwald, Schwimmbad, Eishalle, Freizeitpark.

Die Motivation stimmt und so verliert die Dortmunderin in der sechsmonatigen Vorbereitungsphase die ersten zehn Kilo. Ein Mutmacher. Nach einem halben Jahr steht fest: Kim Altmeyer wird operiert, sie soll einen Schlauchmagen bekommen. Bei diesem OP-Verfahren werden große Teile des Magens entlang eines dünnen Schlauches abgetrennt, das Magenvolumen verringert sich stark. Entfernt wird auch der Teil des Magens, in dem das Appetithormon Grehlin gebildet wird, so Prof. Bolder. Nach der OP reduziert sich der Appetit drastisch.

In der Theorie weiß Kim Altmeyer, dass der Eingriff ihre Chance auf ein neues Leben ist – doch als der OP-Tag, der 9. Mai 2023, näher rückt, setzt Panik ein: „Ich hatte wahnsinnige Angst vor der Narkose.“ Als ihr Mann sie zum St.-Johannes-Hospital fährt, sagt sie ihm: „Im Nachtschränkchen liegen zwei Abschiedsbriefe – falls mir etwas passieren sollte.“ Alle Dämme brechen, als sie erfährt, dass sie gleich als Erste dran ist. „Ich habe nur noch bitterlich geweint.“

Noch heute ist Kim Altmeyer dankbar dafür, wie gut das Personal sie auffängt: „Der Anästhesist hat meine Hand gehalten und versprochen, auf mich aufzupassen.“ Er fragt noch, was sie machen möchte, wenn sie die OP hinter sich hat. „Mit meiner Tochter in den Kletterwald gehen“ – mit diesem Gedanken schläft Kim Altmeyer ein und übersteht die Operation gut.

Natürlich gebe es bei jeder OP Risiken, sagt Prof. Bolder zu den Ängsten. „Die OP führen wir bis in viel höhere BMI-Bereich durch, das ist in Sachen Narkose sicher. Es gibt große Studien: Die Risiken Herzinfarkt oder Schlaganfall sind in der Patientengruppe über BMI 40 größer als die OP-Risiken.“

Nach der OP: Kein Hungergefühl mehr

Nach der großen Angst direkt vor der OP geht es nach dem Eingriff schnell bergauf: Am Tag nach der OP darf sie die ersten kleinen Schlucke trinken. „Essen durfte man erstmal gar nicht, aber ich hatte auch kein Hungergefühl.“ Am vierten Tag gibt es eine erste Mahlzeit: „Tomatensuppe., drei Löffel habe ich geschafft – es war grandios.“

An den kleinen Portionsgrößen ändert sich auch zu Hause wenig. Die ersten vier Wochen steht flüssig-breiige Kost mit hohem Eiweißanteil auf dem Speiseplan. „Ich habe mir Gemüse mit Eiweißpulver püriert und in Eiswürfelformen eingefroren. Ein Würfel waren fünf Esslöffel – und die habe ich in einer Mahlzeit nicht geschafft.“ Sie kauft sich neues Geschirr im Mini-Format. „Meine Suppenschüssel hatte die Größe eines Muffinförmchens.“ Kim Altmeyer lernt, die Anzeichen zu erkennen, wenn der Magen voll ist. „Ich hatte vorher ja gar kein Sättigungsgefühl mehr. Ich musste wieder lernen, dass es einen Punkt gibt, wo es genug ist.“

Nicht mal vier Wochen nach der OP der erste Meilenstein: 10 Kilo sind runter – und das mit Leichtigkeit. „Ich musste mir einen Wecker stellen, um zu essen und zu trinken, damit ich es nicht vergesse. Ich hatte gar keine Gelüste, keinen Hunger.“ Ein Gericht gibt es aber, auf das sie sich freut: „Sushi war so das Erste, wo ich gefragt habe: Wann geht das wieder?“ Knapp sechs Monate nach der OP gönnt sie die Dortmunderin einen Besuch im Sushi-Restaurant: „Ich habe mir eine Sushirolle bestellt – vier Stückchen. Zwei habe ich geschafft.“

Kim Altmeyer steht mit zwei Plastiktüten vor der Thier-Galerie in Dortmund.
Im neuen Leben machen Shoppingtrips wieder Spaß: Von Kleidergröße 56 ging es runter bis auf 36/38. Den Kleiderschrank bestückte Kim Altmeyer während des Abnehmprozesses mehrfach neu. © Jessica Will

Das klingt nach viel Verzicht, bleibt da nicht viel Genuss auf der Strecke? Kim Altmeyer empfindet das nicht so: „Ich habe nur noch Kopfhunger. Aber nicht mehr diesen Hunger, dass ich denke, jetzt muss ich etwas haben, sonst falle ich vom Fleisch. Es gibt Tage, da gönne ich mir ein Stück Schokolade. Aber es ist nicht mehr dieses Verlangen, die Tafel muss jetzt leer sein. Und auch nicht mehr dieses Verknüpfen: Ich habe Stress und deswegen esse ich. Jetzt ist es Genuss.“

Das neue Essverhalten bringt schnell Erfolg: Am OP-Tag am 9. Mai bringt sie noch 128 Kilo auf die Waage – drei Monate später erreicht Kim Altmeyer einen Meilenstein, der ihr extrem viel bedeutet: „Da ist der Uhu gelandet.“ Uhu – unter hundert Kilo. 80 Kilo hat sie als Zielgewicht im Kopf. Diese Marke unterbietet sie ein Jahr nach der Operation. Knapp 60 Kilo hat sie damit seit Beginn der Therapie abgenommen – 10 Kilo während der Vorbereitungsphase, 50 Kilo im Jahr nach der OP. Bei einem Kontrolltermin im Adipositas-Zentrum erkennt der Arzt sie nicht wieder: „Sie sind ein neuer Mensch.“

Das strahlt Kim Altmeyer auch aus: Sie kleidet sich körperbetont, spricht selbstbewusst über ihr neues Ich. Sie hat nochmals abgenommen, insgesamt nun 70 Kilo - seit sechs Monaten hält sie ein Gewicht von 68 Kilo und fühlt sich damit extrem wohl. Die Portionsgrößen sind weiterhin klein. „Ein Brötchen schaffe ich nicht ganz.“ Aber das stört die Dortmunderin nicht. Essen hat an Bedeutung verloren, so wirkt es.

Dafür rücken andere Dinge in den Fokus: Mit ihrem Mann und ihrer Tochter macht sie viel Sport, geht ins Fitnessstudio – oder zum Joggen in den Wald. Zuerst hat sie zu Hause auf dem Laufband trainiert, irgendwann dann der große Moment: „Ich habe meine Schuhe angezogen, die Stöpsel in die Ohren, bin in den Rahmer Wald und einfach losgelaufen. Und es hat so gut getan.“

Vieles in ihrem neuen Leben fühlt sich gut an: Shoppen gehen zum Beispiel. „Ich bin noch eine ganze Zeit lang schnurstracks in die Abteilungen für Übergewichtige gerannt – das war so ein Ding, wo der Kopf noch hinterherhing.“ Auch beim Blick in den Spiegel muss sie aufpassen: „Es ist manchmal noch so, dass ich davor stehe und denke: Boah, bist du fett.“ Die Wahrnehmung sei manchmal trügerisch. Vorher-Nachher-Fotos helfen der Dortmunderin, ihre bemerkenswerte Entwicklung klar zu sehen. Geplant ist noch eine Wiederherstellungs-OP, um überschüssige Hautlappen zu entfernen. „Das kann man nicht verstecken“, sagt Kim Altmeyer. Ein Preis, den sie für ihre Verwandlung bewusst in Kauf genommen hat.

Nur eins bereut sich noch heute: „Ich hätte es viel früher machen sollen. Es gab so viele erste Male, die ich nicht miterlebt habe. Ich habe so viel verpasst.“ Ein Besuch in der Eishalle kommt ihr sofort in Erinnerung: Ihre Tochter zum ersten Mal auf Schlittschuhen. Aufs Eis traut sich Kim Altmeyer aufgrund des extremen Übergewichts damals nicht. Außen vor steht sie an der Bande, als ihr Mann und ihre Tochter Schlittschuhlaufen. „Zu merken, dass ich nicht Teil davon war, habe ich nicht ertragen. Ich bin dann nicht mehr mitgegangen.“

Kurz blitzt die Trauer der vielen verpassten Gelegenheiten noch mal auf – doch letztlich sind die Scham im Kettenkarussell und der Frust in der Eishalle nur noch traurige Erinnerungen. Heute sprüht Kim Altmeyer vor Lebensfreude, kann wieder mitmischen bei all den Dingen, die ihrer Tochter Spaß machen. Schon mehrmals waren sie zusammen eislaufen. „Und der erste gemeinsame Besuch im Freizeitpark war unbeschreiblich. Diesen Spaß, den sie hatte, mitzuerleben. Nicht außen vor zu sein, sondern mit ihr in der Achterbahn zu sitzen und zu schreien vor Freude.“

Zum Thema

Adipositas-Zentrum Dortmund

  • Ausführliche Informationen zum Adipositas-Zentrum Dortmund im St.-Johannes-Hospital gibt es auf der Internetseite www.adipositaszentrum-dortmund.de. Hier finden Interessierte erste Informationen zu OP-Verfahren, Therapie, Nachsorge und Selbsthilfe.
  • Mittwochs (9 bis 15.30 Uhr) und freitags (9 bis 14 Uhr) finden Adipositas-Sprechstunden statt - es ist eine telefonische Anmeldung unter 0231/184335744 nötig.

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 1. März 2025.