Immer alleine leben und doch nicht alleine sein: Im Beginenhof in Unna geht diese Rechnung auf. Das Haus mit 18 Bewohnerinnen hat so gut wie keine Regeln. Und trotzdem funktioniert die etwas andere Wohngemeinschaft. Einzig: Männer dürfen nicht einziehen. Und jeder muss seine Nachbarin mindestens einmal am Tag „wahrgenommen haben“.
Es ist ein schmuddeliger, aber warmer Herbsttag. Sabine Schulze-Eyßing sitzt mit einer Nachbarin vor ihrer Wohnung und plaudert. Die breiten überdachten Außengänge, die alle Wohnungen des Beginenhofs miteinander verbinden, sind hübsch mit Blumen dekoriert. Sie wirken sehr einladend auf Gäste. Hier trifft sich, wer Gesellschaft braucht. Wer alleine sein möchte, zieht seine Wohnungstür zu oder setzt sich auf den privaten Balkon.

Frauen, die nicht in einer Ehe leben wollen, gab es bereits im Mittelalter, schon in der Zeit vor Luther. Anders als in unserer modernen Gesellschaft war das Leben ohne Mann und ohne Familie damals nicht so einfach. Denn dem weiblichen Geschlecht mangelte es an Geld und Bildung.
Durch die Anbindung an Klöster lernten einige Frauen Lesen und Schreiben, legten aber nie aber ein Gelübde ab, versorgten sich irgendwann auch wirtschaftlich selbst. Über diese Anfänge der Frauen-Beginen-Bewegung hat Sabine Schulze-Eyßing viel zu erzählen, wenn sie mit Besuch in ihrer Küche sitzt. Denn die Unnaerin hat die Bachelorarbeit ihres Zweitstudiums über Beginen verfasst – und lebt selbst im Beginenhof. Mit dem Leben von damals hat das Leben in der Einrichtung an der Märkischen Straße in Unna heute allerdings nicht mehr viel zu tun.
Vorbild für die heutige Zeit
„Trotzdem nehmen wir uns das als Vorbild, nur ohne den kirchlichen Gedanken“, so Schulze-Eyßing. Die Bewohnerinnen des Beginenhofs haben alle eine Gemeinsamkeit: Sie wohnen nicht mit einem Partner zusammen – und sie schätzen die Gemeinschaft, die ihnen der Beginenhof bietet.
Ohne Partner wohnen die Frauen aus unterschiedlichen Gründen. Sie sind weder gegen Männer, noch lesbisch, noch allesamt verwitwet. Während einige ältere Frauen ihren Partner tatsächlich verloren haben, gibt es jüngere, die den Richtigen entweder noch nicht gefunden haben – oder sich einfach grundsätzlich nicht vorstellen können, mit einem Mann zusammen zu sein oder zusammen zu wohnen.
Unna, die Stadt aus dem Kreuzworträtsel
So ist es zum Beispiel bei Sabine Schulze-Eyßing. Die 58-Jährige hatte schon mehrere Beziehungen, der letzte Partner auch einen Schlüssel für ihre Wohnung im Beginenhof. „Hier gibt es ja kein Männer-Verbot“, entgegnet sie hartnäckigen Gerüchten. Im Gegenteil: Weil er sich mit Autos auskannte, war ihr Freund bei den Nachbarinnen sehr beliebt. Nur hatte die Wahl-Unnaerin einfach nie das Bedürfnis, mit ihm oder anderen Männern zusammenzuziehen.
Ihre Wohnung, ihr eigenes Reich, ist für die 58-Jährige die schönste Wohnung, die sie sich vorstellen kann. Eine Wohnküche, Schlafzimmer, Bad, Abstellraum, mehr braucht sie nicht. Auch wenn sie vor 30 Jahren wahrscheinlich noch andere Vorstellungen vom Leben hatte.
„Unna kannte ich nur als Stadt aus dem Kreuzworträtsel und von der Stauschau“, sagt Schulze-Eyßing, die zuvor in Wiesbaden gelebt hatte. Nach einem BWL-Studium machte sie sich selbstständig mit dem Vertrieb von Künstlerbedarf, arbeitete zehn Jahre lang hart. „Dann wurde ich krank.“ Zurück im Ruhrgebiet wurde Sabine Schulze-Eyßing dank ihrer Schwester in Bochum auf Beginenhöfe aufmerksam – und in Unna war der Beginenhof im Jahr 2007 gerade fertig gebaut. „Hier ziehe ich ein“, war der heute 58-Jährigen schon auf dem Rückweg vom Besichtigungstermin klar. Sie ließ den Worten Taten folgen, studierte Soziale Arbeit und steht inzwischen wieder mit beiden Beinen fest im Leben.

Im Beginenhof in Unna, der von einer Privatperson gebaut wurde, wohnen 18 Frauen – jede in ihrer eigenen Wohnung. Die Bewohnerinnen decken von 31 (mit Kindern) bis 87 Jahre inzwischen mehrere Generationen ab. Einige Wohnungen sind barrierearm, in anderen gibt es einen zusätzlichen Raum als Kinderzimmer, sodass immer Frauen mit ganz unterschiedlichem Hintergrund gemeinsam wohnen können.
Zusammen mieten die Frauen, die auch als Verein zusammengeschlossen sind, eine Wohnung im Erdgeschoss an, die mit Zugang ins Grüne und auf die Terrasse als Gemeinschaftsraum für kleine und größere Treffen dient. Nicht alle sind regelmäßig dabei, aber jeder ist willkommen.
Mehrere Beginenhöfe im Ruhrgebiet
Im Ruhrgebiet gibt es mehrere Beginenhöfe. „Alle sind unterschiedlich ausgerichtet.“ Während die Bewohnerinnen in Dortmund eher politisch sind, aus der Frauenbewegung kommen, geht es in Essen spiritueller zu. „Hier bei uns ist keine etwas Besonderes, hier kann jede so leben, wie sie ist“, sagt Sabine Schulze-Eyßing.
Und das gemeinsame Leben läuft weitestgehend ohne Reibereien. Obwohl sich die Frauen kaum Regeln auferlegen. Nur wer einzieht, sollte irgendwie zur Gemeinschaft passen. Interessentinnen gebe es einige, aktuell zwar keine freie Wohnung, in den kommenden Jahren aufgrund der Altersstruktur im Haus aber auch voraussichtlich viel Bewegung.