Seit ihre Mutter starb, steht das Elternhaus von Dagmar Lehnartz in Bergkamen leer. An einem Tag im September ist die Lüdinghauserin wiedergekommen, um zu zeigen, was sie mit dem Ort ihrer Kindheit und Jugend vorhat. „Ich mache mal das Rollo hoch, damit man etwas sehen kann“, sagt die 49-Jährige und schreitet durch einen Durchgang ins Wohnzimmer.
Als Licht hereinfällt, wird deutlich, wie riesig der Raum ist. Das gilt auch für andere Zimmer der Luxusimmobilie. Insgesamt 350 Quadratmeter Wohnfläche befinden sich unter diesem Dach in einer sehr guten Wohngegend in Bergkamen. Zu der Villa gehören noch ehemalige Geschäftsräume ihres Vaters und ein weitläufiger Garten. Lehnartz ist die einzige Tochter und sagt über das geräumige Objekt: „Meine Eltern haben überdimensional gedacht.“
Beim Anblick der verwaisten Räume wird Lehnartz immer wieder bewusst, in welchem behüteten Umfeld sie als Einzelkind groß wurde. „Was für mich damals normal war, war eine Luxusposition“, sagt sie. „Das Haus ist unfassbar groß, und auch die Lage ist toll.“
Lehnartz war nach Mutters Tod klar, dass sie selbst nicht in das Haus einziehen möchte. Sie sei dann auf die Idee gekommen, es einem gemeinnützigen Zweck zu widmen. Die Steuerberaterin entwickelte den Plan, das Gebäude für rund 250.000 Euro umzubauen und an eine Jugendhilfe-Einrichtung zu vermieten. Sie recherchierte infrage kommende Einrichtungen und lud sie zur Besichtigung ein.
Die Katholische Jugendhilfe Dortmund (KJD) bekam den Zuschlag und plant nun eine Wohngruppe für sechs Kinder im Alter von sechs bis zehn Jahren plus Platz für mindestens einen Betreuer rund um die Uhr.
Das Motiv für die Schaffung einer Wohnmöglichkeit für Kinder aus prekären und zerrütteten Familienverhältnissen ist für Lehnartz sehr persönlich: Als Mutter von drei Kindern erlebte sie selbst eine familiäre Ausnahmesituation, auf die sie nicht näher eingehen möchte, und weiß daher, wie wichtig die Arbeit der Jugendhilfe ist.

„Das Haus bietet die Möglichkeit für Kinder, aus ihrem problematischen Umfeld herauszukommen und so etwas wie ein behütetes Umfeld zu erleben“, sagt Lehnartz. Schon bei der ersten Besichtigung war die Begeisterung der Katholischen Jugendhilfe Dortmund für das Haus groß – auch weil es getrennte Wohn- und Büroräume gibt und damit ideale Voraussetzungen erfüllt sind. „Die Wohngruppe würde aber nicht nur Kindern aus Dortmund offen stehen“, betont KJD-Geschäftsführerin Anna Graute-Reinert (36).
Nachdem sich die Partnerinnen einig waren, bemühte sich die KJD um eine Genehmigung bei der Stadt Bergkamen. Sie fragte dazu eine Nutzungsänderung an, legte ein Kurzkonzept und Grundrisse vor und stellte ein Brandschutzkonzept in Aussicht. Doch die Antwort fiel negativ aus. Das Haus liege aus planungsrechtlicher Sicht in einem reinen Wohngebiet, in dem die beabsichtigte Nutzung „nicht zulässig“ ist, heißt es in einer E-Mail vom 31. Mai.
Baudezernent aus Bergkamen schaltet sich ein, aber kein Durchbruch
Lehnartz suchte, enttäuscht über die Absage, das persönliche Gespräch mit der Stadt, aber sie sei immer wieder vertröstet worden. Die Stadt Bergkamen entgegnet auf Anfrage der Redaktion, dass der Antragstellerin mehrfach erläutert worden sei, was gegen das Vorhaben spricht. „Momentan bin ich wegen der fehlenden Genehmigung handlungsunfähig, obwohl die Handwerker auf das Startsignal warten“, sagt die Bauherrin.
Merkwürdig findet Lehnartz, dass die Stadt einen für den 4. September anberaumten Gesprächstermin zunächst kurzfristig absagte. Am Vortag habe sie einen Anruf bekommen. Kurz darauf habe man sie erneut angerufen und erklärt, das Gespräch finde doch statt. Zwischenzeitlich hatte Lehnartz nämlich den Baudezernenten Jens Toschläger (44) persönlich eingeschaltet. Der Bergkamener Planungschef bestätigt: „Planungsrechtliche Vorschriften, insbesondere der vorherrschende Gebietscharakter, sprechen gegen das Vorhaben.“

Angeblich keine weitere Ausnahme möglich
Ein Durchbruch bei dem Meeting mit der Amtsleitung blieb auch aus. Eine Genehmigung könne es nur dann geben, wenn es sich um ein allgemeines (statt ein reines) Wohngebiet handle, erfuhr Lehnartz. „Das wäre die Rechtsprechung.“ Auch ihren Einwand, dass es in demselben Wohngebiet schon eine Wohngruppe eines anderen Trägers gebe, habe man nicht gelten lassen. Eine Ausnahme soll nur einmalig möglich sein. Alternativ soll noch die Änderung des Bebauungsplans in Betracht kommen, aber das würde dauern.
KJD-Chefin Anna Graute-Reinert kann die Ablehnung des Antrags nicht nachvollziehen. Sie widerspreche der Idee der sozialen Integration solcher Kinder in normalen Wohnquartieren. Es mache ja keinen Unterschied, ob in dem Haus eine Familie mit sechs eigenen Kindern wohne oder ein bis zwei Betreuer mit Kindern aus unterschiedlichen Familien. „Auch optisch würde sich das gar nicht bemerkbar machen, weil die Wohngruppe von außen nicht ersichtlich sein soll“, sagt Graute-Reinert. Es gebe auch keinen Publikumsverkehr. Das war früher anders, als Lehnartz‘ Vater noch das Steuerberatungsbüro im selben Haus betrieb.
Dagmar Lehnartz will trotz der Hindernisse so schnell nicht aufgeben. „Ich glaube, der Stadt ist nicht bewusst, dass ich durchaus noch ein bisschen Atem habe“, sagt sie. Man wolle sich nun mit dem Architekten beraten, wie man weiter vorgehe. Die Unterstützung der Nachbarn für das Wohnprojekt soll Lehnartz bereits haben. „Manche kennen mich noch als Baby und finden die Idee gut.“
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 5. September 2024.