Das Aus für Karstadt am Westenhellweg ist verkündet, 160 Mitarbeiter sollen gehen - und blicken einer ungewissen Zukunft entgegen: Wann ist ihr letzter Arbeitstag? Wie hoch ist die Abfindung? Soll ich gegen Kaufhof Galeria Karstadt klagen? Unsere Redaktion hat den Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Maximilian Stahm aus Hörde um seine Einschätzung gebeten.
In Dortmund werden 160 Karstadt-Mitarbeiter im April zu Ende Januar 2024 gekündigt. Darf das Unternehmen das einfach so?
Das Schließen der Dortmunder Filiale dürfte eine Unternehmerentscheidung sein, die einen betriebsbedingten Kündigungsgrund darstellt. Insoweit kann die Arbeitgeberin eine betriebsbedingte Kündigung aussprechen, soweit keine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit in einer anderen Filiale im Einzelfall möglich ist. Die „Versetzung“ müsste die Arbeitgeberin anbieten, soweit die einzelnen Karstadt Filialen einen sogenannten „gemeinsamen Betrieb“ darstellen und sich eine im Einzelfall passende freie Stelle findet. Meist einigen sich die Unternehmen mit dem Betriebsrat zudem auf einen Sozialplan, um eine Klagewelle der in diesem Fall bis zu 5000 betroffenen Mitarbeiter zu vermeiden.
Gelten in diesem Fall Kündigungsfristen?
Die vereinbarten oder gesetzlich geltenden Kündigungsfristen müssen eingehalten werden, und der Kündigungsgrund muss weiter bestehen. Es gilt, dass der Arbeitgeber die Kündigung erst aussprechen kann, wenn die unternehmerische Entscheidung der Betriebsschließung feststeht und die Stilllegung mit dem Ablauf der Kündigungsfrist übereinstimmt.
Mit welchen Abfindungen können die Beschäftigten rechnen?
Wenn es einen Sozialplan gibt, sind darin sogenannte Regelabfindungssätze festgelegt. Die beziehen sich meist auf das letzte Brutto-Gehalt und werden dann in der Regel mit der Betriebszugehörigkeit und einem weiteren individuellen Faktor multipliziert. Als Richtwert in gerichtlichen Verfahren gilt die Faustformel „Halbes Brutto-Monatsgehalt multipliziert mit Anzahl der Jahre“. Bei den letzten Kündigungen bei Karstadt vor fast drei Jahren sah der Sozialplan ein Punktesystem vor, nach dem für bestimmte Betriebszugehörigkeiten und weitere Kriterien, wie beispielsweise unterhaltsberechtigte Kinder und eine Schwerbehinderung jeweils festgelegte Punkte vergeben und die Summe mit einer festgelegten Bruttogehaltssumme multipliziert wurde.
Maximilian Stahm (33) ist Rechtsanwalt und zugleich Fachanwalt für Arbeitsrecht und seit dem Jahr 2018 in fünfter Generation in der Kanzlei STAHM Rechtsanwälte in Hörde tätig. Er hat bereits im Zuge der letzten betriebsbedingten Kündigungen 2020 Mitarbeiterinnen von Karstadt Dortmund rechtlich beraten und in Kündigungsschutzverfahren vertreten.
Wenn es zu einem Sozialplan kommt - was bringt der den Beschäftigten?
In der Regel vereinbaren die Arbeitgeber mit dem Gesamtbetriebsrat einen Sozialplan. Das ist auch für die Arbeitgeber sehr sinnvoll, weil sonst müssten sie sich einzeln jeder Kündigungsschutzklage erwehren. Und da im Arbeitsrecht jede Partei ihren Anwalt selbst zahlt, kämen auf Galeria Karstadt Kaufhof hohe Anwaltskosten zu – bei 5000 Kündigungen können das mehrere Millionen Euro sein. Aber auch für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hat ein Sozialplan Vorteile – er oder sie profitiert von den Regelabfindungen und muss nicht individuell wie auf dem Basar im Güteverfahren über die Höhe seiner Abfindung streiten, Trotzdem kann er natürlich trotzdem individuell Kündigungsschutzklage erheben. Ob er dann mit der im Sozialplan vereinbarten Abfindung rechnen kann, ist aber unterschiedlich geregelt. Eine individuelle Beratung und Prüfung des jeweiligen Einzelfalls durch einen Rechtsanwalt macht gerade deshalb Sinn, weil häufig - so auch bei dem letzten Karstadt-Sozialplan - die Abfindungssumme gedeckelt ist und daher viel weniger „angeboten“ wird, als ggf. in einem Kündigungsschutzverfahren möglich wäre.
Angeblich bereitet Galeria Karstadt Kaufhof eine Transfergesellschaft vor. Was bringt das den Beschäftigten?
Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen umgehend damit zunächst eine drohende Arbeitslosigkeit und wechseln in ein befristetes Arbeitsverhältnis mit der Transfergesellschaft. Sie werden in solchen Gesellschaften dann meist weitergebildet, um so besser einen neuen dauerhaften Job zu finden. Viele – vor allem die Gekündigten mit langen Kündigungsfristen – stehen dann vor der Wahl: Beziehe ich bis zum Ende der Kündigunsfrist weiter mein reguläres Gehalt oder wechsle ich sofort in eine Transfergesellschaft, wo ich zwar weniger verdiene, aber das Geld meist für zwölf Monate fließt. Das muss jede und jeder unter Berücksichtigung seiner persönlichen Lebens- und Einkommenssituation durchrechnen. Für eine junge gut ausgebildete Frau muss sich das nicht rechnen, für ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Schwierigkeit bei der Jobsuche befürchten, gilt unter Umständen im Einzelfall das Motto: Nimm, was du kriegen kannst.
Gemäß „Handelsblatt“ will Karstadt Kaufhof die Abfindungen auf 7500 Euro deckeln und nur ein halbes Jahr Transfergesellschaft anbieten. Ist das realistisch und vertretbar?
Das entspricht ziemlich genau dem, was auch im letzten Sozialplan von Galeria Karstadt Kaufhof vorgesehen war. Gerade bei Mitarbeitern mit langjähriger Betriebszugehörigkeit ist daher eine frühzeitige Beratung durch einen Rechtsanwalt sinnvoll, um zu prüfen, ob eine eigenstände Kündigungsschutzklage ggf. Sinn macht.
Was ist, wenn Galeria Karstadt Kaufhof vollends in die Pleite rutscht – sind dann die Abfindungen der Mitarbeiter futsch?
Davon gehe ich nicht aus, Karstadt ist ja liquide, zumindest in dem Sinne, dass das Unternehmen kreditwürdig ist. Wenn sich das ändert, könnte es haarig werden. Falls zum Beispiel bei einer Insolvenz nur eine gewisse Quote der Verbindlichkeiten bedient wird, sind Sie als Arbeitnehmer natürlich ein kleines Rädchen. Aber das wäre der worst case. Auch die Sozialplanabfindung war bei der letzten Karstadt-Kündigungswelle im Übrigen ausdrücklich sog. Masseverbindlichkeit und damit nur quotal zu bedienen.
Was raten Sie den Betroffenen ganz praktisch?
Sie sollten sofort zu einem spezialisierten Anwalt gehen. Und das sage ich nicht nur, weil ich das beruflich mache. Sondern es ist in einer solchen Lage schlicht notwendig, Viele Betroffene fallen in ein tiefes Loch, wenn sie gekündigt werden. Sie haben aber nur drei Wochen Zeit, um nach Zugang der Kündigung Kündigungsschutzklage zu erheben. Danach ist es zu spät! Und dafür müssen aber viele Faktoren wie Alter, Ausbildung, persönliche Lebenssituation abgewogen werden. Und eine Erstberatung beim Anwalt kostet nicht die Welt, sie müssen brutto mit 150 bis 226 Euro Honorar rechnen. Dies wird ggf. von einer Rechtsschutzversicherung übernommen, was aber im Einzelfall zu prüfen ist.
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