Kira Schlick hat vier Wochen da verbracht, wo die meisten Patienten noch nie einen Zahnarzt gesehen haben. Auf Madagaskar konnte sie zwar nicht alle Zähne retten – helfen aber durchaus.
Der Kontrast könnte krasser nicht sein. Auf der einen Seite eine hochmoderne Zahnarztpraxis mit bequemen Behandlungsstühlen, auf der anderen Seite ein karger Steinbau mit ein paar Holztischen. Die eine Seite ist die Praxis Aplerdent in Aplerbeck, die andere Seite ein Medicalcenter in einem kleinen Dorf auf Madagaskar.
Kira Schlick hat diese Seiten getauscht – für vier Wochen. Die junge Assistentzärztin, die sich in der Praxis von Dr. Ulrich Hansmeier meistens um die kleinen Besucher kümmert, hat sich im Frühsommer in das wohl bisher größte Abenteuer ihres Lebens gestürzt. Über 8000 Kilometer liegen zwischen Aplerbeck und der Gemeinde Andia, in der der „Zahnhilfe-Einsatz“ lief.
Gemeinsam mit fünf weiteren Zahnärztinnen machte sich die 28-Jährige auf den Weg. Organisiert hat das Ganze die Organisation „Planet Action - helfende Hände“, die ihren Sitz in Heidelberg hat. Der Kontakt zu Planet Action kam mehr durch Zufall zustande. In einem Infoblättchen stellte sich die noch junge Organisation vor. Und Kira Schlick war sofort klar, dass sie helfen muss. Zwei Wochen eigenen Urlaub musste sie nehmen, zwei weitere Wochen „wurden durch Dr. Hansmeier gesponsert“, sagt die junge Zahnärztin.
Helfen, aber nicht um jeden Preis
Bis auf den bekannten Zeichentrickfilm hatte Kira Schlick noch nicht viel vom zweitgrößten Inselstaat der Welt, der an der Südspitze von Afrika liegt, gehört. Aber warum gerade Madagaskar? „Ich wollte nicht in so ein Krisengebiet“, sagt Kira Schlick. Nicht in so ein Land, wo sie Angst haben müsse, in die Luft zu fliegen. Da ist die 28-Jährige ehrlich. Helfen ja, aber nicht zu jedem Preis. „Im Vergleich zu anderen afrikanischen Ländern hinkt Madagaskar in der medizinischen Versorgung sogar noch hinterher.“

Sechs jung Zahnärztinnen bekämpften vier Wochen lang ehrenamtlich die Karies auf Madagaskar. Besser gesagt, sie versuchten es. Am Ende waren die meisten Zähne der Patienten gezogen. © Kira Schlick
Gegoogelt wurde im Vorfeld, dass der Computer qualmte. Und nachdem auch das OK ihres Freundes gekommen war, ging es los. Mit dem Flugzeug. Für Kira Schlick, die in diese Dinger nicht das größte Vertrauen hat, die erste Hürde. „Ich habe ab Paris einen Direktflug genommen, um die Flugzeit zu verkürzen. Und Schlafmittel. Geholfen hat das nicht „, sagt die 28-Jährige.
Viele Patienten kennen gar keinen Zahnarzt
Ihr Antrieb – „Ich wollte immer etwas Medizinisches machen, um Menschen zu helfen. Dass ich bei jedem Patienten erst einmal über eine Mehrkostenvereinbarung reden muss, war mir erst nicht klar. In Madagaskar haben wir nur das getan, was wirklich nötig ist. Helfen“.
Die meisten Menschen, die die Zahnärztin dort angetroffen hat, hatten noch nie einen Zahnarzt gesehen. „Sie hatten teilweise nur noch Wurzelreste im Mund. Das gammelt da alles nur so vor sich hin“, sagt Kira Schlick. Natürlich gebe es auf Madagaskar auch Zahnärzte, doch die seien für die Landbevölkerung unerschwinglich. „Hier sterben Menschen an einem entzündeten Zahn.“

Das Medicalcenter für die Dorfbevölkerung. So wie dieses Gebäude sehen die meisten Zähne der Landbevölkerung aus. Alle ein wenig heruntergekommen und vergammelt. © Kira Schlick
Die Zahnärztinnen hatten einen zentralen Einsatzort. Eine kleine Stadt, von der es täglich aufs Land ging. Jeden Tag 1,5 Stunden über Holperpisten bis zu einem Medicalcenter. Einem Steinbau mit Holztischen und einem Stromaggregat. Vor Ort hatte der Bürgermeister die Arztbesuche organisiert. „Die Menschen waren echt bemüht. Sogar Nutella haben sie für uns aufgetrieben“, sagt Kira Schlick.
Behandlungstische aus Holz
Das Behandlungszimmer in der Gemeinde Andia war ein kahler Raum mit drei Holztischen. Jeder Stadtteil in dem Bereich war an einem anderen Tag dran. Ab 8 Uhr ging es los. An fünf Tagen in der Woche. Bestückt mit Zetteln, auf denen die wichtigsten Wörter in Malagassi aufgeschrieben waren. „Eigentlich ist die Amtssprache französisch, nur das wird auf dem Land nicht gesprochen“, sagt Kira Schlick.

Die Zahnbürste, das unbekannte Ding. Die Aplerbecker Zahnärztin Kira Schlick zeigt den Kindern in Andia, wie so eine Zahnbürste benutzt wird. © Kira Schlick
Auch, was die Zahnbehandlung an sich angeht, musste sich die 28-Jährige umstellen. Geräte gibt es praktisch nicht. „Wir mussten nicht viel bohren, sondern oft sofort ziehen“. Lediglich 20 Füllungen mussten gemacht werden. Gebohrt wurde mit einer kleinen mobilen Einheit mit Akku, der auch nicht immer funktionierte. Was funktionierte, war die Betäubung – und davon gab es reichlich. Einem Patienten mussten von 30 Zähnen 28 gezogen werden. „Für ein kleines Loch kommen die Menschen nicht. Erst wenn es ihnen richtig wehtut“, sagt Kira Schlick.
In Deutschland würde das Wurzelkanalbehandlung bedeuten – vor Ort war das nicht möglich. „Zahnpflege gibt es auf dem Land nicht. Und da auch hier Cola oder Fanta Einzug halten, kommt der Zucker an die Zähne und das Unheil nimmt seinen Lauf.“ Vor Ort wurden Zahnbürsten gekauft und an die Bewohner verteilt. Ob diese immer noch benutzt werden? Schulterzucken. Für Kira Schlick ist auf jeden Fall klar, dass sie es noch einmal macht. Helfen dort, wo Hilfe gebraucht wird.
Jörg Bauerfeld, Redakteur, berichtet hauptsächlich in Wort, Bild und Ton aus dem Dortmunder Süden.
