Jessica und Florian betreiben das Labsal mit Leidenschaft „Wir sind wie die Kletten“

Jessica und Florian betreiben das Labsal mit Leidenschaft: „Zitat“
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Jessica Pahl (40) knetet den Teig schnell, effizient und liebevoll, mit kräftigen Händen. Das Dinkelbrot wird im Restaurant Labsal an der Rheinischen Straße in Dortmund jeden Tag frisch gebacken. Niemals würden Jessica und Florian, die beiden Chefs, das Brot woanders einkaufen. „Dann weißt du gar nicht, wie der Teig sich verhält, wie er sich verändert, wenn man eine andere Sorte Mehl nimmt. Man hat den Teig nie in den Händen gefühlt“, sagt Jessica. Ganze zwei Tage darf der Dinkel-Teig sich ausruhen, bevor er in den Ofen kommt.

Die schwäbische Küche sei „Handwerkskunst“, sagt die Dortmunderin. Das Falten der Maultaschen, das Brotbacken – all das seien althergebrachte Formen des Küchenhandwerks, bei dem traditionell viele Produkte aus der Natur direkt im Topf und auf dem Teller landen. Fertigprodukte haben im Labsal keinen Platz. „Wir machen von A bis Z alles selbst“, sagt Jessica stolz. Dabei sind weder sie noch ihr Mann Florian Kohl (40) gelernte Gastronomen.

Vom Schreibtisch in die Küche

Jessica ist nämlich eigentlich Soziologin aus Essen. Florian arbeitete jahrelang als Sport-Journalist und kommt aus Tübingen, ist also Schwabe. Kennengelernt haben sich die beiden über einen Arbeitskollegen von Jessica, als sie noch an der Uni Dortmund forschte.

Was die beiden von Anfang an verband, war die Liebe zum Essen. „Wir haben gemerkt, dass wir uns beide auf einer tieferen, philosophischen Ebene mit Kulinarik beschäftigen“, sagt Jessica. Warum ist ein Gericht so entstanden, wie ist es entstanden, welche Bedeutung hat es in der Kultur? Fragen, über die das Paar sich stundenlang austauschen könnte.

Gemütliche Einrichtung im Dortmunder Restaurant Labsal.
Zum Wohlfühlen ist nicht nur die herzliche Art der Gastronomen, sondern auch das herzhafte Essen und nicht zuletzt die gemütliche Einrichtung. © Leopold Achilles

So entstand die Idee zum eigenen Restaurant. „Wir hatten total Lust darauf“, sagt Jessica. Bei Florian kam hinzu, dass er inzwischen als Sport-Reporter in Essen arbeitete, aber bei den Kollegen schlecht Anschluss fand und ohnehin auf der Suche nach etwas Neuem war. Der Haken: Keiner von beiden kam vom Fach. Florian heuerte deshalb in einer Küche an, versuchte so viel wie möglich zu lernen. „Und wir haben ganz viel zu Hause geübt. Das hat gedauert, bis wir die perfekte Rezeptur für unsere Käsespätzle hatten“, erinnert sich seine Frau.

2017 eröffnete das Labsal an der Rheinischen Straße in unmittelbarer Nähe zur Dortmunder City.

Zunächst standen beide zusammen in der Küche. Gerade die Anfangszeit war hart. Jessica erzählt: „Dass es anstrengend wird, wussten wir. Ganz so anstrengend haben wir es uns dann doch nicht vorgestellt, gerade an das Körperliche haben wir nicht so gedacht.“ Früher habe sie meist Schuhe mit Absatz getragen, heute nur noch Sneaker und Birkenstocks.

„Wir hängen wie Kletten zusammen“

Nicht nur körperlich eine fordernde Zeit, auch als Paar mussten sie erst lernen, damit umzugehen, so die Dortmunderin. „Wir waren 24 Stunden, sieben Tage die Woche zusammen, haben aneinanderklebt. Natürlich kommt es dann häufiger zu Reibungen.“ Auch heute sehe man das Paar kaum getrennt, sagt ihr Mann.

„Wir hängen wie Kletten aneinander. Und ich glaube, so muss es sein, wenn man zusammen lebt und arbeitet.“

Das Paar habe sich schnell angewöhnen müssen, den Stress von außen nicht mit in die Beziehung zu nehmen, Frust nicht am Partner auszulassen. „Das passiert natürlich trotzdem. Dann darf man nicht zurückkeifen, sondern es besser schlucken, in dem Wissen, dass man das ja selber kennt. Außerdem muss man sich auch mal ärgern dürfen und bei der anderen Person über etwas abkotzen, dass einen gerade nervt.“

Seit zehn Jahren ein paar und wirken immer noch frisch verliebt: Jessica Pahl und Florian Kohl vom Dortmunder Restaurant Labsal.
Liebe geht durch den Magen: Seit zehn Jahren ein Paar und wirken immer noch frisch verliebt: Jessica Pahl und Florian Kohl. © Julia Segantini

Dazu müsse man den Partner in- und auswendig kennen. So habe das Paar schon vieles gemeinsam durchgestanden. Nach einer Verletzung an der Hand mit bleibenden Schäden wechselte Florian in den Service. Heute sagt Jessica: „Für uns war es ganz gut, dass wir seitdem etwas getrennter voneinander sind.“ Immer wieder nehmen sich die beiden bewusst Zeit zu zweit, überlassen den Mitarbeitenden den Laden und fahren für ein paar Tage weg.

Manchmal muss es Tiefkühlpizza sein

Würden Jessica und Florian sich nicht so gut verstehen, liefe das Labsal wahrscheinlich nicht so gut, wie es das seit Jahren tut. Schließlich beginnt die Arbeit schon vormittags mit der Büroarbeit. Mittags geht es in die Küche. Ab 17 Uhr kommen die Gäste. Manchmal ist erst um Mitternacht alles fertig und geputzt. Viel Arbeit, wenig Freizeit.

Manchmal bleibe nicht einmal genug Energie und Zeit, um für sich selbst zu kochen. „Es ist schon vorgekommen, dass man sich nachts an der Tankstelle noch eine Tiefkühlpizza gekauft hat“, gibt die Köchin zu. Selbst in ihrer Freizeit nimmt sich das Paar keine richtige Auszeit. „Klar fahren wir weg, aber auch auf unseren Trips schauen wir, was andere Restaurants machen, welche Inspirationen wir mitnehmen können“, sagt Florian. Immerhin meldet er im Urlaub die E-Mail-Konten ab. Jessica: „Man muss das richtig lieben, sonst hält man so viel Arbeit nicht aus. Sonst wird man schnell unglücklich.“

Der Stress zahlt sich aus

Florian kann sich besser abgrenzen. Dabei hilft ihm Hund Dante. Das Tier merke sofort, wenn das Herrchen nicht bei der Sache ist und mit dem Kopf schon im Restaurant. „Dann benimmt er sich total daneben, damit du gedanklich wieder zurückkommst. Dante bringt dir bei, die Gedanken mal abzuschalten und nur spazieren zu gehen. Das klappt aber nicht immer. Manchmal sind wir einfach k.o. und stehen schon gerädert auf. Da hilft am besten, einfach stur weiterzumachen. Man gewöhnt sich daran.“

Jessica kann sich noch schlechter von der Arbeit lösen, muss sich selbst ermahnen, eine Beschäftigung außerhalb der Küche zu finden. „Ich gehe einmal die Woche mit einer Freundin schwimmen, das tut gut.“ Ansonsten könne sie sich kaum vom Thema Essen losreißen. „Manchmal entspannt mich das aber auch, wenn ich Hausarbeit mache und nebenbei einen Gastro-Podcast höre.“

Hund Dante ist der dritte Chef im Labsal
Hund Dante ist der dritte Chef im Labsal © Julia Segantini

Auch für Florian ist die Arbeit gleichzeitig Stress und Entspannung. „Ich habe den ganzen Tag mit Essen und Gästen zu tun. Da sind so viele nette Momente dazwischen, dass ich manchmal vergesse, dass ich grade am Arbeiten bin.“

Immerhin zahlt sich die viele Arbeit aus: Das Labsal wurde 2022 und 2023 vom Genussmagazin „Feinschmecker“ als „Bestes Restaurant für jeden Tag“ ausgezeichnet, erhielt für die Weinkarte 2022 zusätzlich den „German Wine List Award“. Über zu wenig Gäste klagen die beiden selten. „Wir könnten viel mehr Geld verdienen, wenn wir nicht so viel Geld in teure Produkte stecken würden. Aber das billige Mehl kaufen, funktioniert für uns nicht“, sagt Jessica.

Die Speisekarte im Labsal

Alle paar Monate, manchmal alle paar Wochen, wechselt die Karte. Florian und Jessica ist es wichtig, möglichst mit regionalen und saisonalen Zutaten zu arbeiten. Dabei orientieren sie sich an Traditionen des Schwabenlands und interpretieren sie modern.

„Die schwäbische Küche ist recht teiglastig“, sagt Jessica. Die meisten Menschen dürften dabei an Maultaschen denken. Was viele nicht wissen: Durch die geografische Nähe ist die schwäbische Küche von Frankreich und Italien beeinflusst. „Schupfnudeln sind fast wie die deutsche Gnocchi“, sagt Florian, „nur der Teig ist dichter.“

Restaurant Labsal in Dortmund von innen
Gemütlich, klein, urig, trotzdem modern. So ist das Labsal eingerichtet. © Julia Segantini

Dieser Einfluss findet sich auf der aktuellen Wochenkarte wieder: Da gibt es neben den Käsespätzle mit schwäbischem Salat auch Spätzle al Limone Parmesan oder Spargel-Cannelloni – eine Variation der Maultasche. Als „urig“, charakterisiert der ehemalige Journalist seine Heimat-Küche. Immer schon habe es dort viel Landwirtschaft gegeben, dadurch gebe es viel frisches Gemüse. Dazu viel Wild, Lammfleisch und Alblinsen.

Es sei eine herzhafte, bodenständige Küche, so der Gastronom. „Die französische Küche rastet teilweise komplett aus, mit 1000 Vorbereitungsschritten, bis mal was auf dem Teller liegt.“ Im Labsal gebe es eine leicht gehobenere Variante der einfachen, hausmannsköstlichen Küche aus dem Schwabenland, „diese elaborierte Seite gehört nämlich zu dieser Küche dazu“, betont Florian.

 Bubenspitzle auf Spinatcreme mit gebratenen Pilzen und Steinobst im Restaurant Labsal in Dortmund
Stand auch schon auf der Speisekarte: Bubenspitzle auf Spinatcreme mit gebratenen Pilzen und Steinobst. © Schaper

Da gibt es Zwiebelrostbraten mit Lembergersoß, Ochsen-Maultasche und Bratkartoffeln oder Ossobuco vom Kalb mit Salsa, Frühlingsgemüse und Möhrencreme. „Es soll nicht diese dunkle, schwere Küche sein, sondern schon ein bisschen lockerer“, beschreibt Florian.

„Eine richtige Wohlfühlküche“, fasst seine Frau zusammen. So wie die beiden sprechen, hat man das Gefühl, die schwäbische Küche schmeckt wie eine Schüssel Herzlichkeit, die man an einem Holztisch essend in einer Berghütte mit prassendem Kaminfeuer isst.

Der Schwabe wurde zum Pottler

Ob sie die Entscheidung, Kugelschreiber gegen Kochlöffel zu tauschen, je bereut haben? „Nein“, sagt Jessica. „An der Uni zu bleiben, wäre bestimmt bequemer gewesen. Aber auch dann hätte ich die Arbeit mit nach Hause genommen. Jetzt habe ich alle Zügel in der Hand. Und wenn ich schon Arbeit mit nach Hause nehme, dann lieber was zu essen.“

Das Labsal gibt es inzwischen seit sieben Jahren. Ein Paar sind Jessica und Florian seit etwa zehn Jahren. „Im Ruhrgebiet wohne ich aber schon 13 Jahre“, sagt Florian. Und das hört man: Wüsste man nicht, dass er im Schwabenland groß geworden ist, würde er glatt als Ruhrpottschnauze durchgehen.

Er sei zwar mit dem schwäbischen Dialekt aufgewachsen, habe das aber immer ablegen können. Als er vor 13 Jahren nach Essen zog, musste er beruflich oft nach Duisburg, hatte viel mit Fußball zu tun. „Das war die beste Schule. Da habe ich sehr schnell und viel gelernt. Ich liebe sowieso Sprachen.“ Das „wat“, „dat“ und „hömma“ rollt ihm jedenfalls genauso flüssig über die Zunge, als wäre er unterm U-Turm zur Welt gekommen.

Heute schwäbelt er nur noch selten, kann es nicht leiden, wenn Leute ihn dazu auffordern. „Ich komme mir dann lächerlich vor, ich bin ja kein Zirkustier.“ Ohnehin sind die Gerichte im Labsal auch so authentisch genug, ohne dass Florian die Speisekarte für die Gäste rauf und runter schwäbelt.