
© Martina Niehaus
Jeder gegen jeden - hier kommen sich Radfahrer, Autofahrer und Fußgänger in die Quere
Gefährliche Radwege
Wenn nur noch ein Sprung in die Obstauslage hilft, Radfahrer Seitenspiegel abtreten oder Autos auf dem Radweg parken: Auf diesen Dortmunder Straßen kommt es besonders oft zu Konflikten.
Es ist knapp zwei Monate her, als Elcin Aman eine Begegnung mit einem Radfahrer hat, die sie noch im Nachhinein wütend macht: „Ich habe mit meinem Wagen kurz halten müssen und habe wohl mit dem Autoreifen auf der Linie des Radweges gestanden“, erinnert sich die Mitarbeiterin eines Friseurgeschäfts an der Hohen Straße.
Während sie aussteigt, tritt der vorbeifahrende Radfahrer ihren rechten Seitenspiegel ab. „Er hat laut gemeckert, das war Absicht. Der war echt aggressiv. Wenn ich den erwischt hätte“, schimpft die 35-Jährige. Sie erstattet Anzeige bei der Polizei.
„Ich werde hier ständig angehupt“, schimpft dagegen eine Radfahrerin. „Hier herrscht eine unglaubliche Hektik“, erzählt die 52-Jährige, die ihren Namen nicht nennen möchte. Deshalb weiche sie auf dem Weg in die City manchmal auf die Lindemannstraße aus. „Dort sind die Autofahrer viel entspannter.“
Fahren auf der Slalomstrecke
Auch Tim Mischkin ist oft mit dem Rad unterwegs. „Wenn man sein Rad beherrscht, kriegt man das hin“, sagt der 35-Jährige. „Aber Radfahren in Dortmund ist kein Vergnügen. Und hier stehen mega-oft Lieferwagen. Klar, wo sollen sie auch sonst stehen?“

Eine Fahrt die Hohe Straße entlang ist selbst bei korrekt geparkten LKW kein Vergnügen: Autofahrer fühlen sich oft wie im Slalomparcours. © Martina Niehaus
Tatsache ist: Eine Fahrt auf der Hohen Straße gleicht einer Slalomstrecke. Und das ist weder für Auto- noch für Radfahrer ein Vergnügen. Lieferwagen halten manchmal ordnungsgemäß auf der Fahrbahn, oft aber auch mitten auf den Radwegen. Den Radlern bleibt gar nichts anderes übrig, als auf die stark befahrene Straße auszuweichen.
„Manche werden es wohl nie begreifen“
So kommt es zu Szenen wie vor der Kneipe Luup: Dort liefert gerade ein LKW Getränke an. Während Autos virtuos die Fahrspur wechseln, queren Radfahrer, die aus der Sonnenstraße kommen, die Fahrbahn. Einige Meter weiter ist wieder Vorsicht angesagt: Der Radweg wird kurz vor der Kreuzung Saarlandstraße / Kreuzstraße zwischen die Fahrspuren geführt. Rechts abbiegende Autofahrer müssen aber gleichzeitig die Autos im Auge behalten, die in zweiter Reihe halten, um sich bei Kimbabbox ein Sushi zu gönnen.

Die Hohe Straße an der Kreuzung Saarlandstraße/Kreuzstraße: Hier führt der Radweg mitten zwischen den Autospuren entlang. © Martina Niehaus
Auch vor dem Asia-Supermarkt Tain Kim Heng wird in zweiter Reihe geparkt. Derjenige, der es beobachtet hat, kennt sich mit kniffligen Fahrsituationen aus: Andreas Szymanski hat eine Fahrschule an der Kreuzstraße. „Manche haben es inzwischen gecheckt, nicht auf dem Radweg zu parken. Andere werden es wohl nie begreifen“, sagt der 47-Jährige.
Wer das Fahrzeug wechselt, wechselt die Seiten
Und er sagt ganz klar: „Die Stimmung ist nicht gut.“ Weder Auto- noch Radfahrer verhielten sich rücksichtsvoll. „Einmal hatte ich eine Panne und bin gerade noch mit dem Auto an den Straßenrand gefahren. Da ging ein Radweg her. Was glauben Sie, wie viele mich beschimpft haben. Dabei hatte ich ein Warndreieck aufgebaut.“

Rücksichtnahme? Fehlanzeige! Der Lieferwagen hält auf dem Radweg, die Radlerinnen flitzen nebeneinander drumherum - ohne Helm. © Martina Niehaus
Dabei ist Szymanski selbst oft in der Situation des Radlers: „Ich fahre nur im Dienst Auto, privat bin ich häufig mit dem Rad unterwegs. Und dann schimpfe ich über die Autofahrer“, sagt er und lacht.
Die Lindemannstraße ist für ihn ebenfalls keine optimale Radstrecke. „Autofahrer aus den Seitenstraßen fahren mit Schwung vor und stehen dann schon auf dem Radweg. Das ist sehr gefährlich. Ich empfehle meinen Fahrschülern immer, hier im Kriechtempo heranzufahren“, erklärt er.
Mit Kopfhörern mitten auf dem Fahrradweg
Ein Szenenwechsel führt ins Kaiserviertel. Dort erledigen viele ihre Einkäufe zu Fuß. Beim Rewe zum Beispiel. Doch ein Radweg geht auf dem Bürgersteig entlang. „Wenn ich hier rauskomme, muss ich fast in die Obstauslage springen, um den Radfahrern auszuweichen“, schimpft ein Anwohner.

Auch nicht gerade rücksichtsvoll: Dieser Wagen parkt auf dem Radweg. © Martina Niehaus
Die Straße gleicht der Slalomstrecke auf der Hohen Straße, nur eben im Kleinen. Rewe-Kunden stehen mit ihren Taschen direkt auf dem Radweg. Entnervte Radler klingeln, treten in die Bremsen. Manche befahren den Radweg von der falschen Seite, andere geraten beim Überholen auf den Bürgersteig. Fußgänger wiederum gehen mitten auf dem Radweg spazieren, mit Kopfhörern im Ohr. Da hilft auch keine Klingel mehr.

Auf der Kaiserstraße kommen sich Radler und Fußgänger häufig in die Quere. © Martina Niehaus
Was sagt der Radfahrer dazu, der gerade vor dem Rewe sein Rad anschließt? Es ist Alexander Brauckmann. Der 35-Jährige fährt jeden Tag mit dem Fahrrad nach Bochum zur Arbeit. „Spaß macht das hier nicht, die Infrastruktur ist allgemein schlecht und unübersichtlich.“ Brauckmann vermisst vor allem die Rücksicht der Autofahrer. Aber er versteht auch die Fußgänger, die über Radfahrer klagen. „Gegenseitige Rücksicht ist wichtig. Früher im Auto habe ich über Radfahrer geschimpft, jetzt sehe ich die Dinge anders.“
Burger servieren auf dem Fahrradweg
„Es ist eine tägliche Herausforderung“, sagt auch Thomas Kraus. Er ist Inhaber des „Hexenkessel“ an der Ecke Kaiserstraße / Lippestraße. Einige der Tische, die zum Restaurant gehören, liegen auf der anderen Seite des Radweges. Die Kellnerinnen haben gelernt, zu jonglieren.

Im Café Hexenkessel müssen die Kellnerinnen ganz schön aufpassen, wenn sie bedienen: Sie gehen jedes Mal über den Radweg. Passenderweise gibt es hier "Sausebrause". © Martina Niehaus
„Eigentlich endet der Radweg vor dem Laden. Man müsste absteigen und schieben, zumal die Autos aus der Lippestraße auch Vorfahrt haben“, erklärt der 47-Jährige die Situation. „Aber die Leute heizen hier einfach durch, mit Kind und Kegel und in beide Richtungen.“ Er habe schon erlebt, dass Radfahrer mit ihrem Helm auf Autos eingeschlagen hätten - obwohl an dieser Stelle „rechts vor links“ gilt. Das schwächste Glied in der Kette seien am Ende die Fußgänger. „Wir haben gelernt, das hinzunehmen“, sagt Kraus. Und er sagt, wie Alexander Brauckmann: „Ein wenig gegenseitige Rücksicht wäre schön.“
Begegnungen mit interessanten Menschen und ganz nah dran sein an spannenden Geschichten: Das macht für mich Lokaljournalismus aus.
