Das letzte Richtfest für einen riesigen Büroneubau ist noch gar nicht lange her, da weht jetzt in Dortmund schon der nächste Richtkranz über einem noch größeren Bürokomplex. Wenn man auf der B54 aus Richtung Süden in die Stadt fährt, kann man hinter den Bäumen das Gebäude sehen, das in Form und Größe dem früheren Stahlwerksgelände Phoenix-West seinen Stempel aufdrückt.
Der Dortmunder IT-Dienstleister Materna, der zuletzt mit einer Cyber-Attacke zu kämpfen hatte, und an seinem derzeitigen Sitz an der Voßkuhle aus allen Nähten platzt, baut seine neue Firmenzentrale mit sage und schreibe 44.000 Quadratmetern Nutzfläche. Damit ist dieser gigantische Bau für rund 1900 Beschäftigte, die hier demnächst für die Materna Gruppe tätig sein werden, größer als der majestätisch anmutende, neue Hochbau an der B1, dessen Richtfest die Continentale Krankenversicherung am 3. Mai feierte.
Der künftige Hauptsitz der Continentale bietet 34.200 Quadratmeter Fläche. Zum Vergleich: auch der 22-geschossige Westfalentower an der B1/Semerteichstraße bietet „nur“ 28.800 Quadratmeter Bürofläche. Und der Neubau von Adesso, mit dem der andere große Dortmunder IT-Dienstleister seine bisherige Bürofläche verdoppelt, wird zum geplanten Einzug im Herbst 11.300 Quadratmeter bieten.
Krise im Silicon Valley
Kurzum: Mit diesem gigantischen Neubau setzt Materna ein Zeichen - für sich und seine Mitarbeitenden, für den gelungenen Strukturwandel in Dortmund und auch für die Branche. Während es im Silicon Valley in Kalifornien kriselt und es bei Google, Microsoft und Amazon Massenentlassungen gibt, entsteht in Dortmund Büroraum für Hunderte Arbeitsplätze neu.
„In den USA haben die Tech-Giganten von der Corona-Pandemie profitiert und Personal aufgebaut, das normalisiert sich jetzt wieder“, sagt Martin Wibbe, Vorstandsvorsitzender der Materna Gruppe. In Deutschland gebe es aber jenseits der fürs Homeoffice nötigen Anwendungen einen enormen Digitalisierungsbedarf - zum Beispiel in öffentlichen Verwaltungen, deren Aufträge 30 Prozent des Umsatzes bei Materna ausmachen.
Dass es überhaupt keinen Grund für ein Überschwappen der Krisenstimmung in den USA auf die deutsche IT-Branche gibt, bestätigt auch Prof. Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg: „Die Nachrichten aus Kalifornien betreffen Tech-Konzerne, wie es sie in Deutschland nicht gibt. Der hohe Bedarf in Deutschland beruht ja darauf, dass die ganze Wirtschaft sich digitalisiert. Das hat mit Facebook und Google nicht viel zu tun.“
Materna will weiter wachsen
Die Wachstumszahlen der Materna Gruppe zeigen das. 2022 erzielte Materna einen Umsatz von 554 Millionen Euro. Gegenüber dem Vorjahr bedeutet das ein Plus von 27,8 Prozent. „Und wir wollen weiter wachsen. Allein im ersten Quartal dieses Jahres haben wir schon 240 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt“, sagt Materna-Chef Martin Wibbe. Insgesamt braucht man für die anstehenden Aufgaben in der Gruppe bald 5000 statt der jetzt rund 4000 Beschäftigten.
Materna wächst zwar über dem Durchschnitt der Branche und sucht daher besonders viele Fachkräfte. Die Beschäftigung von IT-Mitarbeitenden steigt in Deutschland aber insgesamt, wie Prof. Enzo Weber sagt: „Bei uns gab es durch die Corona-Pandemie keinen ungewöhnlichen Beschäftigungsboom in IT-Firmen, sondern eher die Fortsetzung eines kräftigen Beschäftigungstrends. Und der hält an und die Leute werden knapp.“

Mit der neuen Firmenzentrale verwirklicht Materna ein modernes und flexibles Arbeitsplatzkonzept, das das Unternehmen attraktiv machen und ein kreatives Arbeiten fördern soll. „Es wird Rückzugsräume, Lounges, ein Restaurant, einen Kicker, einen Sportraum und Besprechungsräume für zwei bis 199 Personen geben“, sagt Frank Schuhkraft, Architekt bei Materna. „Das Homeoffice“, ergänzt Martin Wibbe, „wird Bestandteil des Arbeitens bleiben, aber wir schaffen einen Anziehungspunkt, der die Beschäftigten auch ins Büro holt.“ Für die Identifikation mit dem Unternehmen, sagt Firmengründer Winfried Materna, für den Zusammenhalt und das Vorantreiben von Innovationen sei das Zusammenkommen wichtig.
Ein Hauch von New York
An der Robert-Schuman-Straße auf Phoenix-West, wo die neue Heimat von Materna gerade entsteht, wird das in gut einem Jahr möglich sein. „Wenn an der Voßkuhle alle ins Büro kommen wollen würden, hätte ich ein Problem. Das ändert sich mit dem Neubau“, sagt Martin Wibbe. Der neue Firmensitz ist 2018 sogar größer geplant worden, als er jetzt aufgrund von Homeoffice, mobilem Arbeiten und Desk-Sharing sein muss. „Etwa ein Drittel der Fläche werden wir untervermieten und suchen dafür noch Mieter“, sagt Frank Schuhkraft.


Dass die Materna-Zentrale ein „Hingucker“ wird, wie es Oberbürgermeister Thomas Westphal in seinem Grußwort sagte, ist gut zehn Monate nach der Grundsteinlegung zu erkennen. Die Spitze, auf die der dreieckige, fünf- bis sechsgeschossige Gebäudekomplex zur B54 hin zuläuft, erinnert in ihrer abgerundeten Form an ein Kult-Gebäude in New York. Bewusst so erklärte es Prof. Eckhard Gerber vom Dortmunder Büro Gerber Architekten, das die Pläne entwarf, soll diese Gestaltung an das Flatiron Building, das Bügeleisengebäude erinnern, das 1902 an der Kreuzung der Fifth Avenue und des Broadway entstand. Materna zeige damit, dass man weltoffen in die Zukunft gehe.
Der Clou für die Mitarbeitenden aber, das betonen Winfried Materna und sein einstiger Firmenmitgründer Helmut an de Meulen, wird der Innenhof mit rund 6000 Quadratmetern Grünfläche werden: „Das wird die Mitte des Unternehmens.“ Eines Unternehmens, das sie beide 1980 in Dortmund aus der TU heraus gegründet haben, und das danach „Teil einer großen Entwicklungsgeschichte dieser Stadt geworden ist“, wie Thomas Westphal sagte.
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