„Zusammen, das haben wir immer gesagt, sind wir unsterblich“ Nachruf auf Dortmunderin Irmgard Nolte (1939-2019)

Von Dirk Berger
Unternehmerin Irmgard Nolte (1939-2019) war „mitreißend, wohlwollend, positiv“
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Nach drei Sekunden, da ist Hans Nolte sicher, weiß man, sein Gegenüber einzuschätzen. Auf diesen drei Sekunden fußt ein großer Teil seiner Lebenserfahrung, privat und geschäftlich. Geht was - oder eben nicht? Als der Kaufmann Nolte, heute 82 Jahre alt, 1968 der Kauffrau Irmgard Distelkamp gegenüberstand, waren selbst drei Sekunden zu lang. Es traf ihn unmittelbar. „Sie ist die große Liebe meines Lebens gewesen“, erinnert er sich. Aus der einen Sekunde wurden 51 Jahre. Bis zum 25. Mai 2019, als Irmgard Nolte im Alter von 80 Jahren starb.

Irmgard und Hans Nolte
Irmgard und Hans Nolte © privat

Eine Spielhalle - Warum nicht?

Als sie sich kennenlernten, hatten beide bereits eine Ehe hinter sich. „Wir brauchten immer etwas länger“, erzählt Nolte im Rückblick. Bis sie wussten, dass es sich richtig anfühlte. Das war im Geschäftlichen nicht anders. Nolte machte sich damals Gedanken um eine berufliche Neuorientierung. Er kam aus der Möbelbranche, arbeitete aber übergangsweise für einen Hersteller von Spielautomaten und sah die Chance, sich selbstständig zu machen. Eine Spielhalle – warum nicht? Heraus kam die Firma INO Automatenaufstell GmbH. Die Spielhallen waren den Dortmundern bekannt als INO‘S Spieltreff. Drei gab es in Dortmund, drei in der Region.

Pragmatische Geschäftsfrau

Geld in Spielhallen zu investieren, war nicht das, was Irmgard Nolte sich vorstellte. Spielhallen galten als anrüchig. Für den Ruf des Gewerbes konnte Nolte nichts. Es ist erlaubt, vor Automaten seinem Dopamin nachzujagen. Wäre Glücksspiel verboten, das beweist ein Blick in die Geschichte, würde illegal gezockt. Was den Staat um Steuern und Einflussmöglichkeiten bringen würde.

Einfach seriös eine Spielhalle zu führen, das war Noltes Vorstellung. „Es hat lange gedauert bis ich sie überzeugen konnte“, erinnert er sich. Schließlich stimmte sie zu: „Aber nur zu meinen Bedingungen.“ Und ihre Bedingungen waren: Ordnung und Klarheit. Immer und überall. Für Noltes galt es fürderhin, eine wirtschaftliche Chance wahrzunehmen. Vielleicht kann man es so ausdrücken: Geld ist nicht alles – aber mehr Geld ist besser als weniger.

Hans und Irmgard Nolte auf einer Betriebsfeier
Hans und Irmgard Nolte auf einer Betriebsfeier © privat

Ordnung und Klarheit, zwei Begriffe, bei denen Frank Distelkamp, Irmgard Noltes Sohn aus erster Ehe, lächeln muss. „Oh ja“, sagt er, „sie war organisationsstark und hatte eine dominante Ader. Das mochte nicht jeder, aber das war meiner Mutter egal.“ Ein schwieriger Charakter deshalb? „Nein, weil jeder wusste, woran er war.“ Kein Rumdrucksen, ein Vielleicht war nicht vorgesehen, nur Klarheit. In der Betriebswirtschaft wie in der Personalführung. So war Irmgard Nolte also: elegant gekleidet, immer auf High Heels unterwegs, mit klarer Ansage. Eine Geschäftsfrau.

Wer sie nur so kannte, kannte sie nicht gut.

Familie Nolte Sohn Erste Ehe Distelkamp
Beide mit Irmgard Noltes Sohn aus erster Ehe, Frank Distelkamp © privat

Mehr als nur Geschäftsfrau

Jutta Zielniewicz, heute 58 Jahre alt, hat lange genug bei Noltes gearbeitet, um den Eindruck, den man von Irmgard Noltes Ich-Stärke haben konnte, um einige Facetten zu erweitern. „Sie hat mir früh Vertrauen geschenkt“, erinnert sie sich, „bei ihr bin ich erwachsen geworden.“

Die gelernte Friseurin bekam mit 24 Jahren das Angebot von ihr, die Leitung sämtlicher Spielhallen zu übernehmen. Spielhallen sind ja mitunter raue Biotope, wo vorwiegend Männer mit Gerätschaften Lebensgemeinschaften eingehen und Freizeitvergnügen zu Schicksalen gerinnen können.

Wo die Konkurrenz versucht, Automaten zu manipulieren, Personal abzuwerben. Wurden auch gerne mal überfallen. Zielniewicz überwand ihre anfängliche Unsicherheit schnell: „Das kannst Du, hat sie zu mir gesagt. Sie hat mir gezeigt, wie man sich durchsetzt.“ Irmgard Nolte konnte Stärke weitergeben.

„Sie war in ihrer Zielgerichtetheit mitreißend, wohlwollend, positiv“, erinnert sich jemand, der anonym bleiben möchte. Viele hätten von ihr profitiert, „sie bot Teilhabe an, ohne das jeweilige Gegenüber zu überfordern“.

Geschäftsfrau Irmgard Nolte
Geschäftsfrau Irmgard Nolte © privat

„Alles hat seine Zeit“

Unternehmen, die mit Spielhallen ihr Geld verdienen, stehen gewissermaßen unter besonderer staatlicher Aufsicht. Steuerprüfungen habe es reichlich gegeben, so Hans Nolte. Im Grunde ist er heute noch erbost darüber, dass die Steuerfahndung bei jedem Betreiber Betrug gewissermaßen voraussetzte. „Wir haben es anders gemacht als andere – nie gab es etwas zu beanstanden.“ Aber ihnen war auch klar, dass sie sich irgendwann aus dem Unternehmen zurückziehen wollten. Was 2005 der Fall war, als sie es verkauften.

Der Rückzug entsprach Irmgard Noltes Motto: „Alles hat seine Zeit.“ Über die Jahre hatte die Familie Geld in Mietshäuser investiert, deren Verwaltung nun ihre Arbeitskraft beanspruchte. Irmgard Nolte gab nichts aus der Hand, sie kümmerte sich. Dazu gehörte durchaus, unangemeldet bei Leuten, die sich um einen Einzug bemühten, vor der Tür der Wohnung zu stehen, aus der sie ausziehen wollten. Nur um einen Eindruck zu bekommen, wie sie denn so wohnten. Sympathie reichte nicht: Es musste schon auch sauber und aufgeräumt sein.

Das konnte man für schräg halten, passte aber zu ihr. Schnelle, falsche Entscheidungen konnten schließlich teuer werden. Andererseits: „Keiner musste drei Monatsabrechnungen vorweisen, sie holte keine Schufa-Auskunft ein – sie interessierte sich nur für den Menschen“, erzählt Frank Distelkamp. Hielt der Mensch der Bewertung stand, konnte er einziehen.

In unserer Serie „Unvergessen“ erinnern wir in lockerer Folge an ganz verschiedene Dortmunderinnen und Dortmunder, indem wir ihre Verwandten, Freunde und Bekannten zu Wort kommen lassen, um das Andenken an die Person wachzuhalten. Anregungen und Ideen zur Serie und Tipps für mögliche künftige Folgen nehmen wir gern entgegen unter dortmund@lensingmedia.de, Betreff: Serie Unvergessen: Tipp

„Sie ist gerannt und gerannt“

„Ich denke viel an sie“, sagt Ute Zafarana (64), seit 33 Jahren Mieterin in einem Haus, in dessen Anschaffung Noltes investiert hatten, „sie war einfach klasse. Vor allem half sie einem, wo sie helfen konnte.“ Das war der Fall, als Zafarana sich mit einem Senioren-Begleitservice selbstständig machen wollte. „Ich hatte ja keine Ahnung. Sie hat mir bei den Unterlagen geholfen, sie hat mit Ämtern telefoniert.“

Als ein Verwandter von ihr mit großen persönlichen Problemen zu kämpfen hatte, nahm sie sich seiner an. Ämter, Ärzte: Auch hier regelte sie das, was geregelt werden musste. „Sie ist gerannt und gerannt“, erinnert sich Zafarana, „solche Leute darf man nicht vergessen.“ Man hört förmlich das Klackern der High Heels von Irmgard Nolte auf den Behördenfluren.

Ein erfolgreiches Team

Einen Gewinn als Versprechen gibt es nicht, für alles muss man etwas tun. „Sie hat die preußischen Tugenden verkörpert“, stellt Schwiegertochter Anita Distelkamp fest. Fleiß gehört dazu. Umso härter traf es Irmgard Nolte, als sie 2012 einen Schlaganfall erlitt, der den Beginn einer Demenz auslöste. Das passte nicht in ihr Selbstbild. Probleme mit dem Sprechen? Damit konnte sie nicht umgehen. „Sie konnte keine Schwäche zugeben“, so Frank Distelkamp, „sie wollte sich nicht dem Mitleid aussetzen und hat dann lieber mit dem Sprechen aufgehört.“ Irmgard Nolte verstummte hinter ihrer Festung.

Ihr Sohn, der inzwischen die Verwaltung der Immobilien übernommen hat, setzte in der Folge noch einen Wunsch seiner Mutter um. 2020 gründete er die Stiftung D:INO, deren Name sich aus den Vor-, Nach- und Mädchennamen seiner Mutter zusammensetzt. Das Stiftungskapital ist ein Miethaus aus dem Familienfundus von sechs Immobilien. Erträge daraus kommen derzeit dem Elisabeth-Grümer-Hospiz, dem Christinenstift sowie dem Hospizdienst Dunkelbunt zugute.

Mutter und Sohn Nolte Distelkamp
Irmgard Nolte mit Sohn Frank © privat

Das alles ist Lebensleistung. „Wir konnten nur im Team erfolgreich sein“, ist sich Hans Nolte gewiss, „ich war der Ausgeglichene, mit einem Gefühl für Leute. Sie die durchsetzungsstarke.“ Paar und Partner: „Zusammen, das haben wir immer gesagt, sind wir unsterblich.“ Stimmt nicht. Keine drei Sekunden mehr, noch nicht mal eine.

Denn alles hat seine Zeit – bis die Zeit alle hat.

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