Trotz allem bleibt Erzieherin für Iris ein Traumjob „Leuchtende Kinderaugen sind unbezahlbar“

Trotz aller Herausforderungen bleibt Erzieherin für Iris ein Traumjob
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Luke und Piet* rasen immer wieder über den breiten, leicht abschüssigen Flur. Auf zwei Spielzeug-Laster gestützt rennen sie los, schmeißen sich zum Abbremsen auf die Knie und lachen, wenn eins der Fahrzeuge beim Wenden aus der Kurve fliegt. Die unbändige Energie, die kindliche Freude und das tolle Miteinander der beiden Freunde steckt an - auch Erzieherin Iris Chatzopoulos. Beim Blick auf die beiden Jungen sagt sie mit einem Lächeln: „Die beiden lieben sich, es passt einfach.“

Dabei liegen zwischen Luke und Piet drei Jahre Altersunterschied. Luke ist drei, der ältere Piet ist sechs Jahre alt. Luke hat keine Behinderungen, Piet schon. Die beiden gehen in die Kita des Evangelischen Familienzentrums Aplerbecker Mark - in der heilpädagogisch kombinierten Einrichtung werden Kinder mit und ohne Behinderung betreut.

Die beiden Jungen, die trotz so unterschiedlicher Voraussetzungen so eng befreundet sind, sind ein Grund dafür, dass Iris Chatzopoulos sagt: „Erzieherin ist der tollste Job der Welt“. Natürlich kennt sie auch die Schattenseiten: Überlastung, weil in der Finanzierung Lücken klaffen und zu wenig Personal zur Verfügung steht, oder Eltern, die von Notbetreuung und eingeschränkten Öffnungszeiten genervt sind. Aber das ist für sie nicht das Entscheidende. Für Iris Chatzopoulos wiegt der Umgang mit ihren Schützlingen das alles auf.

„Man ist in diesem Job nie fertig“

Die 52-Jährige hat in ihrem Beruf schon viel erlebt: 20 Jahre lang hat sie in einer Brennpunkt-Kita in Köln gearbeitet. „Eine ganz harte Schule, Bisswunden, blaue Flecken... ich habe da zwischenzeitlich Rotz und Wasser geheult.“

Seit 2012 lebt sie nun in Dortmund, hat im Familienzentrum Aplerbecker Mark ihr berufliches Glück gefunden. „Man ist in diesem Job nie fertig“, sagt sie. Was man resignierend auffassen könnte, meint Iris Chatzopoulos gegenteilig. Immer wieder ist ihr Berufsalltag neu: „Jedes Kind ist anders, jede Gruppendynamik individuell. Man lernt viel von den Kindern. Nicht nur wir bringen den Kindern etwas bei, sie bringen uns auch neue Blickwinkel bei.“

Dabei gefällt ihr auch, wie sich das Berufsbild geändert hat: Früher habe man sich an allgemeinen Vorgaben orientiert, was ein Kind in welchem Alter können muss. „Heute holen wir das Kind da ab, wo es in der Entwicklung ist. Man lässt die Kinder auch einfach mal machen, viel frei spielen. Es ist so wichtig, dass man da nichts ,überstülpt`. Ich finde es immer beeindruckend, wenn man ein Kind sieht und denkt: ,Eigentlich kannst du das gar nicht.‘ Und dann macht es das einfach und man ist von diesem Entwicklungsschritt überrascht.“

Iris Chatzopoulos trägt in der Kita des Evangelischen Familienzentrums Aplerbecker Mark in Dortmund ein Kind auf dem Arm.
Iris Chatzopoulos hat eine enge Bindung zu den Kindern in ihrer Gruppe. Sechs bis acht Stunden Zeit verbringen viele Kinder hier. © Leonie Lippmann

Die Fortschritte ihrer Schützlinge als enge Bezugsperson begleiten zu dürfen, fasst auch Angela Polednik als großes Glück auf. Die 38-Jährige gehört zum Leitungsteam der Montessori-Kita „Barbara House“. „Der Beruf ist sehr sinnstiftend, es gibt einem viel, wenn man zur Entwicklung der Kinder beitragen kann.“ Momente, die von außen betrachtet vielleicht klein wirken, bleiben ihr oft lange im Gedächtnis: „Es ist immer ein Erlebnis, wenn ein Kind es das erste Mal schafft, die Schleife am Schuh alleine zu binden“, erzählt sie mit viel Wärme in der Stimme aus ihrem Berufsalltag.

Ein anderer Aspekt, der ihr ein Schmunzeln entlockt: „Man bekommt von Kindern immer ein ehrliches Feedback.“ Kindliche Freude gehört zu den weiteren positiven Aspekten: „Die Kinder freuen sich immer, einen zu sehen. Sie haben immer etwas zu erzählen und es wird nie langweilig.“

Ein enger Draht zum Kind, aber auch zur ganzen Familie spielt für die Leiterin der Montessori-Kita eine wichtige Rolle: „Wir besuchen jedes Kind, das neu zu uns kommt, zu Hause. Das steht für das, was wir wollen: Die Familien eng begleiten.“

Eine enge Bindung ist auch für Iris Chatzopoulos eine tragende Säule ihres beruflichen Glücks: „Natürlich habe ich die Kinder lieb, und das wissen sie auch. Professionelle Distanz hin oder her - das sind kleine Kinder, die sechs bis acht Stunden von ihren Eltern getrennt sind. Wir sind das zweite Zuhause.“

Mathilda* versucht es schon wieder. Still und leise hat sich die Zweijährige in Richtung Hochebene geschlichen. Die kleine Holztreppe ist mit einem Türchen gesichert, die das kleine Mädchen schon geöffnet hat. „Nein, Mathilda, nein!“, reagiert Iris Chatzopoulos sofort. Die Hochebene mit kleinteiligem Lego ist für Mathilda tabu, weil sie noch zu jung ist. Mathilda weiß das, aber es reizt sie einfach zu sehr. „Sie versucht es jeden Tag immer wieder, zehnmal. Mindestens“, sagt ihre Erzieherin und man ahnt, dass die Ausdauer des kleinen Mädchens gelegentlich eine Nervenprobe ist.

Es ist ein harmloses Beispiel für die harten Seiten des Berufs: Kinder können herausfordernd sein. Auszeiten kann sich Iris nicht erlauben, Augen und Ohren sind immer offen, um alles in der Gruppe mitzubekommen. Zudem gehen in ihre Einrichtung aufgrund des heilpädagogischen Ansatzes auch Kinder mit „sehr hohem Anforderungsschwerpunkt“ - also starken Beeinträchtigungen. „Da kommt man an Grenzen. Wenn es ein Tag ist, an dem man nur zu zweit arbeitet, dreht man teilweise am Rad.“

In der Einrichtung werden pro Gruppe 17 Kinder betreut - 14 ohne Beeinträchtigungen, 3 mit Behinderungen. Drei bis vier Mitarbeiterinnen arbeiten im normalen Tagesablauf mit den Kindern, hinzu kommen verschiedene Therapeuten, die Einzel- und Gruppenförderungen durchführen.

Angela Polednik im Außenbereich der Kita "Barbara House" in Dortmund.
Angela Polednik gehört zum Leitungsteam der Montessori-Kita "Barbara House" in Dortmund. SIe empfindet die Arbeit mit Kindern als sehr "sinnstiftend." © privat

Insgesamt sieht Iris Chatzopoulos die Kita personell gut aufgestellt, von extremen Maßnahmen wie Notbetreuung oder rotierenden Betreuungsplänen, an denen Kinder nicht jeden Tag in der Woche zur Kita kommen dürfen, ist man hier weit weg. Krankheitsbedingte Ausfälle beim Personal können teilweise trotzdem zu leichten Einschränkungen im Ablauf führen. „Zum Beispiel schafft man es nicht immer zum Spielen nach draußen, wenn wir knapp besetzt sind.“ Was die 52-Jährige wirklich trifft, sind Eltern, die darüber Missfallen äußern. „Da fehlt mir manchmal die Wertschätzung, was wir täglich leisten und wie sehr wir uns bemühen.“

Eine höhere Wertschätzung - gesellschaftlich, aber auch politisch - wünschen sich laut einer Umfrage auf dem Deutschen Kitaleitungskongress 39 Prozent aller Kitaleitungen. Noch größer ist der Wunsch nach einem besseren Personal-Kind-Schlüssel (63 Prozent) und kleineren Gruppen (55 Prozent).

Auf der Wunschliste von Angela Polednik stehen noch andere Punkte - die vor allem die Eltern betreffen. „Die Elternarbeit hat sich in den letzten 15 Jahren verändert.“ Die Kita-Leiterin spürt bei einigen Eltern eine Verunsicherung, die ihren Ursprung möglicherweise online hat: „Auf Social Media gibt es viele Experten, die Erziehungstipps geben, immer wieder tauchen dort Erziehungstrends auf. Das kann Eltern verunsichern, glaube ich.“ Statt den nächsten Online-Beitrag zu lesen, könne eine Nachfrage in der Kita helfen: „Wir Erzieherinnen wären gerne mehr in der Position, als Fachleute für solche Fragen gesehen zu werden.“

Ein zweites großes Thema zwischen Eltern und Erziehern sei das Thema Krankheit. Sowohl Iris Chatzopoulos als auch Angela Polednik betonen zwar, dass sich der Großteil der Eltern verantwortungsvoll verhalte. Trotzdem komme es regelmäßig vor, dass kranke Kinder in die Kita gebracht würden. „Sie erzählen dann, dass sie morgens ganz leckeren Erdbeersaft bekommen haben.“ (Ein bekannter Fiebersaft für Kinder ist rötlich, Anm. d. Red.)

Den Druck, der auf berufstätigen Eltern lastet, ist beiden Erzieherinnen bewusst, „aber kranke Kinder rauben uns alle Kapazitäten“, so Iris Chatzopoulos. Und sie sind oft der Beginn eines Teufelkreises: „Bei Magen-Darm dauert es zwei Tage, dann haben es alle“, sagt Angela Polednik.

Die Belastungen des Berufs - gerade, wenn sich Krankheit an Krankheit reiht - können gravierend sein. Trotzdem würde sich Iris Chatzopoulos immer wieder für diesen Weg entscheiden. Ein Grund sind ihre Vorgesetzten und Kolleginnen: „Wir funktionieren als Team gut, so kann man einiges auffangen.“

Erzieherin Iris Chatzopoulus bastelt in der Kita des Evangelischen Familienzentrums Aplerbecker Mark in Dortmund mit einem Kind an einem Tisch.
Iris Chatzopoulos beim Basteln. Die Erzieherin bemüht sich, den Kindern viel zuzutrauen. © Jessica Will

Luke und Piet sitzen gemeinsam am Basteltisch im Gruppenraum – gemeinsam mit Iris Chatzopoulos basteln sie ein kleines Haus, in dessen „Vorgarten“ eine Rasenfläche aus Kresse wachsen soll. Konzentriert beugt sich Piet über das kleine Papphaus und malt drauflos. Im Vergleich zu seinem Freund Luke fällt ihm die Stifthaltung deutlich schwerer, aber dieser Vergleich spielt für die beiden Jungs keine Rolle. „Iris, wie bunt soll ich das Häuschen noch machen?“, fragt er Iris Chatzopoulos. „Du malst es so bunt an, wie es dir gefällt“, sagt die Erzieherin. Dann lehnt sie sich wieder zurück und beobachtet die beiden Freunde beim Basteln.

Nach einer Viertelstunde ist das Werk vollbracht: Die Häuschen sind fertig, die Kresse ist gesät. Stolz stellen die beiden Freunde ihre Werke auf einen kleinen Tisch – dann flitzen sie gemeinsam los, die nächste Spielidee schon im Kopf.

Iris Chatzopoulos schaut ihnen nach. Wieder mit einem Lächeln im Gesicht. Es ist ein Moment, in dem man gut nachvollziehen kann, warum die 52-Jährige ihren Beruf liebt - trotz aller Widrigkeiten: „Ich mache das mit Herz und Seele. Weil ich es liebe, die leuchtenden Kinderaugen zu sehen.“

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*Namen von der Redaktion geändert

Transparenz-Hinweis: Träger der International Montessori School – Barbara House ist die Trägergesellschaft Internationale Montessori Einrichtungen Dortmund. Deren 1. Geschäftsführerin Johanna Lensing-Wolff ist mit Lambert Lensing-Wolff verheiratet, dem Verleger und Geschäftsführer der Ruhr Nachrichten.

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