„Bei der SPD stehen die Arbeiter nicht mehr ganz vorne“ Wie die AfD in Dortmund stark wurde

„Bei der SPD stehen die Arbeiter nicht mehr ganz vorne“
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Die AfD ist in Dortmund bei der Bundestagswahl mit 17 Prozent drittstärkste Kraft geworden, vor vier Jahren waren es noch 7 Prozent. Im gesamten Ruhrgebiet kam die AfD sogar auf 19 Prozent. Mehr als ein Drittel der Wähler haben früher SPD gewählt, in den nördlichen Rändern Dortmunds hat die AfD diverse Bezirke gewonnen. Der Politikwissenschaftler Stefan Marschall von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf erklärt, wie die AfD im Ruhrgebiet so stark werden konnte.

Hat die AfD im Ruhrgebiet eine neue Heimat gefunden?

Zumindest hat sie sich im Ruhrgebiet als eine starke Kraft etabliert. Es ist klargeworden: Die AfD ist nicht eine Regionalpartei Ost, sondern sie hat auch im Westen Fuß gefasst. Es ist schon bemerkenswert, dass Gelsenkirchen einer der beiden Wahlkreise in Westdeutschland ist, in dem die AfD bei den Zweistimmen stärkste Kraft geworden ist.

In welchen Stadtbezirken ist die AfD in den Ruhrgebiets-Städten besonders stark?

Man kann es auf die Formel herunterbrechen: Je strukturschwächer ein Stadtgebiet, je höher die Arbeitslosigkeit und je niedriger die durchschnittlichen Einkommen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die AfD dort Erfolge erzielt. Das konnte man auch in Dortmund ganz gut verfolgen.

Also hat die AfD eigentlich klassisches Wählerklientel der SPD abgegriffen?

Die AfD hat es geschafft, insbesondere bei den Arbeitern erfolgreich zu sein. Es gibt zwar noch keine spezifischen Analysen, was das Wählerverhalten der AfD im Ruhrgebiet angeht. Wir sehen aber, dass bundesweit unter den Arbeitern fast 40 Prozent für die AfD gestimmt haben. Bei der SPD dagegen stehen nicht mehr die Arbeiter ganz vorne, sondern die Rentnerinnen und Rentner.

Dabei haben die Gewerkschaften vorher gewarnt, die AfD sei keine Arbeiterpartei. Hat die AfD in ihrem Wahlprogramm die Arbeiter im Blick?

Wenn man sich die Wirtschafts- und Sozialpolitik der AfD anschaut, ist das keine klassische linke Umverteilungspolitik, sondern eher eine Politik, die in die Richtung der Wirtschaftskonzeption von CDU und FDP geht. Also eine stärker marktorientierte Politik, die unternehmensfreundlich ist. Die AfD hat die Arbeiter aber insofern im Blick, dass sie mit dem Migrationsthema einen ganz zentralen Punkt gemacht hat, der für viele Menschen relevant ist. Migranten zieht es gerade in jene Gebiete, die strukturschwach, also wirtschaftlich benachteiligt sind, wo aber zum Beispiel das Wohnen billiger ist. Dort, wo bereits sozial Schwache leben, kommen noch weitere sozial Schwache dazu, und das eskaliert die Probleme.

Dann ist das Thema Migration für AfD-Wähler also wichtiger als die Einkommensverteilung?

Ja, das Thema Migration ist immer ganz weit vorne und da sprechen ihre Anhänger der AfD Kompetenzen zu. Sozialpolitik spielt eher abgestuft damit herein. Hiermit hat wiederum die Linke in einigen Dortmunder Stadtteilen zulegen können, weil sie viel stärker auf die Themen Umverteilung und soziale Gerechtigkeit abgezielt hat. Ich glaube aber, ihre Anhänger schätzen die AfD dennoch so ein, dass sie sich insbesondere um die kleinen Leute kümmern würde.

Die AfD hat auch viele Nichtwähler mobilisieren können. Sind das vor allem Protestwähler gegen die etablierten drei großen Parteien?

Wenn man die AfD wählt, ist das auch immer ein Ausdruck dafür, dass die anderen Parteien sich nicht wirklich um einen zu kümmern scheinen. Viele Wählerinnen und Wähler der AfD sagen, dass die AfD die einzige Partei ist, mit der man seinen Protest zum Ausdruck bringen kann. Laut entsprechenden Befragungen geben aber 54 Prozent der AfD-Wähler an, sie würden die Partei aus Überzeugung wählen und dort auch ihre Einstellung wiederfinden. Und dann bleiben rund 40 Prozent, die sagen, dass es die Enttäuschung über andere Parteien ist, die sie zur AfD treibt. Wir haben also mittlerweile einen markanten Anteil an Einstellungswählern, die in der AfD ihre politische Heimat sehen.

Warum konnte die SPD mit dem Thema Migration nicht punkten?

Die SPD war jetzt in der Regierungsverantwortung und hat in der Ampel-Koalition das Thema nicht so behandeln können, wie es aus Sicht vieler Menschen hätte behandelt werden müssen. Das hängt damit zusammen, dass das ein hochkomplexes Themengebiet ist, in dem es auch viele Einschränkungen dessen gibt, was man in Europa machen kann und viel Wünschenswertes umsetzbar ist. Dennoch erscheint die SPD in Verantwortung dafür, dass die Migrationssituation in den Augen vieler noch nicht effektiv angegangen worden ist.

Spielen die rechtsextremen Tendenzen in der AfD keine Rolle für ihre Wähler?

Anscheinend nicht, denn mit dem zunehmenden Erfolg der AfD findet zeitgleich eine Radikalisierung der Partei statt. Das scheint die Wählerinnen und Wähler nicht abzuschrecken. Da verfängt ein Narrativ der AfD, nämlich die Abwertung der Behörden, die die Einstufung der Partei als teilweise rechtsextrem vornehmen. Den Wählerinnen und Wählern gibt das die Möglichkeit, zu rationalisieren, warum sie trotzdem diese Partei wählen. Auch in Dortmund schien Matthias Helferich keine abschreckende Wirkung zu haben. Da wurde zumindest in Kauf genommen, dass man mit seiner Stimme jemanden unterstützt, der sogar in seinem eigenen Landesverband als Problemfall gilt.

Ist es übertrieben, warnende Vergleiche mit 1933 heranzuziehen?

Historische Vergleiche sind immer schwierig. Geschichte wiederholt sich nicht. Wir haben jetzt ein politisches System und eine politische Kultur, die demokratisch gehärtet sind. Man muss auch sagen, dass immer noch nur eine Minderheit die AfD gewählt hat. Einzelne Stadtteile mit über 50 Prozent AfD sind große Ausnahmen. Und die SPD hat zwar ein Problem, liegt aber im Ruhrgebiet immer noch stabil über 20 Prozent und hat auch in Dortmund die beiden Direktmandate gewonnen. Aber die Logik aus der Geschichte ist, dass man trotzdem wachsam sein muss.

Auch in Dortmund gab es einen Wahlbezirk mit über 50 Prozent Stimmen für die AfD, dort wohnen vor allem Russlanddeutsche. Welche Rolle spielten die für den Wahlsieg der AfD?

Die AfD hat sehr frühzeitig auch die Deutschen aus den ehemaligen Sowjetrepubliken als Zielgruppe für sich entdeckt. Diese Gruppe hat früher tendenziell die Union gewählt, die sich dafür eingesetzt hatte, dass diese Menschen nach Deutschland kommen können. Mittlerweile ist die AfD in dieser Gruppe sehr stark. Da mag ein bisschen die spezifische Russlandhaltung der AfD hineinspielen, aber ich glaube, entscheidender ist, dass man diese Gruppen gezielt angesprochen hat, auch mit Material in ihrer Sprache. Zudem wohnen sie oft in Gebieten, in denen es ohnehin soziale Strukturschwächen gibt und die AfD per se stark ist.

Welches Potenzial hat die AfD bei den Kommunalwahlen im September?

Wir haben in Städten wie Dortmund noch eine relativ starke SPD-Basis und auch die CDU ist nicht irrelevant. Die AfD ist keine Mehrheitspartei. Bei Kommunalwahlen spielen zudem Personen eine ganz zentrale Rolle. Ein beliebter Oberbürgermeister-Kandidat kann anstelle der Parteien die entscheidende Rolle spielen. Man kann freilich nicht ausschließen, dass jemand aus der AfD, der im Wahlkampf gut performt, auch in die Stichwahl kommen könnte. Aber spätestens dort würden sich die Wählenden der demokratischen Mitte vermutlich zusammenschließen und verhindern, dass ein Kandidat der AfD echte Chancen hat. Denn die Mehrheiten liegen immer noch in der Mitte.

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