
© Thomas Thiel
„Ich war kerngesund – und auf einmal biste Krebs-Patient“
Vorsorge-Muffel
Seit Jahren sinkt die Zahl der Hautkrebs-Vorsorgeuntersuchungen in Dortmund. André Walter Herzog (46) war einer von vielen Vorsorge-Muffeln. Seine Sorglosigkeit hätte ihn beinahe umgebracht.
Das Muttermal am Bauch war André Walter Herzog immer egal. Den schwarzen Hautfleck von der Größe einer 2-Cent-Münze hatte der 46-Jährige schon so lange, wie er denken kann: „Er tat nicht weh, er juckte nie“, sagt er.
Heute ziert Herzogs Bauch dort, wo einst das Muttermal war, eine zwanzig Zentimeter lange Narbe. Sein Wegbegleiter hätte ihn fast umgebracht. Wobei man sagen muss, dass es viel eher Herzogs Sorglosigkeit war.
Echte Kerle werden nicht krank
Anfang 2017 steht Herzog mit beiden Beinen im Leben. Der Fahrsicherheitslehrer lebt mit seiner Frau und seinem Sohn (11) in Dortmund, inzwischen ist die Familie nach Lünen umgezogen. Er sieht sich als echten Kerl, krank werden is‘ nich‘: „Ich hatte nie etwas“, sagt er. Dass sein Muttermal am Bauch mit den Jahren etwas dicker geworden ist, ignoriert er.
Eines Tages bei der Arbeit platzt das Muttermal, blutet stark. „Das ganze Hemd war versaut“, erinnert er sich. Als die Behandlungsversuche (Herzog: „Bepanthen und Pflaster drauf, gut is‘!“) nicht fruchten, geht Herzog doch mal zum Arzt. Der schneidet das Muttermal heraus, mit Sicherheitsabstand, könnte ja sein, dass sich Zellen bösartig entwickelt haben.
Daran glaubt der Arzt aber nicht: „Er sagte zu mir: ‚Junge, das sieht gut aus, mach‘ dir keinen Kopf!‘“, erzählt Herzog. Für ihn ist die Sache durch. Die Narbe stört ihn etwas.
„Das Ding war böse“
Und so trifft die Diagnose eine Woche später den 46-Jährigen unvorbereitet. Die Untersuchungs-Ergebnisse des Muttermals sind da und sein Arzt eröffnet Herzog: „Das Ding war böse.“ Für den damals 44-Jährigen ein Schock. „Ich war kerngesund – und auf einmal biste Tumorpatient.“
Herzog hat schwarzen Hautkrebs, „der aggressivste Hautkrebs, den man haben kann“, sagt Dr. Pia Dücker. Die 59-jährige Hautärztin leitet das Hautkrebszentrum des Klinikums Dortmund. Herzog ist ihr Patient, seit zweieinhalb Jahren kämpfen sie gegen seinen Krebs.
775 Hautkrebs-Tote in NRW
Hautkrebs gehört zu den häufigsten Tumorarten. Nach den aktuellsten Zahlen des NRW-Krebsregisters erkrankten 2015 landesweit mehr als 53.800 Menschen neu an Hautkrebs, es wurden 775 Todesfälle registriert.Wird Hautkrebs früh gefunden, ist er fast immer gut in den Griff zu bekommen. Dafür gibt es Vorsorgeuntersuchungen: Hautkrebs-Screenings. Jeder gesetzlich Versicherte kann sich ab seinem 35. Geburtstag alle zwei Jahre kostenlos untersuchen lassen. Dabei schaut sich der Hautarzt alle Muttermale, Leberflecken und Altersflecken genau an. „Die Untersuchung dauert höchstens 20 Minuten“, sagt Dücker.
Das Problem: Immer weniger Dortmunder gehen zu den Screenings. Laut Zahlen der AOK Nordwest ließen sich 2018 21 Prozent der AOK-Versicherten in Dortmund vorsorglich auf Hautkrebserkrankungen untersuchen. Noch 2015 lag der Anteil bei 22,5 Prozent. „Über die Jahre ist ein kontinuierlicher Rückgang zu beobachten“, so die Krankenkasse.
„Ich dachte, das ist doch alles nur Geldmacherei“
Herzog war vor seiner Erkrankung nie bei einer Vorsorgeuntersuchung: „Ich dachte, das ist doch alles nur Geldmacherei.“ Und so wächst der Hauttumor über Jahre unerkannt vor sich hin.
Eine Dicke von einem Millimeter gilt unter Medizinern als Schallgrenze: Ist der Tumor dünner, stehen die Chancen, dass er nicht gestreut hat, sehr gut. Darüber wird es kritisch.
Herzogs Tumor ist zum Zeitpunkt, als sein Muttermal aufplatzt, 5,2 Millimeter dick. Sein Onkologe sagt dem 46-Jährigen später: „Als wir uns das erste Mal getroffen haben, hätte ich nicht auf Sie gewettet.“
Über 60 Lymphknoten werden aus der Achselhöhle ausgeräumt
So überrascht es nicht, dass der Hautkrebs bereits Metastasen gebildet hat: Sie sitzen in den Lymphknoten in der linken Achselhöhle. Über 60 werden operativ entfernt, „ausgeräumt“, wie es in der Ärztesprache heißt. Heute hat Herzog eine tiefe Mulde mehr unter dem Arm. Es folgen sieben weitere Operationen, am Bauch, an der Lunge, bei denen weitere Lymphknoten entfernt werden.
Doch das war nur der Anfang. „Bei dickeren Tumoren muss man davon ausgehen, dass etwas übrig bleibt im Körper“, sagt Herzogs Ärztin Dücker.

Ärztin und Patient: Dr. Pia Dücker und André Walter Herzog. © Thomas Thiel
Der Krebs kommt wieder, schlimmer als zuvor. Ein Jahr später, im Herbst 2018, haben sich Metastasen in der rechten Schulter und der Leber gebildet. „Ich hatte einen hämmernden Schmerz in der Schulter, den kriegst du mit nichts weg“, erzählt Herzog.
Statt Bestrahlung und Chemo setzt Dücker auf eine relativ neue Antikörper-Therapie. Bei ihr wird das körpereigene Immunsystem grob gesprochen so lange gedopt, bis es stark genug ist, die Krebszellen zu bekämpfen – leider um den Preis, dass auch gesunde Organe angegriffen werden. Trotz der starken Nebenwirkungen hat die Therapie Erfolg: Seit August ist Herzog Metastasen-frei.
Herzog bleibt Stammgast im Klinikum Dortmund
Trotzdem bleibt er Stammgast im Klinikum, wohl noch etwa ein Jahr. Alle zwei Wochen bekommt er nun Antikörper verabreicht, damit sich keine neuen Metastasen bilden. Ein Beutel der Substanz kostet 5000 Euro, so Herzog – Geld, das glücklicherweise die Krankenkasse zahlt.
Danach wird Herzog noch lange mit seiner Krebserkrankung zu tun haben. Zehn Jahre lang läuft die Nachsorge nach einer Hautkrebserkrankung, mit Untersuchungen alle paar Monate.
„Sieh zu, dass du deinen Arsch bewegst!“
Seit seine Erkrankung entdeckt wurde, hat sich etwas in Herzogs Umfeld verändert: Viele lassen sich nun regelmäßig vorsorglich untersuchen. „Solche Erkrankungen sind weit weg, bis es einen selbst oder jemanden, den man mag, trifft“, sagt Herzog.
Was er sagen würde, hätte er heute die Möglichkeit, seinem zehn Jahre jüngeren Ich einen Rat zu geben? – „Sieh zu, dass du deinen Arsch bewegst und dich untersuchen lässt!“
1984 geboren, schreibe ich mich seit 2009 durch die verschiedenen Redaktionen von Lensing Media. Seit 2013 bin ich in der Lokalredaktion Dortmund, was meiner Vorliebe zu Schwarzgelb entgegenkommt. Daneben pflege ich meine Schwächen für Stadtgeschichte (einmal Historiker, immer Historiker), schöne Texte und Tresengespräche.
