Eine Besucherin in einem Seniorenheim. Fast wäre Gerda Maria Menge als Corona-Verdachtsfall unwissentlich in den Seniorenstift an der Kronenburg gegangen.

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„Ich hätte Corona sonstwohin tragen können!“

rnCorona-Kontaktverfolgung stockt

Wegen der stark steigenden Corona-Zahlen kommt die Stadt Dortmund nicht mehr hinterher bei der Kontaktnachverfolgung. Zwischenzeitlich blieben rund 2000 Fälle liegen. Eine Betroffene erzählt.

Dortmund

, 24.10.2020, 04:00 Uhr / Lesedauer: 2 min

Der ganze Ärger fing an mit Kaffee und Kuchen. Gerda Maria Menge hatte am Sonntag, 11. Oktober, eine Freundin zu sich eingeladen. Die beiden Damen (Menge ist 71, die Freundin 76) saßen in Menges Wohnzimmer in Kirchhörde und spielten Rummikub. Ein schöner Nachmittag. Was beide nicht wussten: Mit am Tisch saß auch das Coronavirus.

Menges Freundin war - ohne es zu wissen - infiziert. Heraus kam das nur zufällig, durch einen Unfall: Die 76-Jährige stürzte zwei Tage später zuhause und musste ins Krankenhaus. Am Mittwoch kam das Ergebnis des mittlerweile bei Neuaufnahmen obligatorischen Corona-Tests. Es war positiv.

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Die Tochter von Menges Freundin - selbst Ärztin - reagierte sofort und rief alle Leute an, die in den letzten Tagen engen Kontakt zu ihrer Mutter hatten, auch Menge: „Du musst sofort in Quarantäne“, sagte sie der Seniorin, „Mutter hat Corona.“

Zwar waren die beiden Damen bei ihrem Treffen vorsichtig gewesen, hatten das Fenster geöffnet und saßen knapp anderthalb Meter voneinander entfernt an den Tischenden. Trotzdem gab es natürlich ein Ansteckungs-Risiko.

Und so ging Menge in Quarantäne. Sie kontaktierte umgehend alle acht Menschen, mit denen sie seit Sonntag länger Kontakt gehabt hatte. Und sie rief bei der Corona-Hotline des Gesundheitsamts an. Dort nahm man ihren Fall auf, bedankte sich für den Anruf, sagte laut Menge einen Rückruf bis „spätestens Donnerstag“ zu.

Und dann passierte - nichts.

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Als Gerda Maria Menge am Donnerstag immer noch nichts gehört hatte, rief sie erneut an. Doch weil das Telefoncenter der Stadt vom Warnstreik betroffen war, erreichte sie niemanden.

Ihre Kontaktpersonen fragten schon, ob es was Neues gebe - dabei hatte Menge noch nicht einmal einen Corona-Test machen können. Nach mehreren erfolglosen Telefonaten rief sie schließlich ihren Hausarzt an, der sie am Freitagmorgen testete - der Test fiel später negativ aus.

Ohne Warnung hätte Seniorenstift-Besuch stattgefunden

Es war also fast alles schon erledigt, als am Samstagabend - über drei Tage nach dem positiven Testergebnis von Menges Freundin - der Anruf vom Gesundheitsamt im Rahmen der normalen Kontaktverfolgung kam. Der Mitarbeiter informierte sie über das, was sie längst wusste, und versprach, ihr per Mail eine Quarantäneanordnung zu schicken.

„Hätte mir die Tochter meiner Freundin nicht sofort Bescheid gesagt, hätte ich unwissend das Virus sonstwohin getragen, wenn ich mich angesteckt hätte“, sagt Menge. Sie wäre dann auch ganz sicher wie jede Woche in den Wohnstift an der Kronenburg gegangen, wo sie sich um ihre ehemalige, 95 Jahre alte Nachbarin kümmert.

Menge ist bei Weitem nicht die Einzige, die erst verspätet vom Gesundheitsamt Dortmund kontaktiert wurde: Bis die überlastete Kontaktverfolgung am Donnerstag (15. Oktober) mit 40 Soldaten aufgestockt wurde, hatte sich nach Angaben der Stadt ein Berg aus rund 2000 unbearbeiteten Kontakte von 250 Corona-Fällen aufgetürmt. Erst danach konnte der Informations-Stau aufgelöst beziehungsweise abtelefoniert werden.

Doch das half nur kurz: Nachdem die täglichen Corona-Zahlen am Donnerstag (22.10.) nochmals auf über 200 stieg, gab die Stadt erneut bekannt, dass sie bei der Nachverfolgung der Infektionsketten nicht hinterherkommt.

Menge wundert die Explosion der Corona-Fallzahlen der letzten Tage deshalb nicht: „Die Menschen wissen ja nicht, dass sie selbst Überträger sind und stecken andere an. Es wurde doch gesagt, die Nachverfolgung sei das Wichtigste.“

Wie überlastet das Gesundheitsamt momentan ist, merkte Gerda Maria Menge am Freitag (23.10.) erneut: Da bekam sie eine Mail des für sie zuständigen Corona-Ermittlers mit dem Betreff „Quarantäneanordnung“. Die war Menge eigentlich noch für den Samstagabend angekündigt worden.

Die Mail war leer, sie hatte keinen Text und keinen Anhang.