
© Mett
Hubschrauber-Absturz vor 25 Jahren: „Es ist jedes Jahr wieder erschreckend“
Absturz bei der You-Messe
Am 6. Juni 1996 sind 13 Menschen bei einem Hubschrauber-Absturz in Dortmund ums Leben gekommen. Die meisten wurden keine 30 Jahre alt. Die Schwester eines Insassen gibt Einblick in ihre Gefühle.
Einen ganzen Stapel mit Briefen und Postkarten aus den 80er- und 90er-Jahren hat Claudia Mett bis heute aufbewahrt. Mitgeschickt wurden ganz alltägliche Dinge: Zeitungsausschnitte von Fußball-Tabellen oder Handball-Ergebnissen. Für Claudia Mett sind diese Dinge „ein großer Schatz“. Weil sie von ihrem Bruder Ulrich stammen, der am 6. Juni 1996 in Dortmund ums Leben gekommen ist.
25 Jahre ist es inzwischen her, dass ein Bundeswehr-Hubschrauber im Wald zwischen Kirchhörde und Herdecke abgestürzt ist. Gestartet war er auf dem Gelände der Jugendmesse You an den Westfalenhallen. 13 Menschen sind verbrannt, nur eine Person hat den Unfall überlebt.

So hat unsere Redaktion am Tag danach auf der Titelseite der Zeitung über den Absturz berichtet. © Repro Kindel
Der Überlebende hat Ermittlern gegenüber von waghalsigen Flugmanövern der Piloten berichtet, die zum Absturz geführt haben. Es sollte der erste von vier Rundflügen als Werbeaktion der Bundeswehr werden. Die Maschine sei zwei Tage zuvor erst einer Generalinspektion unterzogen worden, sagte der damalige Verteidigungsminister.
„Jedes Jahr wieder erschreckend“
Ulrich Mett wurde nur 32 Jahre alt. Er war als Fernsehjournalist mit seinem Team an Bord. Seine Schwester Claudia war bei dem Unglück 28: „Es ist jedes Jahr wieder erschreckend, dass jetzt fast mehr Zeit ohne ihn vergangen ist als mit ihm“, sagt sie.
Als Hotelfachfrau habe sie damals an verschiedenen Stellen von ihrer Familie entfernt gearbeitet, erzählt die heute 53-Jährige. Damals im Sommer 1996 sei sie aber bei ihren Eltern in Essen gewesen.
„Ulrich hat mich gefragt, ob ich mit nach Dortmund zur Messe komme“, erinnert sie sich. Sie habe abgesagt - warum, weiß sie heute nicht mehr so genau.

Claudia Mett ist heute 53 Jahre alt und Gesellschafterin einer Film-Produktionsfirma. © Privat
Der 6. Juni war ein heißer Donnerstag, die Schwester hat im Fernsehen Tennis geguckt, erzählt sie. Steffi Graf hat das French-Open-Halbfinale an diesem Tag gewonnen. Dass der Bruder in einen Hubschrauber steigen würde, wusste Claudia Mett nicht.
„Ich war wie in so einer Wolke“
Irgendwann am Nachmittag kam Ulrichs Freundin allein zum Haus der Eltern - das war schon ungewöhnlich. Sie hatte einen Anruf bekommen, dass man vermute, der 32-Jährige könne unter den Opfern des Absturzes sein.
Die Familie setzte sich sofort ins Auto und fuhr nach Dortmund zur Polizei. „Da waren schon Notfallseelsorger vor Ort“, sagt die Schwester: „Als wir den Namen nannten, war klar, dass er dabei war.“
„Ich war wie in so einer Wolke“, sagt Claudia Mett: „Ich weiß, dass ich sofort in den Funktionsmodus geschaltet habe.“ Die Eltern seien nicht mehr zu vielen Dingen in der Lage gewesen. Da hat die Tochter in den Tagen danach viele unangenehme Aufgaben übernommen. Sie ist zu Ulrichs Zahnarzt gefahren, um sein Zahnschema abzuholen, damit sein Leichnam identifiziert werden konnte. „Alle waren bis zur Unkenntlichkeit verbrannt.“

Den Rettungskräften bot sich ein furchtbarer Anblick an der Absturzstelle nahe der Autobahn 45 und der Hagener Straße. © Stephan Schütze
Lange habe die Familie noch unterbewusst die leise Hoffnung gehabt, dass es sich um ein großes Missverständnis handele. Bis auch die letzte große Trauerfeier vorüber war. „Nach drei Monaten bin ich nach Hamburg gezogen und hab da zum ersten Mal begriffen, dass er nicht wiederkommt.“
Zu ihrem Bruder habe sie ein sehr enges Verhältnis gehabt, sagt Claudia Mett. Als sie zur Lehre an den bayerischen Tegernsee gezogen ist, hat er ihr jede Woche einen der erwähnten Briefe geschickt. „Ich bin Schalke-Fan, er war Dortmund-Fan“, sagt die gebürtige Essenerin: „Da hat er mir immer Tabellen mitgeschickt. Und er konnte unheimlich lustig und pointiert schreiben.“
Niemals würde sie in einen Hubschrauber steigen
Die Briefe hat sie aufbewahrt und holt sie immer wieder mal raus, um sie mit ihrem Mann und ihrem 18-jährigen Sohn durchzulesen. Beide haben den verunglückten Schwager und Onkel nie kennengelernt. „Er fehlte unglaublich, als mein Vater an Demenz erkrankt ist und als mein Sohn geboren wurde“, sagt Claudia Mett - und plötzlich wirkt sie auch 25 Jahre danach sehr traurig.
Ganz lange habe sie das Geräusch eines Hubschraubers am Himmel nicht ertragen können. Niemals würde sie in einen einsteigen. „Mein Mann ist Kameramann“, erzählt sie: Auch er hat bereits Aufträge abgesagt, für die er in Helikopter steigen sollte.
Auf die Frage, wie man es schafft, an so einem enormen Schicksalsschlag nicht zu zerbrechen, sagt die 53-Jährige: „Zusammengebrochen bin ich phasenweise auch.“ Wenn sie ein bestimmtes Lied höre, liefen auch heute noch sofort die Tränen. Aber: „Wir haben weitergemacht.“ Vor allem sei sie ihren Eltern sehr dankbar, die sie beim Wegzug nach Hamburg unterstützt haben.
„Jeder ist ein gewisses Stück weit in der Trauer allein“, sagt Claudia Mett: „Ich bin die einzige, die ihn als großen Bruder verloren hat.“ Es habe lange gedauert, bis sie realisiert hat, dass man diese Rolle mit niemandem ersetzen kann.
„Man muss es akzeptieren, damit man nicht durchdreht.“ Ulrich sei der Mensch gewesen, der Claudia am meisten geprägt habe: „Für mich ist unheimlich wichtig, die Erinnerung zu bewahren. Und die kann ich inzwischen auch genießen.“
Kevin Kindel, geboren 1991 in Dortmund, seit 2009 als Journalist tätig, hat in Bremen und in Schweden Journalistik und Kommunikation studiert.
