„Hoffnungslosigkeit erzeugt Irrationalität“ Dortmunder Palästinenser blickt auf den Krieg in Nahost

„Hoffnungslosigkeit erzeugt Irrationalität“
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Der Krieg im Nahen Osten hat mittlerweile zahlreiche Todesopfer gefordert. Angefangen hatte er am vorvergangenen Samstag (7.10.) mit einem massiven Raketenangriff der radikalislamischen Hamas auf Israel und terroristischen Überfällen im Grenzgebiet mit Toten und Geiselnahmen, unter anderem auf ein Musikfestival. Durch die Gegenoffensive Israels im Gazastreifen starben auch viele Palästinenser.

Dr. Hisham Hammad (72) wurde in Jerusalem geboren und lebt seit 40 Jahren in Deutschland. Er ist Vorsitzender der palästinensischen Gemeinde in Dortmund, war zwei Jahre lang Abgeordneter im NRW-Landtag und kurzzeitig auch Mitglied des Dortmunder Rates. Sechs Jahre lang war er Mitglied der PLO: 1970 bis 1976. Beruflich ist Dr. Hisham Hammad Kieferorthopäde. Im Gespräch legt er seine Sicht als Palästinenser in Dortmund auf den Konflikt dar.

Widerstand gegen Besatzung

Wenn Hisham Hammad vom Gazastreifen spricht, benutzt er das Wort Besetzung. Diese habe zu großem Leid der Palästinenser geführt und auch zu Hoffnungslosigkeit. „Hoffnungslosigkeit erzeugt Irrationalität und dementsprechend werden auch Reaktionen begründet.“ Gäbe es die Besatzung Gazas nicht, hätte es auch den Angriff der Hamas auf Israel nicht gegeben, meint Hisham Hammad.

Der Gazastreifen ist ist Teil der Palästinensischen Autonomiegebiete, Israel kontrolliert große Teile der Außengrenze. Die Sichtweise, nach der der Gazastreifen von Israel besetzt ist, findet sich auch beim Auswärtigen Amt. Das führt Gaza auf seiner Website als „seit 1967 von Israel besetzt“ auf. Das israelische Oberste Gericht hat 2005 entschieden, dass der Gazastreifen seit dem Abzug israelischer Truppen nicht mehr besetzt sei. Unabhängig von dieser Frage wurde der Angriff der Hamas auf Israel international als Akt der Aggression verurteilt.

„Wir bedauern sehr das Töten von Zivilisten auf beiden Seiten“, so Hisham Hammad weiter. „Denn ein Mensch ist ein Mensch, egal ob das Israelis, ob das Palästinenser, ob das Moslem, Christ oder Jude ist.“

Trauer und Wut

Hisham Hammad sagt, er habe regen Kontakt zu einem befreundeten Arzt in Gaza. „Deren Haus, deren Klinik wurden dem Boden gleich gemacht“, sagt er. „Jeden Abend telefonieren wir miteinander, denn ich will auch wissen, ob mein Freund noch lebt oder nicht.“

Laut palästinensischen Behörden sind bisher über 3400 Menschen bei israelischen Angriffen getötet worden.

In der palästinensischen Gemeinde in Dortmund habe zuletzt die Nachricht über eine Explosion in einem Krankenhaus im Gazastreifen Emotionen ausgelöst. „Trauer schon, aber mehr als Trauer auch Wut. Wut, dass so etwas in unserem Jahrhundert noch möglich ist“, so Hisham Hammad.

Es ist unklar, wer für die Explosion in dem Krankenhaus verantwortlich ist. Sowohl Israel als auch die Hamas schreiben den Vorfall der jeweils anderen Seite zu.

Zwei-Staaten-Lösung

Von der Hamas distanziert sich Hisham Hamad, sagt, er sei „persönlich nie ein Freund“ der radikalen Islamisten gewesen. „Aber das ist eine gewichtige politische Kraft im Gazastreifen.“ Von der EU, den USA, Kanada, Ägypten und Japan wird die Hamas als Terrororganisation eingestuft. Sie sieht Israel als Feind und spricht dem Land das Recht auf Staatlichkeit ab.

Hisham Hamad wünscht sich für den Nahost-Konflikt die Zwei-Staaten-Lösung. Diese schließt die Existenz des Staates Israels ausdrücklich ein. „Diese ganze Eskalation, der ganze Konflikt hat nur eine Lösung: eine politische Lösung auf dem Prinzip der Zwei-Staaten-Lösung. Ohne diese wird eine weitere Eskalation nicht gestoppt“, so Hisham Hammad.

Weitere Sichtweisen zum Thema:

Demo geplant

Dafür, dass in Deutschland angesichts der historischen Verantwortung die pro-israelische Perspektive dominiert, hat Hisham Hammad Verständnis. Er wünscht sich jedoch auch, dass Deutschland trotz der freundschaftlichen Verbundenheit benenne, wenn Israel „etwas Falsches macht“.

  • PLO steht für Palestine Liberation Organization, also die Palästinensische Befreiungsorganisation. Sie strebt die Vertretung aller Palästinenser an - auch die, die im Exil leben.

  • 1974 wurde sie von den Vereinten Nationen als „Repräsentant des palästinensischen Volkes“ anerkannt.

  • Die Hamas erkennt die PLO nicht als Vertreter-Organisation an.

Um auch der palästinensische Sicht auf den Konflikt eine Stimme zu geben, sei man aktuell in den Planungen für eine eigene Demonstration. Von der jüngsten Versammlung, die von einem Mitglied der verfassungsfeindlichen Furkan-Bewegung angemeldet worden war, distanziert sich Hisham Hammad. „Wir respektieren die gesetzlichen Bestimmungen dieses Landes, dem wir vieles zu verdanken haben.“

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