Vor dem Klinikum an der Beurhausstraße sieht man am Freitagmorgen (15.9.) viele staunende Gesichter. Rosi (50) steht in einem riesigen Brautkleid am Straßenrand. Man könnte meinen, sie sei auf dem Weg Richtung Friedensplatz, zum Standesamt. Dort wird die Braut aber nicht auftauchen.
Mit ihrem großen weißen Rock ist sie nicht zu übersehen. „Ich bin schon ganz aufgeregt“, sagt sie nervös. Ihre Enkeltochter Virginia (8) verrät: „Wir haben extra oben die Gardinen zugemacht, damit Opa sie noch nicht sieht.“
Opa Dirk (53) liegt auf der Station A31 im Krankenhaus. Schon seit mehreren Wochen ist er ans Bett gebunden. Am 30. Juli wurde er eingeliefert - nach diesem Tag war nichts mehr wie vorher. Dirk fühlte sich an diesem Tag plötzlich nicht gut und bekam Luftnot. Schnell rief Rosi den Rettungswagen. „Ab diesem Zeitpunkt ging es bergab“, wie Tochter Sandy (32) sich erinnert.
Ernst der Lage nicht erkannt
Dirk sei vom Rettungsdienst nicht ernst genommen worden, meint die Familie. „Der hat nur Panik“, habe ein Sanitäter gesagt: „Er soll sich endlich mal beruhigen.“ Dass Dirk keine Spielchen spielt, wurde erst viel später deutlich. „Zu spät“, findet Sandy. Der Krankenwagen habe Dirk in die Psychiatrie gefahren. Dort wurde schnell klar: Dieser Mann braucht mehr Hilfe als nur ein Beruhigungsmittel.
Mit Blaulicht wurde er ins Klinikum gebracht, wo Probleme mit dem Herzen festgestellt wurden. Als die Familie kurze Zeit später zu Dirk ins Krankenhaus fuhr, hieß es, es gebe gerade einen Notfall auf der Station, sie sollten doch bitte kurz warten. „Man rechnet dann ja nicht damit, dass es der eigene Mann ist“, erinnert sich Rosi.
Zweimal wiederbelebt
Bei dem Notfall handelte es sich um Dirk, der gerade reanimiert werden musste. Zweimal wurde er wiederbelebt. Er hatte einen Schlaganfall.
Tochter Sandy bekam daraufhin einen Anruf, den sie wahrscheinlich nie vergessen wird. Die Ärzte hätten sie gefragt: „Wenn das nochmal passiert: Sollen wir weitermachen oder ihn sterben lassen?“ Sie erinnert sich noch genau: „Das kann ich nicht entscheiden“, habe sie gesagt. Verzweiflung und Panik seien in ihr aufgekommen. Sofort rief sie ihre Mutter Rosi an. Für sie gab es eine klare Antwort. „Wenn sowas gefragt wird, natürlich sage ich dann ,weitermachen'“, sagt Rosi rückblickend.
Sie und Dirk kennen sich seit 1989. Heiraten wollten die beiden schon länger. Am 12.02.2002 machte Dirk bereits den Antrag. Es kamen aber immer wieder Krankheiten dazwischen, wie Rosi sagt: „Wir hatten einfach keinen Kopf dafür.“ In diesem Sommer erst recht nicht.

Denn Dirk lag drei Wochen lang im Koma. „Mit den ganzen Schläuchen sah er so hilflos aus“, sagt Sandy. Dirk ist der Stiefvater der 32-Jährigen, trotzdem behandle sie ihn wie ihren leiblichen Vater. „Gerade durch die letzten Wochen sind wir als Familie total eng zusammengewachsen“, findet auch ihr Mann Andreas. Beide haben eine Tochter, Virginia.
Teddybär als Mutmacher
Das achtjährige Mädchen machte seinem Opa eine rührende Geste. Als Dirk noch im Koma lag, übergab Virginia ihm einen Teddybären. „Der heißt Berni“, verrät sie. Sie legte das Plüschtier neben Dirk - mit den rührenden Worten: „Opa, du musst wieder gesund werden. Wir müssen doch noch schwimmen gehen“, wie Mutter Sandy sich erinnert. Dirk und Virginia seien früher gerne zusammen mit Oma Rosi in Wischlingen schwimmen gewesen.
Der Teddybär habe für Dirk und seine Familie ein ganz besondere Bedeutung. „Seitdem er den hat, wird es besser“, erklärt Andreas im Patientenzimmer. Genau in dem Moment hebt Dirk mit seinen Fingern das Plüschtier in die Höhe. Plötzlich ist es still im Raum.
„Mensch Papa, was machst du denn da?“, fragt Sandy. Alle staunen. „Das mit seiner Hand konnte er vorher noch nicht“, erklärt Rosi. „Das ist jetzt das erste Mal. Sonst hat er seine Finger total verkrampft.“ Ein Moment der Rührung erfüllt das gesamte Krankenzimmer.

Am Tag der Hochzeit sind alle in Dirks Krankenzimmer vereint. Als Rosi in ihrem auffälligen Kleid die Gänge des Klinikums entlangschreitet, wird sie von den Krankenschwestern bewundert. Langsam geht die Braut auf das Zimmer ihres Verlobten zu. Währenddessen spielt die Familie über ein Handy Musik ab. Mit Tränen in den Augen schreitet Rosi zu ihrem Mann.
Der 53-Jährige sitzt auf einem hochgestellten Stuhl. Er trägt einen dunkelroten Anzug. Ein Kissen mit BVB-Logo steckt hinter seinem Kopf, um ihn zu stützen. Als Dirk seine Braut sieht, kommen auch ihm die Tränen.

„Ich hatte echt Angst, dass er uns verlässt“, sagt Sandy. „Uns wurde gesagt, wir sollten schon mal lieber die Beerdigung planen. Es sah wirklich nicht gut aus.“ Sie schüttelt fassungslos den Kopf. „Es ist wirklich ein Wunder.“
Innerhalb einer Woche organisierte die Familie die Trauung. Das Standesamt habe schnell zugestimmt, wie Rosi sich erinnert. „Er muss aber klar im Kopf sein, damit er der Hochzeit zustimmen kann", hätten sie nur gesagt. Sprechen kann Dirk wieder. Aber dass das vielleicht nicht wieder möglich wird, war nicht ganz ausgeschlossen. „Die Ärzte haben gesagt, sie wüssten nicht, wie er ist, wenn er denn überhaupt wieder aufwacht“, sagt Rosi.
Humor nicht verloren
Doch er wachte auf. „Ich habe Durst“, sei dann sein erster Satz gewesen. Als Dirk auch vor der Familie einzelne Wörter von sich gab, seien alle vor Erleichterung in Tränen ausgebrochen. „Ich habe wirklich Rotz und Wasser geheult“, gibt Sandy zu. Seinen Humor habe Dirk auch nicht verloren. Immer mal wieder mache er Späßchen. Einen Rehaplatz habe er schon in Gladbeck. Bald ist der Umzug.
Dass Dirks Stimme nicht verloren gegangen ist, zeigt sich auch bei der Hochzeit. Überzeugt sagt er „Ja“ - in seinen Augen sammeln sich Freudentränen, während er ausspricht, dass er Rosi heiraten möchte. Auch sie ist zutiefst gerührt. Beide küssen sich. Applaus hallt durch den Raum.
Wieder wird es emotional, als Dirk entschlossen zur Ringschatulle greift. Er holt den Ring heraus und hält Rosis Hand fest in seiner. Beim Anstecken des Eherings bemüht er sich. Er braucht etwas Zeit - und dann, mit Hilfe von Rosi, schafft er es.
Tattoo als Liebesbeweis
Nicht nur über die Ringe hat Rosi ihre Liebe zu Dirk verewigt. Ihren Oberarm ziert ein Tattoo mit seinem Namen. Darunter steht „Ich liebe dich“. Ihrem Versprechen auf der Haut macht Rosi am Tag der Hochzeit alle Ehre. Sie heißt jetzt, wie Dirk, auch Waskönig mit Nachnamen. Genau wie Sohn Nico. Als die Standesbeamtin den neuen Nachnamen vorliest, hört man von Dirk ein leises Schluchzen.

Dirk freute sich schon am Tag vor der Trauung sehr auf die anstehende Hochzeit. Ganz besonders freute er sich auf die „Liebessuppe“, wie er mit einem Lächeln sagt. Er und Rosi hätten sich nämlich bei einem gemeinsamen Essen kennengelernt: Rosi kochte damals Hühnersuppe. Seitdem nenne Dirk das Gericht „Liebessuppe.“ Die gibt es auch am Tag der Hochzeit - zusammen mit der Hochzeitstorte.

Die hat Dirks und Rosis gemeinsamer Sohn Nico (18) gebacken. Bei der Hochzeit wollte er seinen Eltern damit eine Freude machen. „Ich trete damit halb in die Fußstapfen von meinem Vater“, sagt er. Denn Dirk habe früher auch häufiger in der Küche gestanden. Er war als Koch tätig und servierte sogar dem einen oder anderen Promi ein Gericht - unter anderem Johannes Rau, dem ehemaligen Bundespräsidenten.
Fest steht: Diese besondere Hochzeit wird im Klinikum lange in Erinnerung bleiben. Dirk und Rosi sind nun verheiratet - und genießen das Leben ab sofort als Ehepaar bei noch vielen weiteren Liebessuppen.
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