Der Wahl-Dortmunder Herbert Niewerth war 20 Jahre lang, bis zu seinem Renteneintritt, Chef des LWL-Museums Schiffshebewerk Henrichenburg. „Mein absoluter Traumjob“, sagt der 76-Jährige rückblickend. Während er das sagt, formt sich sein Mund zu einem breiten Lächeln, beginnen seine Augen zu funkeln und seine Wangen zu glühen. Man spürt sie sofort, die Leidenschaft, die er noch heute für seine Arbeit empfindet.
Um ihn herum stapeln sich auf dem Esstisch seiner Wohnung in Lütgendortmund alte Zeitungsausschnitte. Herbert Niewerth nimmt den obersten, hält ihn hoch und lacht: „Den Urenkel von Kaiser Wilhelm, der das Hebewerk 2004 besucht hat, sollten wir mit ‚Eure kaiserliche Hoheit‘ ansprechen“, sagt er und schüttelt den Kopf. Das habe damals für riesige Aufregung gesorgt.

Einige Artikel hängen eingerahmt an der Wand im Wohnzimmer: „Käpt‘n Herbert geht von Bord“ titelte die Waltroper Zeitung zu seinem Abschied. Keine Frage: der studierte Historiker und Sozialwissenschaftler war ein lokaler Medienstar – gemessen an den unzähligen Zeitungszeilen, die über ihn im Laufe der Jahrzehnte geschrieben wurden.
Bereits seit 2011 ist Herbert Niewerth in Rente. Doch der Kanal und seine spannende(n) Geschichte(n) lassen ihn bis heute nicht los. Deshalb ist „Käpt‘n Herbert“ nie so ganz von Bord gegangen. Vielmehr hat er direkt bei seiner Verabschiedung vor 14 Jahren ein „Stück“ seines Traumjobs in den Ruhestand gerettet: Wie zu seinen aktiven Zeiten bietet der sportliche Senior seit exakt 30 Jahren industriegeschichtliche Radtouren am Kanal an.
Niewerth wollte Lehrer werden
Der junge Herbert Niewerth spürt diese museale Leidenschaft (noch) nicht. Er möchte vielmehr Lehrer für Geschichte und Sozialwissenschaften am Gymnasium werden. Dafür schlägt er nach seiner Ausbildung zum Verwaltungsangestellten den zweiten Bildungsweg ein. „Es war die Zeit der Studentenbewegungen, der langen Haare, der Beatles und Stones. Mit 18, 19 musste ich einfach raus aus meinem kleinen Heimatdorf Holtwick im Münsterland.“

Nach dem Abitur am Abendgymnasium in Dortmund absolviert er 1973/74 zunächst einen geteilten Bundeswehr- und Zivildienst. „Ich hatte zu spät verweigert“, so Niewerth. Vor dem Verwaltungsgericht bekommt er in dritter Instanz recht. Er wechselt von der Bundeswehr als Zivi in die Rheumaklinik Aachen. Danach schließen sich 1974/75 das Studium an der Ruhr-Universität Bochum und 1982 das Referendariat am Ernst-Barlach-Gymnasium in Unna an.
„Und dann folgte das schönste Erlebnis meines Lebens: Ich wurde beinahe arbeitslos“, sagt Herbert Niewerth und meint das natürlich ironisch. Fassungslos habe er zur Kenntnis nehmen müssen, dass er nach den vielen Jahren der Weiterbildung als Lehrer absehbar keine Festanstellung finden wird. Lediglich einen Zeitvertrag erhält er nach dem 2. Staatsexamen. „Ich dachte, ich bin im falschen Film.“
Rückschlag ist Glücksfall
Jahre später wird sich herausstellen: Dieser herbe Rückschlag ist ein Glücksfall für ihn. Denn: Herbert Niewerth braucht eine Alternative, um Geld für sich und später auch für seine Familie mit zwei Kindern zu verdienen. Ohne es zu diesem Zeitpunkt zu ahnen, stellt er Mitte der 1980er Jahre die Weichen in Richtung seines späteren Sehnsuchts- und Wohlfühlorts.
Herbert Niewerth wird dank guter Kontakte zunächst Museumspädagoge im Stadtmuseum Unna, später auf der Burg Altena. Schnell stellt er fest: Die Arbeit macht ihm großen Spaß, die Schule ist rasch vergessen. Die Jobs haben nur einen Haken: Niewerth bekommt ausschließlich Zeitverträge. „Ich habe mir gesagt, du musst was Spektakuläres machen, um festangestellt zu werden.“ In Unna ruft er beispielsweise den „Museumsbus mit Geschichte“ ins Leben, auf der Burg Altena initiiert er viel beachtete Ferienaktionen.

Schließlich bewirbt sich Niewerth bundesweit um eine Festanstellung und wird 1987 in Heilbronn genommen: „Unter 326 Bewerbern wurde ich ausgewählt, um ein neues Museum für die Industriegeschichte der Stadt aufzubauen.“ Die Familie im Ruhrgebiet, die Arbeit in Süddeutschland, leicht ist dieser Spagat für den zweifachen Vater nicht. Ein halbes Jahr später kommt der erlösende Anruf des Personalamtes Märkischer Kreis: Niewerth wird eine Festanstellung in Altena angeboten. Die Verhandlungspostion könnte für ihn nicht besser sein: „Die wollten mich, also konnte ich Forderungen stellen.“

Vier Jahre später angelt sich Herbert Niewerth seinen Traumjob. 1991, ein Jahr vor der Eröffnung, wird der damals 43-Jährige Leiter des LWL-Museums Schiffshebewerk Henrichenburg. Mit seinem über Jahre gesammelten Wissen aus Industriegeschichte, Schifffahrt und Museumspädagogik bringt er alle Voraussetzungen dafür mit. Was folgt, sind die 20 glücklichsten Jahre seines Berufslebens. Herbert Niewerth macht aus dem Museum einen florierenden und bundesweit bekannten Lern- und Kulturort, den auch 500 bis 600 Schulklassen pro Jahr besuchen. Mit seinem Team organisiert er Ausstellungen, Vortragsreihen und Abendveranstaltungen.
1995 schließlich erfindet er die Reihe „Radeln am Kanal“. Jährlich geht es von März bis August entlang des Kanals vom Hebewerk aus mal zum Dortmunder Hafen, mal zur Kokerei Hansa und mal zum Hoesch-Museum im Dortmunder Norden. Immer vorneweg: Herbert Niewerth als radelndes Geschichtsbuch.

Das ist der Lütgendortmunder bis heute für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer seiner Radtouren. Alles Wissenswerte und Spannende zur Historie und Bedeutung der Kanäle kann Herbert Niewerth auf Kommando aus dem Ärmel schütteln. Während des Interviews mit unserer Redaktion erzählt er etwa die Geschichte der Tresorknacker-Bande am Rhein-Herne-Kanal oder die von der gekenterten Lippe-Fähre im Wesel-Datteln-Kanal in den 1920er Jahren. Fesselnd, mitreißend, mit Spannungsbögen.
Erst jetzt, bei den in diesem Frühjahr startenden Radtouren, radelt Herbert Niewerth mit einem E-Bike vorneweg. Nötig hätte er es mit Blick auf seine Kondition nicht. „Doch immer mehr Teilnehmer fahren E-Bikes, die sind dann einfach schneller als ich“, sagt er. Also habe das LWL-Museum nun ein Fahrrad mit Elektromotor für ihn angeschafft, schmunzelt Herbert Niewerth. Damit habe er bereits trainiert – denn bis zum nächsten Termin „Radeln am Kanal“ ist es nicht mehr lange hin.

Termine und Ziele der Radtouren
- Die nächste Radtour am Dortmund-Ems-Kanal mit Herbert Niewerth ist am 23. März (Sonntag) von 11 bis 18 Uhr. Dann geht es vom Schiffshebewerk zur „Alten Fahrt“ in Olfen. Auf dem Weg zum stillgelegten Kanalabschnitt passiert die Gruppe verschiedene Kulturdenkmäler wie das alte Lippe-Pumpwerk und die historische Brücke über die Stever, die als eine der schönsten Brücken des gesamten Kanals gilt.
- Außerdem gibt es wie immer Informationen zum Schleusenpark Waltrop mit den beiden Schiffshebewerken und den beiden Schleusen sowie zur Fernsteuerzentrale, die das gesamte Kanalnetz mit Wasser versorgt.
- Während der Tour ist eine Picknick-Pause vorgesehen, das die Teilnehmer selbst mitbringen.
- Zurück am Schiffshebewerk sehen sie sich die aktuelle Sonderausstellung an.
- Maximal 8 Teilnehmer können mitradeln, fünf müssen es mindestens sein.
- Eine Anmeldung ist bis zum 19.3. erforderlich unter Tel. 02363/9707-0. Die Teilnahme kostet 12 Euro.
- Weitere vom LWL-Museum organisierte Radtouren sind 2025 am 13.4. (Schloss Strünke, Herne, 36 km), 21. April (Schleuse Flaesheim und Lippe Fähre Haltern, 38 km), 1. Mai (Kokerei Hansa Huckarde, 35 km), 29. Mai (Hoesch-Museum, 39 km), 9. Juni (vier Ruhrgebietskanäle, 40 km), 13. Juli (Heimatmuseum „Unser Fritz“ Herne-Wanne, 38 km), 17. August (Schloss Dellwig Lütgendortmund, 38 km), 31. August (Schloss Bodelschwingh, 30 km).
- An vier Donnerstagen finden zudem Radtouren als Kooperationsprojekt von Museum und Förderverein im Nahbereich des Schiffshebewerks statt: 3. April, 5. Juni, 3. Juli und 7. August.
- Über alle Touren können sich Interessenten auf der Internetseite https://schiffshebewerk-henrichenburg.lwl.org/de/ informieren.