Sobald er einen Schuh in die Hand nimmt, ist er in seinem Element. Hendrik Schabsky fühlt sofort die Elastizität der Laufsohle, guckt zufrieden darauf, wie die Sohle an das Schuhoberteil angespritzt ist, wiegt den relativ leichten Arbeitsschuh in der Hand und sagt: „Die Frage, die uns bewegt, ist: Wie leicht darf ein Arbeitsschuh noch werden? Ist leicht immer gut? Eine Sohle muss ja dämpfen. Uns geht es mit der Produktion von Sicherheitsschuhen um die Gesunderhaltung der Füße von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Ein Viertel der Knochen im menschlichen Körper befinden sich in den Füßen. Sie sind das Fundament.“
Mit seinen 30 Jahren ist Hendrik Schabsky schon Chef des europaweit tätigen Dortmunder Familienunternehmens Atlas Schuhfabrik. In Wickede werden jährlich 2,7 Millionen Paar Sicherheitsschuhe gefertigt und europaweit versendet. „Ich bin mit dem Unternehmen groß geworden und da rein gewachsen. Ich habe meine Kindheit hier verbracht und war viel mit meinem Vater in der Firma. Somit hatte ich einfach unheimlich Lust drauf, dieses Familienunternehmen nun in der fünften Generation weiterzuführen“, sagt Hendrik Schabsky und ergänzt augenzwinkernd: „Wir haben hier das größte Schuhregal in Dortmund.“
Sein Ur-Ur-Großvater Johannes Schabsky gründete 1910 die Unnaer Schuhfabrik und legte damit den Grundstein für die Atlas-Schuhfabrik. Damals produzierten 16 Mitarbeiter Schutzschuhe vorwiegend für den heimischen Bergbau und die Stahlindustrie. Heute arbeiten in den Produktions- und Lagerhallen sowie in der Verwaltung an der Straße Frische Luft rund 300 Menschen. Insgesamt beschäftigt Atlas an Standorten in Europa und Brasilien über 1.450 Mitarbeiter.
„Schwer und klobig ist vorbei“
Ob sportlicher Halbschuh mit Durchtritthemmung und MPU Rebound-System oder Spezialstiefel mit hitzebeständiger Laufsohle für Gießer und Schweißer. Das sind nur zwei von über 450 verschiedenen Produkten von Atlas. Und die meisten würde man so auch in der Freizeit tragen. „Ja“, sagt Hendrik Schabsky, „aber es sind alles Sicherheitsschuhe. Schwarz, schwer und klobig ist vorbei. Wir decken mit unseren Sicherheitsschuhen die komplette Bandbreite unserer Kunden aus der Industrie ab. So hat ein Automobilkonzern von Schweißen und Metallverarbeitung über Montage und Logistik bis hin zum Officebereich ganz unterschiedliche Anforderungen an Sicherheitsschuhe, die wir alle erfüllen.“

Ruckzuck ist er wieder in seinem Element, spricht über Schuhe, über Sicherheitsschuhe, mit denen er groß geworden ist. In der Branche, das wird klar, macht ihm keiner so schnell etwas vor. Er ist erst 30, aber trotzdem gar nicht so neu auf dem Chefsessel. Vor vier Jahren bereits, mit 26 Jahren, trat er die Nachfolge seines Vaters Werner an. Der ist heute 65, hat seinen Lebensmittelpunkt nach Brasilien verlegt und führt dort am im Bundesstaat Rio Grande del Sol den Betrieb, in dem Atlas seit 2006 die Oberteile (Schuhschäfte) für Sicherheitsschuhe produziert. „Als alle Welt damals nach Asien gegangen ist, um dort Produktionsstandorte zu eröffnen, haben wir gesagt: Wo es viele gute Steaks gibt, entsteht auch Schuhleder“, sagt Hendrik Schabsky. Er unternimmt noch viel mit seinem Vater. Beide fahren gerne Rad. In Brasilien steigen beide gerne aufs Pferd und reiten aus.

2020 ist Hendrik Schabsky als CEO des eigenen Unternehmens gestartet. „Ich durfte mit Corona anfangen“, sagt er. Und: „Leicht war das nicht. Das Unternehmen musste an die neuen personellen und wirtschaftlichen Herausforderungen angepasst und es mussten zahlreiche Maßnahmen zum Schutz der Mitarbeiter ergriffen werden. Ich hab mich zwar direkt von allen duzen lassen, aber ich merkte sofort, es wird einem nichts geschenkt. Anerkennung muss man sich erarbeiten. Dass man in fünfter Generation das Unternehmen leitet und schon seine Kindheit in der Firma verbracht hat, spielt da keine Rolle.“
Internat in England
Dass an der Spitze eines solch großen Unternehmens viel Können und Leistung gefordert ist, war Hendrik Schabsky schon früh bewusst. Er ist zunächst in Holzwickede zur Schule gegangen und wechselte dann in ein Internat nach England. Zwei Jahre war er dort, um das internationale Abitur zu machen. „Ich wollte das“, sagt er. Mit 18 begann er dann ein Betriebswirtschaftsstudium in Koblenz und führte es an der BiTS (Business and Information Technology School) in Iserlohn, einer staatlich anerkannten privaten Hochschule, fort.

Noch während des Studiums ist er bei Atlas in die Marketingabteilung eingestiegen und hat eine Partnerschaft mit dem BVB angestoßen – ein Marketing-Coup, auf den er bis heute stolz ist. Es gibt tatsächlich einen schwarz-gelben Sicherheitsschuh mit BVB-Logo. „Das zu machen, wurde in der Familie durchaus kontrovers diskutiert. Am Ende war es aber richtig, weil es das Image von Sicherheitsschuhen verbessert hat und wir mit dem BVB Werbung auf internationaler Ebene machen und neue Märkte gewinnen können“, sagt Hendrik Schabsky.

Nicht nur bei diesem Thema hat er schätzen gelernt, Entscheidungen innerhalb der Familie reifen lassen und entscheiden zu können. „Ich frage bei solchen Dingen nicht als Angestellter den Hauptgeschäftsführer, sondern meinen Vater. So ein familiärer Zusammenhalt ist schön“, sagt der 30-Jährige, der gleichwohl weiß, dass Familientraditions-Romantik im harten Marktumfeld nichts zählt. „Wir wachsen zwar, aber es ist ein Verdrängungswettbewerb, in dem wir stehen. Dem muss man gewachsen sein. Ich hab als Unternehmerkind gesehen, wie viel Lebenszeit und -kraft mein Vater in die Firma investiert hat. Aber wie viel Verantwortung wirklich auf den Schultern lastet, merkt man erst, wenn man selbst in der Führungsrolle ist“, sagt Hendrik Schabsky.
Viel Handarbeit
Was ihn derzeit sehr umtreibt, ist der Arbeitskräftemangel. „Der ist ein Wachstumshemmnis. Wir bekommen Stellen nicht besetzt“, sagt er, und greift wieder zu einem der Schuhe, die auf dem Schrankboard in seinem Büro stehen: „So ein Schuh besteht aus 40 Einzelteilen. Da ist viel Handarbeit erforderlich. Fehlendes Personal lässt sich einfach nicht durch Automatisierung kompensieren.“

Es sind solche Problemstellungen, für die er Lösungen finden muss. „Die Zeit ist herausfordernd. Abschalten kann man da nur schwer. Man nimmt vieles mit nach Hause“, sagt Hendrik Schabsky, der auch noch junger Familienvater ist. Die Tochter ist zweieinhalb Jahre alt und der Sohn gerade sechs Monate. „Die Nächte sind kurz“, sagt er. Die Familie aber ist ihm wichtig. Auch wenn die Arbeit für ihn keine Arbeit ist, sondern „mein Leben“. Für die Familie soll immer Zeit sein - so wie es ihm sein Vater vorgelebt hat.
Sein Ziel ist es dabei, das Unternehmen an die sechste Generation zu übergeben. „Dafür möchte ich schon erfolgreich sein und denke manchmal: puh, das ist noch eine große Aufgabe und ein weiter Weg“, sagt Hendrik Schabsky. Irgendwann aber, so hofft er, werden seine Kinder mal so begeistert über Sicherheitsschuhe sprechen, wie er - auch wenn die dann wahrscheinlich aus dem 3-D-Drucker kommen.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 20. Juni 2024.