„Ein emotionaler Müllhaufen“, treffender könne man den psychischen Zustand nicht nennen, in dem er aufgewachsen sei, sagt Heiko Friedrich (49) aus Dortmund-Lichtendorf in aller Offenheit und Abgeklärtheit. Der 49-jährige Lichtendorfer wurde als Baby adoptiert. Jetzt, als Erwachsener, hat er eine Selbsthilfegruppe für Menschen gegründet, die – wie er – Probleme mit ihrer Herkunft haben.
„Das tat gut zu sehen, dass man nicht allein ist mit seiner Verrücktheit“, erklärt er. Zwar sei jedes Schicksal, jeder Lebensweg anders, aber alle, die er bei den ersten Treffen kennengelernt habe, vereine das Gefühl der Unsicherheit. „Alle sind mindestens hoch-, wenn nicht über-sensibel“, sagt Heiko Friedrich.

Erst ins Kinderheim, dann zu Adoptiveltern
Er selbst sei in der Nähe von Lübeck zur Welt gekommen. Seine damals erst 17-jährige leibliche Mutter habe ihn abtreiben wollen, doch das Jugendamt habe davon abgeraten, wie Heiko Friedrich heute weiß. „Vielleicht habe ich im Mutterleib gespürt, dass ich gar nicht gewollt war.“
Der kleine Heiko kam direkt aus dem Kreißsaal für sechs Monate in ein Kinderheim, danach zu einem Ehepaar, das selbst keine Kinder bekommen konnte – und laut Heiko Friedrich nicht wirklich gut mit Kindern klarkam. Die Adoptiveltern hätten ihm schon ganz früh erklärt, dass er „nicht aus Mamas Bauch gekommen“ sei. „Aber aus welchem Bauch denn dann, das haben sie mir nie gesagt“, erzählt der heute 49-Jährige.
Seine Adoptivmutter habe damals in seinem Beisein mit einem Kinderheim telefoniert, wenn ihre Überforderung zu groß geworden sei und gefragt, wann sie den Jungen bringen könne. Den jungen Heiko plagten unentwegt Schuldgefühle. „Ich wollte doch nur gefallen, stand ständig unter Leistungsdruck.“
Der erwachsene Heiko Friedrich sagt heute, er habe keine Familie. Eine prägende Erkenntnis für ihn: „Ich bin mein Leben lang von Fremden umgeben.“ Sein Adoptivvater, „ein Quartalssäufer“, wie Heiko Friedrich sagt, sei bereits vor zwölf Jahren gestorben. Den Kontakt zu seiner Adoptivmutter beschränke er aus Selbstschutz auf ein Mindestmaß.

„In der Krise besser weglaufen“
Seinen leiblichen Vater hat er als Erwachsener nur kurz, quasi im Türrahmen gesehen – wobei bis heute völlig unklar ist, ob dieser Mann tatsächlich sein Vater ist. Der einzige Hinweis: Er heißt so, wie der Mann, den die Jugendamtsakte als leiblichen Vater nennt. Diese Akte ist Heiko Friedrichs einziger Herkunftsnachweis. Er hütet sie, seit er sie hat, wie einen Schatz, blättert immer wieder durch die vergilbten Blätter, seziert jeden Satz.
Der heute 49-Jährige hat ein sehr wechselhaftes Leben hinter sich. Er hat jeweils zwei Kinder mit zwei verschiedenen Frauen. In die erste Ehe sei er hineingeschliddert: „Ich war 19 und wollte nicht zum Bund, die zogen Verheiratete mit Kindern nicht ein, das wusste ich“. Aus beiden Beziehungen ist Heiko Friedrich geflohen. „Das war das Muster, das ich gelernt hatte – in der Krise immer besser weglaufen.“
Heute lebt der gelernte Schlosser mit fast abgeschlossenem Sozialarbeit-Studium und 17 Jahren Selbstständigkeit mit einer Computerschule für Senioren allein und plant, das angefangene Studium jetzt abzuschließen.
Viele unbeantwortete Fragen
Seinen beiden Müttern hat Heiko Friedrich inzwischen verziehen, möchte aber dennoch nur sporadischen Kontakt aufrechterhalten. Obwohl viele seiner Fragen dadurch vermutlich unbeantwortet bleiben werden: „Habe ich leibliche Geschwister? Gibt es in meiner Familie so etwas wie Erbkrankheiten? Was habe ich sonst von meinem Vater, meiner Mutter?“ Antworten auf diese Fragen könnten ihm seinen Seelenfrieden bringen, sagt der 49-Jährige.
Ein Stück weit hat der sich diesen schon selbst erarbeitet – trotz Höhen und Tiefen. Auf Depressionen folgten Arztbesuche und Therapien, Klinikaufenthalte, Besuche bei Selbsthilfegruppen für Adoptierte in Berlin und Köln. Er habe hart an sich und seiner Gefühlswelt gearbeitet, sagt Heiko Friedrich, Bücher gelesen, Gespräche geführt. Noch seien nicht alle Wunden verheilt, nicht alle Fragen geklärt, aber er habe jetzt die Ruhe daran zu arbeiten. Er traue seinen Gefühlen, sei optimistisch.
Seine Erfahrungen möchte er nun weitergeben und von denen anderer Adoptierter lernen. Die Resonanz auf die ersten Treffen seiner neuen Selbsthilfegruppe in Dortmund stärke ihn sehr: „Selbstfürsorge und Selbstliebe sind bei mir noch zarte Pflänzchen, aber um die kann ich mich jetzt kümmern.“
Selbsthilfegruppe Adoptierter in Dortmund
- Die neue Selbsthilfegruppe Adoptierter trifft sich jeden ersten und dritten Montag im Monat um 19 Uhr im Wilhelm-Hansmann-Haus, Märkische Straße 21 in der Dortmunder Innenstadt. Sie richtet sich an Menschen aus Dortmund, dem Kreis Unna und Umgebung.
- Es wird ein geschützter Raum geboten, in vertraulichem Rahmen können Probleme angesprochen werden. Man tausche sich aus, es werde nicht therapiert, so Friedrich.
- Schwerpunktmäßig geht es um Tipps zur Herkunftssuche. Darüber hinaus gibt es zum Beispiel Ärzte- und Therapeutenlisten sowie Buch-Empfehlungen.
- Der Gründer der Selbsthilfegruppe, Heiko Friedrich, ist unter der Tel. (0231) 13 05 88 98 zu erreichen oder per E-Mail an heiko@shg-adoptierte.de. Wer an den Treffen interessiert ist, wird um vorherige Anmeldung gebeten.
- Kontakte zu bestehenden Selbsthilfegruppen in Berlin, Leipzig, im Rheinland und in Rosenheim sind geknüpft und werden gepflegt.
- Es gibt eine Internetseite, auf der auch ein Flyer heruntergeladen werden kann: www.shg-adoptierte.de
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 7. April 2025.