Rauswurf von Ex-DSW21-Chefin beschäftigt Gericht Kann Heike Heim eine Abfindung erstreiten?

Rauswurf von EX-DSW21-Chefin: Kann Heike Heim Abfindung erstreiten?
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Seit Monaten bereiten sich die Kontrahenten auf ein delikates Treffen am Dortmunder Landgericht vor. Auf der einen Seite der Stadtkonzern DSW21. Angeführt von OB Westphal, hatte der DSW21-Aufsichtsrat der damaligen DSW21-Vorstandsvorsitzenden Heim am 10. Juli 2024 den Stuhl vor die Tür gestellt. Ihr Vertrag wurde in einer eigens anberaumten Sondersitzung „außerordentlich und fristlos“ gekündigt. Auf der anderen Seite steht nun Ex-Chefin Heim: Sie kämpft um ihre Reputation und wehrt sich mit einer Klage gegen die Kündigung. Sie will ein Urteil erreichen, nachdem ihr Anstellungsverhältnis eben „nicht wirksam aufgelöst“ ist.

Pikant dabei: Die Vorgänge, die Heim angelastet und zugerechnet werden, stammen aus der Zeit vor ihrem Aufstieg zur DSW21-Chefin im Juni 2023. Zuvor war sie Vorsitzende der Geschäftsführung von DEW, der Energietochter von DSW21. Gefeuert wurde sie aber von ihrem späteren Arbeitgeber DSW21.

Einkauf fällt DEW auf die Füße

Der Kernvorwurf: Unter ihrer Ägide soll Dortmunds Versorger DEW im Krisenjahr 2022 unter hohem Risiko langfristig und zu teuren Preisen Energie eingekauft haben. Energie, die DEW nur zu billigeren Tarifen unterhalb der Einkaufspreise an die Kunden loswerden konnte bzw. kann. Vom DEW-Aufsichtsrat mit einer Untersuchung beauftragt, legten die Wirtschaftsprüfer (Price WaterhouseCoopers, PwC) ein Papier vor, nach dem DEW dadurch ein hoher Millionenschaden entstehen könnte. Im schlimmsten Fall, hieß es, könne sich der Verlust auf „bis zu 100 Mio. Euro“ summieren.

Ob diese Annahme noch Bestand hat, ist aber unklar. Überdies stellten die Wirtschaftsprüfer fest, dass DEW mit seiner Energiebeschaffung die vom eigenen Aufsichtsrat beschlossene „Risikogrenze“ weit überschritten habe. Zusätzlich wird Heim angekreidet, den DEW-Aufsichtsrat über all das nicht informiert zu haben.

Eingang zum Kundencenter von DEW21 in Dortmund.
Ein Gütetermin soll ans Tageslicht bringen, wer die Verantwortung trägt für überteuerte Energieeinkäufe bei DEW21. © Archiv

Heim selber sieht das naturgemäß anders: Die Ex-DSW21-Managerin argumentiert, sie habe den DEW-Aufsichtsräten sehr wohl die notwendigen Informationen zur Verfügung gestellt. Vertreten wird sie von der Frankfurter Kanzlei „Janzen Zimmer Pallasky Rechtsanwälte in Partnerschaft mbB“.

Anwalt prüft Fehlverhalten

Ihre Darstellung stößt bei den Aufsichtsräten bis heute auf Widerspruch: Nein, das Gremium sei über die Überschreitung der Risikogrenze nicht ins Bild gesetzt worden. Das ist die Gemengelage. Wie akribisch sich beide Seiten vorbereiten, zeigt der Umstand, dass der für Montag (10.3.) anberaumte Termin auf Montag (26.5.) verschoben worden ist. Das Gericht kam einer Bitte von Heims Anwälten nach. Sie beantragen eine Fristverlängerung, um auf die bei Gericht vorliegende Stellungnahme von DSW21 zu reagieren. „Damit rückt die Angelegenheit noch ein bisschen näher an die Kommunalwahl am 14. September“, heißt es in Kreisen des Rates.

Rückendeckung erhält der DEW-Aufsichtsrat von der Wirtschaftskanzlei Dr. Aderhold aus Dortmund. Sie hat den Auftrag zu prüfen, ob Heim im Zuge der Energiebeschaffung tatsächlich Fehlverhalten zur Last gelegt werden kann – und ob es daher für ihren früheren Brötchengeber DEW eine Option gibt, sie notfalls auf Schadenersatz in Millionenhöhe zu verklagen. Aderholds Gutachten dient DSW21 als Basis für die Argumentation vor dem Landgericht. Bei der Verhandlung selber wird DSW21 dann von der Kanzlei „Dr. Tobias Brors LL.M. (Pusch Wahlig Workplace Law)“ in Düsseldorf vertreten.

Das Gutachten von Aderhold soll nach monatelanger Arbeit nun so gut wie fertig sein – und, so die Hoffnung der DEW-Aufsichtsräte, bei der nächsten Sitzung am Freitag, 11.4.2025, vorliegen. Ebenfalls nicht ohne Pikanterie ist der Umstand, dass der Wirtschaftsanwalt dem Rat der Stadt bereits im September 2024 ein erstes Teilergebnis seiner Expertise zukommen und von OB Westphal an die völlig überraschten Ratsvertreter verteilen ließ.

Verstoß gegen Richtlinien?

Aderholds Zwischenfazit fiel überraschend eindeutig und klar formuliert aus: Verantwortlich sei Heike Heim. Sie habe „ohne Wissen und Mitwirkung“ der beiden weiteren DEW-Geschäftsführer entschieden, sämtliche Leitplanken aus dem internen Risikohandbuch von DEW nicht weiter anzuwenden. Und: Der Aufsichtsrat habe keinen Verdacht schöpfen können, „dass Heim unter Verstoß gegen alle internen Risikorichtlinien und Informationspflichten im großen Stil (…) mit dem damaligen Chefeinkäufer Spekulationsgeschäfte im Energiehandel vornahm“, wie es hieß.

Der Schritt von Aderhold zum damaligen Zeitpunkt sei ungewöhnlich gewesen, hieß es. Und wohl auf Bitten von OB Westphal in seiner Doppelfunktion als Aufsichtsratschef von DSW21 und DEW zustande gekommen. Offenbar habe Westphal „Druck vom Kessel“ nehmen und die DEW-Kontrolleure entlasten wollen, vermuten Insider. Sich selbst aber auch.

Denn zuvor hatten CDU und Grüne im Rat zunehmend kritische Fragen gestellt, inwieweit zumindest Westphal als Chefkontrolleur in die Geschehnisse und Entscheidungen um die Energiebeschaffung eingeweiht war. Westphal verneint das bis heute. Er gibt an, von den Vorgängen nichts gewusst zu haben. Alles Nachhaken zu seiner Rolle als Aufsichtsratsvorsitzender verlief bislang im Sande.

Welche Rolle hatte Westphal?

So steuern die Kontrahenten nun auf ein Treffen vor der 19. Zivilkammer (Kammer für Handelssachen) des Dortmunder Landgerichts zu, von dem sich nur schwer abschätzen lässt, wie ausgiebig das Gericht die Vorgänge bei DEW beleuchten und in die komplexe Materie einsteigen will? Welche Folgen hatte beispielsweise der DEW-Beschluss in 2022, die Beschaffungsstrategie zu ändern – und plötzlich wöchentlich einzukaufen, statt einmal monatlich in einem rollierenden Verfahren? Kommt hinzu: Zusätzlich war entschieden worden, für die Wintermonate (November bis Februar) zweier Jahre mehr Energie zu bestellen als eigentlich nötig – zehn Prozent über den prognostizierten Bedarf hinaus. Das war teuer.

Bei DEW ging man 2022 offenbar davon aus, die Energiepreise würden weiter exorbitant hoch bleiben – mit der Folge, dass in der Krise immer mehr Billiganbieter einknicken und die Kunden in die Grundversorgung von DEW strömen. Diese Annahme war falsch, aus heutiger Sicht. Die Spitze der Preisralley war längst erreicht. Die Preise fielen wieder, und die oft beschworene Energiemangellage blieb aus. Wie bewerten das die Richter?

Zudem fragen sich Ratsmitglieder, ob die Rolle von OB Westphal in seiner Funktion als Aufsichtsratsvorsitzender zur Sprache kommen könnte. Noch vor Wochen wurde in Kreisen der Politik gemutmaßt, eventuell könne vor Gericht „ein neuer Aspekt auftauchen, den keiner auf dem Schirm hat.“ Heim, so die Spekulationen, könne womöglich Material in der Hinterhand haben, dem zufolge Westphal eben doch im Bilde gewesen sei.

Neuer Job bei Remondis

Inzwischen ist das Geraune verstummt. „Wenn es so wäre, hätte sie längst etwas vorgelegt“, sagt ein Aufsichtsrats-Vertreter. „Schon, um sich selber zu entlasten.“ Im Rathaus sieht man sich wie vor einer großen Wundertüte, die unangenehme Überraschungen enthalten könnte, aber erst im Mai geöffnet werden darf.

Nesrin Öcal, Sprecherin am Landgericht, weist ausdrücklich daraufhin, „dass es sich um einen Güte- und Verhandlungstermin handelt.“ Das heißt: Das Gericht wird zunächst ausloten, ob es eine „gütliche“ Einigung gibt. Erst wenn die Kontrahenten abwinken, steigt das Gericht in die eigentliche Verhandlung ein.

Es geht um viel. Abhängig vom Urteil könnte Heim unter Umständen eine hohe Abfindung erhalten; was sowohl für DSW21 als auch für Aufsichtsrats-Chef und OB Westphal maximal ärgerlich wäre. Zurück in den Stadtkonzern, so viel ist klar, geht es natürlich nicht mehr. Nach Informationen dieser Redaktion tritt die frühere DSW21-Chefin Anfang April 2025 ohnehin eine Stelle als Geschäftsführerin bei einer Remondis-Tochter in Süddeutschland an. Ebenfalls delikat: Egal, wie das Treffen am Landgericht endet – das Urteil dürfte auch wegweisend sein für die Frage, ob DEW tatsächlich den Schritt gehen soll, die frühere Chefin auf Schadenersatz in Millionenhöhe zu verklagen.