- Ein Ehepaar hat bei einer Zwangsversteigerung in Dortmund ein Haus für 730.000 Euro gekauft, ohne es vorher von innen gesehen zu haben.
- Die Versteigerung fand im großen Konzertsaal des FZW statt, das vorübergehend als Außenstelle des Amtsgerichts Dortmund genutzt wird.
- Neben dem Kaufpreis übernimmt das Ehepaar auch Schulden in Höhe von 406.000 Euro, die an eine Versicherung zu zahlen sind.
- Die Zwangsversteigerung wurde durchgeführt, weil sich die Vorbesitzerin nach einer Trennung nicht einigen konnte und einen Schlussstrich ziehen wollte.
- Der Schätzwert des Hauses lag bei 815.000 Euro, und das Objekt wurde vor drei Jahren zuletzt von Gutachtern bewertet. Das Ehepaar blieb bei ihrer Gebotsabgabe unter ihrer finanziellen Grenze.
Die Frau mit der Glitzer-Handtasche und dem schicken schwarzen Mantel lächelt siegessicher. Der Mann mit der Funktionsjacke ein paar Reihen vor ihr, der aussieht, als wolle er gleich wandern gehen, beißt so fest auf die Zähne, dass man sieht, wie seine Kiefermuskeln anspannen. Und der Kontrahent im Karohemd streicht seiner Frau, die neben ihm sitzt, beruhigend über die Schultern.
Sie alle sitzen auf Stühlen vor der Bühne des großen Konzertsaals im Dortmunder FZW. An den Wänden hängen Poster, die für Partys und Konzerte werben. Ein Schild weist auf den Backstage-Bereich hin, neben der Bühne sind riesige Musikboxen zu sehen. Die Bar hinter den letzten Stuhllehnen versinkt hingegen in der Dunkelheit des Raums. Feiern wird hier am Ende nur eine der drei Parteien.
Das FZW ist seit einiger Zeit eine Außenstelle des Amtsgerichts Dortmund. Wegen der vergangenen Corona-Abstandsregeln finden hier noch bis Ende Juni die Zwangsversteigerungen statt. An diesem Mittwochmorgen geht es um ein Wohnhaus in Schüren, das mehr als 800.000 Euro wert ist.
„Es handelt sich um eine Trennung, nach der man sich nicht einigen konnte“, sagt die Mit-Vorbesitzerin des Hauses, die mit ihrem Anwalt vor der Bühne sitzt. Sie will einen Schlussstrich, deshalb werden auf diesem Wege neue Bewohner des freistehenden Gebäudes in einer ruhigen Siedlung gesucht.

Nein, aus Versehen kann man nicht mitbieten, wenn man sich kurz auf dem Stuhl rekelt, so wie es manche Filme vermuten lassen. Zu Beginn muss man den Personalausweis auf die Bühne bringen und eine gewisse Sicherheitszahlung erbringen, um überhaupt mitbieten zu können. Wer nicht gewinnt, kriegt dieses Geld zurück.
Bevor das Wettbieten losgeht, verliest die Rechtspflegerin des Amtsgerichts die Eckdaten des Grundstücks, um das es geht. 769 Quadratmeter ist es groß, 2013 wurde das Haus gebaut, 211 Quadratmeter Wohnfläche sind vorhanden. Alles ist im Vorfeld online einsehbar gewesen, inklusive der genauen Adresse. Jede Menge Zahlen werden runtergerattert.
406.000 Euro Schulden
Was besonders wichtig ist und mehrmals betont wird: Wer das Haus ersteigert, übernimmt auch 406.000 Euro Schulden, die an eine Versicherung zu zahlen sind. „Ich möchte auf keinen Fall, dass jemand mitbietet, wer das nicht vollständig verstanden hat“, sagt die Rechtspflegerin. Auch der Anwalt der Vorbesitzerin betont, dass beide für Rückfragen zur Verfügung stehen.
Mehr als 200 Stühle stehen vor der Bühne, versprenkelt besetzt sind knapp 25. Paare stecken die Köpfe zusammen und murmeln sich leise zu. Nach zwei Rückfragen steht als erster der Mann auf, der aussieht, als wolle er wandern gehen. Vier Treppenstufen rauf auf die Bühne, Ausweis aus dem Portemonnaie geholt: Erstgebot, Mindestbetrag 44.000 Euro. Dann setzt er sich wieder neben seine genauso sportlich gekleidete Begleitung.

Wenig später geht der 40-jährige Rudolf zum Schreibtisch auf der Bühne. Er im karierten Hemd, seine Frau in Pulli und dünner Strickjacke. 47.000 Euro. Es folgt die Frau mit der Glitzer-Handtasche und ihrem Mann. 50.000.
Alle drei Parteien sind nun registriert. Ab jetzt reicht es, vom Sitzplatz aus Gebote nach vorne zu rufen. Es folgt eine minutenlange Pause, von Beginn an muss eine halbe Stunde vergehen, bis irgendjemand einen Zuschlag bekommen kann. Der Anwalt der Vorbesitzerin sagt laut in den Raum: „Das ist noch nicht in den Bereichen, die wir als zuschlagsfähig ansehen. Da fehlt noch einiges.“ Unter gewissen Grenzbeträgen können die Vorbesitzer die Versagung des Zuschlags beantragen.
„245.000 müsste schon kommen“
Rudolf hält die Stille und die surrenden Lautsprecher als erster nicht mehr aus. 69.000 Euro bietet er. Sein Schwiegervater, der neben dem Paar sitzt, deutet auf seine offenbar schwitzigen Hände. Die Funktionsjacke erhöht auf 70.000, der Mann der Glitzertasche auf 74.000 Euro.
Rudolf will offenbar Spreu von Weizen trennen. 94.000 Euro. Die Rechtspflegerin fragt sicherheitshalber seine Frau: „Sind Sie dabei?“ Beide haben schließlich ihre Ausweise gezeigt und wollen zu gleichen Teilen die Hausbesitzer werden. Ja, sie ist dabei.
„Wir sind immer noch weit von dem entfernt, wo wir hin möchten“, sagt der Anwalt. Und nach weiteren kleineren Schritten fügt er hinzu: „245.000 müsste schon kommen.“ Immer wichtig für den Hinterkopf: Die Käufer müssen noch die 406.000 Euro Schulden draufrechnen.
Rudolf erhöht die Taktung. Nachdem die anderen von 120 auf 125 auf 126 gehen, nennt er direkt 144.000. So geht das Spiel weiter bis 225.000 Euro. Dann ist die Mindestbietzeit abgelaufen. Sollte jetzt niemand mitgehen wollen, könnte ein Zuschlag erfolgen.
Neuer Mitbieter kurz vor Ende
Doch dann die Überraschung: Aus der letzten Reihe mischt sich ein vierter Mitbieter ein. Der Mann, der offenbar erst nach dem Beginn mit seinem kleinen Sohn reinkam, geht auf die Bühne und zeigt seinen Ausweis vor. Ein kurzes Gespräch folgt, und dann erklärt die Gerichtspflegerin laut: Er hat die Sicherheitssumme nicht wie die anderen Interessierten im Vorfeld auf ein Konto eingezahlt und auch keinen Scheck dabei. Das Gebot wird zurückgewiesen.
Der Ablauf der Mindestbietzeit bedeutet nicht, dass es jetzt hektisch würde. Aber jetzt wird‘s ernst. Nach und nach erhöhen die Funktionsjacke, der Mann der Glitzertasche und Rudolf die Summe. Bei 300.000 Euro steigen die Wanderer aus. Das Lächeln der Frau kann man als Erleichterung deuten.
Das schwarz gekleidete Paar erhöht von 314- auf 315.000, Rudolf macht den Schritt wieder etwas größer: 324.000 Euro. Zuzüglich der 406.000 Schulden, die zu übernehmen sind. Die anderen antworten nicht mehr.
Die Rechtspflegerin fängt schon an mit der bekannten Siegerehrung: „Zum Ersten. Zum Zweiten...“, da meldet sich auf einmal wieder der Vater des kleinen Jungen aus der letzten Reihe. „Aber Sie haben ja keine Sicherheitsleistung“, hört er von der Bühne. Im Zwiegespräch wird das Prozedere noch einmal erläutert. Dann die Info für alle: „Es ist kein neues Gebot abgegeben worden.“
„Und zum Dritten!“
Also noch einmal, doch fast so wie im Film: „Zum Ersten. Zum Zweiten. Und zum Dritten!“ Die dann folgende allerletzte Möglichkeit zum Erhöhen will niemand mehr ergreifen. 58 Minuten nach Beginn der Wettbieterei heißt es: „Sie sind jetzt die Eigentümer!“
Das Ehepaar geht auf die Bühne und bekommt die Formalitäten erklärt. Der Schwiegervater deutet auf sein Hemd und sagt lachend: „Klatschnass.“ Die Eigenheim-Neubesitzer tauschen sich kurz mit der Vorbesitzerin aus. Für ein kurzes Gespräch mit dem Reporter möchten sie dann gerne an die frische Luft.
Noch sei die Erleichterung nicht wirklich spürbar, gibt Rudolf zu, wenige Minuten nachdem er 730.000 Euro für ein 815.000 Euro wertvolles Haus zugesagt hat. „Das Objekt haben wir ja noch nie von innen gesehen.“ Bereits vor drei Jahren ist der Wert von Gutachtern geschätzt worden. Und dies war der erste Besuch des Paares überhaupt bei einer Zwangsversteigerung.
Aber die Freude ist doch groß: „Wir sind unter unserer Grenze geblieben“, strahlt der 40-jährige Familienvater, der mit seiner Frau die dreimonatige Tochter dann bald im Schürener Eigenheim aufwachsen sieht.
Die nächsten öffentlichen Zwangsversteigerungen sind in Dortmund für den 11. Mai (Donnerstag) vorgesehen. Um 8.30 Uhr geht es im FZW an der Ritterstraße 20 los. Nähere Informationen gibt es unter ag-dortmund.nrw.de
Dieser Artikel ist ursprünglich am 14. April 2023 erschienen. Aufgrund des großen Interesses haben wir ihn erneut veröffentlicht.