Dortmunds Stadtkämmerer Jörg Stüdemann ist dafür bekannt, dass er den Haushalten der Stadt Namen gibt. Für den Etat 2023 bemühte er das Stilmittel der Ironie und nahm dafür eine Anleihe beim ehemaligen Schauspieldirektor Kay Voges: „Enjoy complexity“ - genieße Komplexität.
Ein Genuss war es aber nicht für die Kämmerei-Mitarbeiter, das dreibändige Werk mit 1337 Seiten zu erstellen, sondern eine Qual, die auch noch nicht beendet ist. Stüdemann und Oberbürgermeister Thomas Westphal brachten den Etatentwurf am Donnerstag (10.11.) zur politischen Beratung in den Rat ein.
Dieser Haushalt sei so komplex wie kein anderer vor ihm, sagte Stüdemann gegenüber dieser Redaktion, und habe in der Kämmerei zu größter Verzweiflung geführt „bis an die Grenzen eines Nervenzusammenbruchs“.
„Sehr wackelige Gesamtlage“
Millionen verschlingen die Auswirkungen der Corona-Pandemie, die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen aus der Ukraine, die hohen Energiepreise, Tarifsteigerungen beim Personal, steigende Zinsen und die Inflation. Dazu gesellt sich eine haushaltsrechtlich „sehr wackelige Gesamtlage“, so der Kämmerer. Viele Unklarheiten aufgrund fehlender Orientierungsdaten des Landes und gesetzlicher Neuregelungen bergen nicht unerhebliche Risiken im Etatentwurf.
Im Sommer waren die Mitarbeiter der Kämmerei noch ziemlich ratlos, wie sie die Enden von Einnahmen und Ausgaben zusammenbekommen sollten. „Uns fehlte eine gewaltige Summe“, berichtet der Kämmerer. Es herrschte allgemeine Hilflosigkeit. Wie sollte man die Haushaltsenden angesichts der Mehrbelastungen zusammenbekommen, ohne die genauen etatrechtlichen Vorgaben zu kennen?
Doch dann kam in Form eines Gesetzesentwurfes eine Finanzierungshilfe von der Landesregierung in Düsseldorf, kein Geld, sondern ein vergifteter Rettungsring. „Ein Bilanz-Trick, in Perfektion kaum zu überbieten“, beschreibt es der Kämmerer.
Schulden als Einnahmen gebucht
Und der Trick läuft so: Die Stadt darf für die Corona-Pandemie und die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs Schulden in dreistelliger Millionenhöhe machen und – ohne, dass Geld fließt –, sie als außerordentliche Einnahmen neben den Haushalt legen. „Isolierung“ oder „Bilanzierungshilfe“ nennt man das.
So wird der Haushalt selbst zunächst nicht belastet. Doch die Sache hat einen Haken. Auch wenn kein echtes Geld fließt, muss die Stadt diese hohen Summen mit Krediten hinterlegen und sie ab 2026 im Laufe von 50 Jahren abstottern. Mit insgesamt rund 443 Millionen Euro werden die Belastungen aus Corona und Ukraine-Krieg nach bisherigen Berechnungen von 2020 bis 2025 beziffert.
Das bedeutet, dass die Stadt die Bilanzierungshilfe ab 2026 nach derzeitigem Stand mit 8,9 Millionen im Jahr abschreiben muss. Gleichzeitig muss sie, um flüssig zu bleiben, Liquiditätskredite aufnehmen, um die tatsächlich vorhandenen Kosten für Corona und Ukraine-Krieg zahlen zu können. So werden die Belastungen weitgehend in die Zukunft verlagert.
Loch von 20,5 Millionen Euro
Stüdemann: „Die Bilanzierungshilfe bedeutet im Prinzip zusätzliche Schulden. Wir wollen diese Hilfe gar nicht. Wir wollen echtes Geld“, fordert der Kämmerer wiederholt. Die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen sei eine Angelegenheit der Bundesländer. NRW habe aber nie eine 100-prozentige Deckung der Kosten zugesagt.
Trotz der legalen Bilanzkosmetik weist der Haushaltsentwurf des Kämmerers für das Jahr 2023 immer noch ein Loch von rund 20,5 Millionen Euro auf.
Dennoch hat Stüdemann eine gute Botschaft: „Wir werden keine Steuern erhöhen.“ Die Hebesätze bei der Gewerbesteuer A und B bleiben seit 2015 unverändert. Ebenso bei der Gewerbesteuer. Auch die Entgelte für viele städtische Leistungen hätten weitgehend stabil gehalten werden können, so der Kämmerer.
Abwassergebühren
Veränderungen vermutlich zugunsten der Bürger gibt es bei den Abwassergebühren, nachdem das Oberverwaltungsgericht NRW seine langjährige Rechtsprechung zur Kalkulation von Abwassergebühren geändert hat. Um wie viel die Abwassergebühren gegebenenfalls sinken, ist unklar. Der Landtag muss noch über die Novelle des Kommunalabgabengesetzes entscheiden.
Weil die Stadt in der Vergangenheit am Ende der Haushaltsjahre immer besser dastand als ursprünglich kalkuliert, konnte sie trotz hoher Schulden ihren Finanzpuffer, die sogenannte Ausgleichsrücklage, gut füllen und muss deshalb auch dieses Jahr aufgrund der Bilanzierungshilfe ihre allgemeine Rücklage nicht angreifen und so ihr Eigenkapital weiter verzehren.

Damit ist der Haushalt nicht genehmigungspflichtig. Das heißt: Ein Veto der Kommunalaufsicht ist nicht zu befürchten, wenn der Etat weitgehend wie geplant beschlossen wird.
Gewerbesteuern stabil
Stüdemann: „Wir bleiben handlungs- und gestaltungsfähig.“ Es gibt mehr Geld für die Verkehrswende, den Wohnungsbau, erweiterte Bildungsangebote, für den Bau von Kitas, Schulen sowie für Klimaschutzprogramme.
Hilfreich sind da die „Aufholeffekte“ nach Corona mit gestiegenen Anteilen an der Einkommenssteuer und höheren Schlüsselzuweisungen, die sogar über Vorkrisenniveau liegen. Die Gewerbesteuern bleiben trotz Krise relativ stabil mit prognostizierten fast 400 Millionen Euro.

Im Kernhaushalt sind für 2023 Investitionen in Höhe von rund 391 Millionen Euro vorgesehen. Das sind 144 Millionen weniger als im Etat 2022. Damit trägt die Kämmerei wie schon im Vorjahr der Tatsache Rechnung, dass die Bauverwaltung es nicht schafft, so viele Bauvorhaben wie gewünscht auf den Weg zu bringen. Hemmschuhe sind fehlende Ingenieure, Lieferschwierigkeiten beim Material und steigende Baukosten.
Löwenanteil für Schulbau
179 der 391 zu investierenden Millionen entfallen auf den Hochbau, davon 80 Prozent auf den Bau von Schulen und Einrichtungen für die offenen Ganztagsschulen, Sport-/Turn- und Gymnastikhallen und den Kita-Bau. Die Investitionen sollen mit Krediten in Höhe von 277 Mio. Euro finanziert werden.
Damit wächst der Schuldenberg weiter auf fast 2,9 Milliarden Euro – ein neuer Rekordwert. Davon entfallen 1,23 Milliarden auf Altschulden und 1,64 Milliarden auf die Liquiditätskredite, vergleichbar mit Überziehungskrediten im Privaten.
Komplexe Etatberatungen
So komplex wie der Haushalt ist, so komplex würden auch die Haushaltsberatungen der Politik, prophezeit Stüdemann. Der Weg der Meinungsbildung und das Aushandeln von Kompromissen zur möglichst breiten Mehrheit würden aufwändiger als je zuvor.
Die Politik hat jetzt bis Februar Zeit, den Haushaltsentwurf zu beraten und zu beschließen und gegebenenfalls eigene Akzente zu setzen. Im April ist dann mit dem Okay der Bezirksregierung zu rechnen.
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