So grau und regnerisch es auf dem Westenhellweg in diesen Tagen auch ist, Dortmunds Einkaufsmeile ist belebt. Sie ist lebendig. Rund um Weihnachten wurden auf dem Westenhellweg sogar so viele Menschen gezählt wie noch nie. Das Portal „Hystreet“, das jeden Tag die Passentenfrequenz ermittelt, zeigte für den Dezember Rekordzahlen an.
Große Warenhäuser „wackeln“
Und das am Ende eines Jahres, aus dem der Handel mit etlichen Beulen rausgegangen ist. Nehmen wir P&C – Deutschlands größter Modehändler und nahe der Reinoldikirche seit Jahrzehnten ein Platzhirsch am Westenhellweg. Wegen finanzieller Engpässe meldete das Düsseldorfer Unternehmen im Frühjahr Insolvenz an und flüchtete unter einen Schutzschirm. So hatte man dank öffentlicher Gelder wieder Luft, das Unternehmen nach „einem dreistelligen Millionenverlust“ während der Corona-Pandemie mit einem Schuldenschnitt noch zu retten.
Der Verkauf ging im Dortmunder Haus wie gewohnt weiter. P&C legte den Fokus fortan nicht mehr auf das Online-Geschäft, sondern klar auf den stationären Handel. Offenbar mit Erfolg. Man schaffte es aus der Insolvenz, das Schutzschirmverfahren in Eigenverwaltung wurde zum 1. Oktober 2023 eingestellt.

In Sichtweite von P&C am entfernten Ende des Alten Marktes muss der Sportartikel-Riese Sportscheck diesen Weg erst noch schaffen. Die Handelskette war im November zahlungsunfähig und meldete Insolvenz an. Es handelt sich hier mutmaßlich um einen Dominoeffekt im Geschäftsimperium des ins Straucheln geratenen österreichischen Immobilieninvestors Rene Benko. Sportscheck gehört zur Signa-Gruppe von Benko, zu der auch Galeria Karstadt Kaufhof gehört.

Bisher läuft im Dortmunder Haus alles „unter Normalbedingungen“ weiter. 2021 war Sportscheck als Nachfolger von „Karstadt Sports“ in das riesige, markante Gebäude am Alten Markt eingezogen.
Wir erinnern uns: 2020 hatte es in Dortmund eine Zitterpartie um alle drei Warenhäuser der Signa-Gruppe gegeben. Geschlossen wurde am Ende nur das Kaufhof-Warenhaus. Mit Steuergeldern konnte eine Machbarkeitsstudie für mögliche Nachnutzungen in Auftrag gegeben werden. Passiert ist aber noch nichts. Die Immobilie dümpelt vor sich hin. Bisher gab und gibt es nur Zwischennutzungen durch den Textilanbieter Sinn und ein Sportartikel Outlet des abgetauchten Dortmunder Unternehmers Friedrich-Wilhelm Goebel.

Jener Friedrich-Wilhelm Goebel machte im Frühjahr von sich reden, als er sich als Karstadt-Retter ins Gespräch brachte. Egal, wie realistisch das war: Hilfe brauchte Karstadt auf jeden Fall zum wiederholten Male. Karstadt Dortmund stand neben 50 weiteren Häusern in Deutschland auf einer Streichliste und sollte zum 31.1.2024 – also in jetzt wenigen Tagen – geschlossen werden.
Nachdem die Beschäftigten schon ihre Kündigungen erhalten hatten, wurde die Schließung Ende Mai gerade noch abgewendet. Sowas wie Normalität bei Karstadt gab es jedoch nur kurz: vor Weihnachten meldete die Signa Holding von Rene Benko in Österreich Insolvenz an. Es wurde deutlich, dass der Warenhauskonzern nach wie vor auf wackligen Füßen steht.
Tobias Heitmann, Vorsitzender des Cityrings und damit oberster Interessenvertreter der Dortmunder Innenstadt-Kaufleute, ist nach einem „sehr schweren Jahr 2023“ froh, dass die Karstadt-Rettung erstmal geklappt hat. „Das war positiv und sehr wichtig für den Handelsstandort Dortmund“, sagt er. Wie Thomas Schäfer, Geschäftsführer beim Handelsverband Westfalen-Münsterland, geht er noch davon aus, dass die Turbulenzen im Firmenimperium von Rene Benko keine Auswirkungen auf das hiesige Karstadt-Haus haben.
„Karstadt und P&C werden wohl bleiben“, sagt Thomas Schäfer und ergänzt: „In die Ex-Kaufhof-Immobilie muss investiert werden. Ein Sportscheck-Aus wäre schlimm, weil die Immobilie nach meiner Einschätzung nur sehr schwer sofort weiterzuvermieten wäre.“
Dass Handelskonzepte irgendwann nicht mehr funktionieren und angepasst werden müssen, ist für den Handelsexperten der Lauf der Zeit: „Zum Online-Boom kommen Lieferschwierigkeiten hinzu, die dazu führen, dass im Handel nicht mehr an allen Standorten alles vorrätig ist. Die Probleme gibt es im Netz eben nicht und der Handel muss sich damit auseinandersetzen.“

Thomas Schäfer verweist auf C&A. Die Bekleidungskette hat im vorigen Jahr verkündet, dass man sich in Dortmund verkleinert und aus dem riesigen Warenhaus am Ostenhellweg ausziehen wird. Anfang 2025 will C&A in das frühere Gebäude der Mayerschen Buchhandlung einziehen. Die Weichen dafür werden in diesem Jahr gestellt. Die große Baustelle ist am Westenhellweg schräg gegenüber von Karstadt nicht zu übersehen. „Dies ist ein gutes Beispiel für den Strukturwandel in der City. Gleich zwei Immobilien werden neu- und umgenutzt“, so Thomas Schäfer.

Das reine Handelshaus zwischen Westenhellweg und Kampstraße, in dem früher die Modekette Esprit und eben die Mayersche angesiedelt waren, verwandelt die R+V-Versicherung als Eigentümer in eine moderne Cityimmobilie inklusive einer großen Zahnarztpraxis. Gleichzeitig entwickelt auch der Eigentümer des C&A-Warenhauses am Ostenhellweg vielversprechende Zukunftspläne. Wie bekannt wurde, soll es ein „mischgenutztes Gebäude“ für Mieter aus den Segementen Büro, Handel, Nahversorgung und Gastronomie werden. Auch Wohnungen sind denkbar. Und Gerüchten zufolge könnten auch Teile der Technischen Universität Dortmund einziehen.
„Es freut uns natürlich, dass mit dem Umzug von C&A ein Leerstand in der Kernzone der City abgebaut und gleichzeitig perspektivisch auch eine interessante Weiternutzung des Hauses am Ostenhellweg gegeben ist“, sagt Cityring-Chef Tobias Heitmann.

Schon mit Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 hatte der Experte für Handelsimmobilien, Andreas Grüß vom Unternehmen Lührmann in Osnabrück, prophezeit, dass sich der stationäre Einzelhandel in Dortmund wegen des Online-Booms und geringer werdender Verkaufsflächen immer stärker auf den Bereich „zwischen den beiden Kirchen“, also zwischen Reinoldi- und Petrikirche, konzentrieren werde.
Genau diese Entwicklung ist im Gange und zeigt sich nicht nur am Beispiel von C&A, sondern auch (in unterschiedlicher Weise) am Beispiel des Ex-Conrad-Hauses am oberen Westenhellweg oder der dänischen Damenmodekette Only.
Nachdem der Elektronikhändler Conrad Ende 2021 schloss, wird aus dem Gebäude nun ein Wohnhaus und ein Gastronomie-Standort. Handel ist dort also passé. Genauso übrigens auch in der Nachbarschaft, wo am Westenhellweg 123 der Pflegedienst Sina einzog und ein Schulungszentrum betreibt.
Die Kette Only eröffnete dagegen nach dem überraschenden und schnellen Auszug des niederländischen Warenkaufhauses Hema im Frühjahr eben in der sich ausbildenden Kernzone und begehrten Toplage flugs auf drei Etagen ihren bis dato größten Store in Deutschland. Der Westenhellweg sei eine belebte Einkaufsstraße und gerade junge Leute seien hier viel unterwegs – der Standort sei damit genau richtig für einen solchen „Flagship-Store“, hieß es vom Bezirksleiter des Unternehmens, Mario Schneider.
Thier-Galerie im Aufwind
Only ist auch ein gutes Stichwort für den Aufschwung und den gleichzeitigen Wandel in der Thier-Galerie. Als nach der Corona-Pandemie die Besucherfrequenz in dem Shoppingcenter wieder deutlich anstieg, lief das Geschäft für Only hier zunehmend besser. So gut sogar, dass man nicht nur am Westenhellweg, sondern auch im Basement der Thier-Galerie expandierte.
Seinen Zielen, nicht nur den Leerstand zu verringern, sondern die Thier-Galerie vom Shopping-Center zu einem Shopping- und Erlebnis-Center zu entwickeln und auch die Food Lounge wieder komplett zu füllen, ist der Center-Manager Torben Seifert ziemlich nahegekommen. Vor allem die Ansiedlung eines Shops zur spektakulären Ausstellung „Phoenix des Lumières“ auf Phoenix-West sowie die beiden Rollerskate-Events im vergangenen Jahr stehen für den Wandel der 2012 als reines Einkaufszentrum eröffneten Thier-Galerie.

Torben Seifert setzt auf einen Mix an Angeboten jenseits des Handels. Deshalb gibt es in der Thier-Galerie auch einen Blutspendedienst des Deutschen Roten Kreuzes, einen Handy-Reparaturdienst und mit dem Reisebüro Stoffregen das mittlerweile dritte Reisebüro.
Und nach der Rollerdisco setzt Torben Seifert mit einer Eisbahn für Eislauffans noch einen obendrauf. „Wir freuen uns auf dieses neue Event, das in diesem Monat kommt. Es steht auch für die Veränderung, die es heutzutage an Handelsstandorten braucht. So etwas hätte man vor zehn Jahren in einer Mall sicher nicht gemacht“, sagt der Center-Manager. Das Eisbahn-Vergnügen startet am 26. Januar.
Die Komponente Erlebnis beflügelt offensichtlich den Handel. Die Leerstandsquote jedenfalls betrug im Herbst 2023 auch dank der Expansionen der Textilanbieter Only und New Yorker zwischenzeitlich nur noch gut zehn Prozent. Zum Jahresende wurden durch den Auszug des Adidas-Shops und der Verkleinerung von Primark zwar wieder Verkaufsflächen frei, für die es aber schon neue Pläne und mehrere Interessenten geben soll.
Neue kleine Geschäfte
Neben der Restrukturierung angesichts der Herausforderungen durch den Online-Handel, der Konzentration auf eine Kernzone, der Mischung des Handels mit Dienstleistungen und der Schaffung von Erlebnis-Angeboten (dazu gehörten 2023 auch das E-Bike-Festival und die Cityring-Konzerte) zeichnet sich auch ein Trend zu nachhaltigen und günstigen Angeboten ab. Dafür stehen die Eröffnungen zweier, kleiner Vintage-Läden.
Keine Frage: Vintage liegt voll im Trend. Im Oktober eröffnete am Ostenhellweg (gegenüber von Ex-Lütgenau) im ehemaligen Geschenkeartikel-Laden Nanu-Nana das Vintage-Secondhand-Geschäft Vintage-Revivals. „Wir haben uns bewusst für Dortmund entschieden, aufgrund seiner lebendigen und vielfältigen Atmosphäre, die maßgeblich von der Präsenz einer großen Studentengemeinschaft geprägt ist“, ließ das Unternehmen wissen.
Ähnlich auch die Aussage von„Think Twice“, die am 4. Januar in der Potgasse an der Thier-Galerie starteten: „Wir versuchen, uns in Uni-Städten zu platzieren. Gut die Hälfte unserer Kunden sind Studierende“, sagt Zarwa Nabi, die Managerin der Dortmund-Filiale.
Citymanagement fehlt noch
Gerade die Crack-Krise, mit der Dortmund im vergangenen Jahr bundesweit in die Schlagzeilen geriet, zeigt, dass der Handel und die City nicht nur durch sich änderndes Konsumverhalten, sondern auch durch noch ganz andere gesellschaftliche Prozesse herausgefordert werden.
„Die Situation bezüglich der Drogenabhängigen in der City hat sich unter anderem dank einer Einsatzhundertschaft der Polizei verbessert. Ich hoffe, dass es so bleibt“, sagt Tobias Heitmann. „Auch der sich verschärfende Personalmangel, ist aber für den Einzelhandel herausfordernd. Ich kann mir vorstellen, dass es bald nur noch Öffnungszeiten bis 18 Uhr gibt. Deshalb braucht es mehr Restaurants, damit die Leute auch abends noch in der City bleiben“, ergänzt er.
Angesichts einer guten Kaufkraft-Entwicklung, die dem Handel sowohl in Dortmund als auch in Essen in 2021 und 2022 einen Umsatz von rund 3,4 Milliarden Euro bescherte, betont Thomas Schäfer vom Handelsverband die Chancen für die City: „Die Hystreet-Zahlen zeigen ja, dass die Leute in die City kommen. Auch wenn nur Beine gezählt werden und keine Einkaufstüten, ist das ein gutes Zeichen. Es zeigt, wenn etwas geboten wird – wie etwa die Weihnachtsstadt – wird die City gut frequentiert.“
Der Handel, sagt er, müsse sich an wechselnde Gegebenheiten anpassen. „Die Stadt“, so Schäfer, „muss die Rahmenbedingungen schaffen und für Attraktivität, Parkplätze, Erreichbarkeit, Sicherheit und Sauberkeit sorgen.“ Als Kümmerer für all diese Dinge vermissen sowohl Thomas Schäfer als auch Tobias Heitmann den von Oberbürgermeister Thomas Westphal (SPD) schon lange versprochenen Citymanager. „Es ist sehr dringend, dass das Citymanagement jetzt kommt, um die weitere Entwicklung der City mit Tatkraft voranzubringen“, sagt Tobias Heitmann.
Wenn das triste, graue Regenwetter auf dem Westenhellweg verschwindet und das Frühjahr kommt, braucht es neue Attraktionen in der City. „Das E-Bike-Festival hat ja eine Strahlkraft. Und darauf aufbauend, kann man vielleicht auch noch Anderes gestalten. Und im Sommer kommt natürlich die Fußball-Europameisterschaft mit mehreren Spielen in Dortmund. Das ist eine Riesenchance für die City“, sagt Thomas Schäfer.
Fragt man den Experten am Ende der Gesamtbetrachtung nach einer Schulnote für die Dortmunder City, dann antwortet er nach kurzer Bedenkzeit: „Ich würde sagen: eine 3plus – auch wegen einer Baustelle wie dem Boulevard Kampstraße. Der wird wohl auch in 20 Jahren noch nicht fertig. Sowas sollte einfach nicht passieren.“ Dortmund könne auf jeden Fall mehr und habe alle Chancen, besser zu werden und dann mindestens die Note „Gut“ zu bekommen.
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