
Hauchdünn geschnitten und in Wolkenscheiben serviert, schmeckt er himmlisch wie kein anderer. Koch Günther Overkamp schwört auf Westfälischen Knochenschinken - vorausgesetzt er ist wirklich in Handarbeit hergestellt und lange genug gereift. Aber das ist eben heute ein Problem. © Overkamp
Günther Overkamp: Dieses kulinarische Kulturjuwel muss gerettet werden!
Kolumne Overkamps Lecka-reien
Ein geschütztes westfälisches Naturprodukt ist sozusagen vom Aussterben bedroht: Weil sich kaum jemand heute noch Zeit nimmt für Handarbeit. Koch Günther Overkamp schreibt heute ein Stoßgebet.
Obwohl ich katholisch bin, hat der Begriff Himmel für mich aus westfälischer Perspektive auch eine sehr profane Bedeutung: Wenn Sie einmal durch das schöne Münsterland nach Nottuln kommen sollten, ist ein Besuch des Gasthofs Stevertal Pflicht. Wer im Gastraum andächtig nach oben blickt, der weiß, was ich meine: Dort hängt nämlich der Himmel voller Schinken.
Overkamps Lecka-reien
Warum ist westfälische Küche so „lecka“ und wie führt man ein Traditions-Gasthaus? Darüber - und über manches mehr - schreibt der Koch Günther Overkamp in seiner Kolumne „Overkamps Lecka-reien“.Dicht an dicht in mehreren Reihen, aufgehängt am dicken Röhrenknochen, reift dort der einzig echte und wahre Knochenschinken: Nämlich der Westfälische.
Knochenschinken deshalb, weil für diese historische Herstellung der ganze Schinken des Schweins, oder besser noch der Sau, mitsamt dem innen liegenden Röhrenknochen verwendet und gepökelt wird. Und das sorgt für eine unvergleichliche Konsistenz und Feinheit im Geschmack.
Im Geschmack einfach himmlisch
Kein anderer Schinken schmeckt auf einem westfälischen Pumpernickel oder auf frischem Doppelback mit eiskalter Butter, hauch-dünn als Wolkenscheiben aufgeschnitten, so fein aromatisch. Eben einfach himmlisch.
Früher auf den alten Höfen wurde das Pökelgewürz von Hand eingerieben. Sechs Wochen lang. Wöchentlich immer wieder neu. Das entzieht dem Fleisch die Feuchtigkeit. Dann wird es sorgfältig abgewaschen.
Der weitere Herstellungsprozess unterscheidet sich je nach Region. Im Münsterland, zu dem wir Westfalen komischerweise in dieser Hinsicht gehören, favorisiert man den Luftgetrockneten. Im Sauerland werden Schinken traditionell geräuchert.
Natürlich nicht so stark wie im Schwarzwald, wo man erst zufrieden ist, wenn er richtig schwarz ist. Ekelig. Diese unterschiedliche Reifung kann bis zu einem Jahr dauern. So weit, so gut.
Aber leider klemmt es heute an allen Ecken. Beim Schwein fängt es schon an. Das Schwein muss fett sein und damit mindestens ein Jahr alt. So alt wird kein Schwein mehr in Deutschland. Wie man sich vorstellen kann, ist auch die Hand zum Einreiben des Pökelgewürzes nicht mehr vorhanden. Und die Zeit zum Reifen schon lange nicht!
Von EU-Kommission geschützt
Und so ist ein Produkt, auf das wir uns richtig was einbilden könnten, das im Jahre 2013 von der europäischen Kommission in seinem Herstellungsprozess und Ursprungsangaben geschützt wurde, geradezu verkommen durch fast industrielle Herstellung.
Es gibt ein paar wenige Ausnahmen, die sich um die traditionelle Herstellung kümmern: zum Beispiel im tiefen Sauerland, wo wir unseren für O’s herholen, oder in Ladbergen.
Hinzu kommt die erhebliche Konkurrenz des europäischen Marktes mit den bekannten Marken aus Spanien und Italien. Was zur Folge hat, dass der Westfälische Knochenschinken aus deutschen Feinkosttheken so gut wie verschwunden ist. Ich könnte heulen.
In der Steiermark hat ein traditioneller Schweinemäster in jüngster Zeit seinen Betrieb von Mast auf allerfeinste Schinken-Manufaktur umgestellt – mit herausragendem Erfolg. Weil er sich einfach die Tugenden der Schinkenherstellung aus verschiedenen europäischen Produktionsgebieten intensiv abgeguckt hat.
Mit dem Ergebnis, dass sein Vulcano-Schinken in den Feinkost-Theken unseren Westfälischen Knochenschinken verdrängt hat. Weil sich bei uns einfach keiner mehr die Zeit nimmt und die Mühe gibt, ein wirklich hochwertiges Lebensmittel mit der Hand herzustellen.
Lasst die Schweine länger leben
Liebe Metzger (die es noch gibt), liebe Schweinebauern, lasst uns zusammentun! Lasst die Schweine länger leben, lasst uns die Ärmel hochkrempeln und diesem geschützten kulinarischen Kultur-Juwel wieder zu altem Ruhm verhelfen.
Ich mach gern mit. Muss ja auch verkauft werden. Würde auch nicht schaden, wenn sich der Westfale mal wieder auf ein Heimatprodukt richtig was einbilden könnte. In diesem Sinne – bis denne!
In Fredeburg im schönen Hochsauerland 1968 geboren, wurde Günther Overkamp Wahl-Dortmunder durch die Liebe. Er ist Mitgeschäftsführer und Mitglied der in über 300-jähriger Tradition stehenden Gastro-Familie Overkamp. Kulinarisch bezeichnet er sich als „Westfälisches Trüffelschwein“. Er lebt mit Ehefrau Dina und drei Kindern auf dem Höchsten.