Eltern zogen wegen „Google Workspace“ vor Gericht GADSA in Aplerbeck muss Lernplattform wechseln

Erst „Beratung“, dann Weisung: GADSA muss Lernplattform wechseln
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Was noch vor wenigen Jahren „Google Education“ hieß, heißt heute „Google Workspace“. Doch unabhängig vom Namen: Die Datenschutzbedenken sind die gleichen. Das Gymnasium an der Schweizer Allee (GADSA) in Dortmund-Aplerbeck hatte vor eineinhalb Jahren von der Bezirksregierung die „anlassbezogene Beratung“ erhalten, die Lernplattform nicht mehr zu nutzen. Einzelne Eltern hatten Datenschutzbedenken geäußert.

Der Petitionsausschuss des Düsseldorfer Landtags hatte die Bedenken der Eltern damals geteilt: Die Bezirksregierung beriet die Schule daraufhin. Das GADSA solle auf IServ umsteigen; das ist eine Arbeitsplattform eines Anbieters aus Deutschland, die den Schulen als Standard durch die Stadt Dortmund bereitgestellt wird.

„Beratungsresistent“?

Doch lange änderte sich gar nichts: Das GADSA blieb „beratungsresistent“ und nutzte „Google Workspace“ weiter. Die betroffenen Eltern zogen daher vor das Verwaltungsgericht in Gelsenkirchen. Das lehnte den Eilantrag ab. Dann beschäftigte sich das Oberverwaltungsgericht Münster mit dem Fall.

Das Ergebnis: Das GADSA darf „Google Workspace“ nicht mehr nutzen – doch ein echtes Urteil gibt es nicht. Auf Anfrage unserer Redaktion formuliert Dirk Rauschenberg, Vorsitzender Richter am OVG, die Begründung in einem komplizierten und langen Satzgefüge:

„Das Beschwerdeverfahren ist im Februar 2023 – ohne streitige Sachentscheidung – durch übereinstimmende Erledigungserklärungen der Beteiligten beendet worden, nachdem der Antragsgegner (Land Nordrhein-Westfalen, vertreten durch die Bezirksregierung Arnsberg) [...] die Erklärung abgegeben hatte, er werde sicherstellen, dass das Gymnasium bis zum Ende der Osterferien 2023 dem Antragsteller und seinen Mitschülern anstelle der derzeit genutzten und bislang datenschutzrechtlich ungeprüften Arbeits- und Kommunikationsplattform ,Google Workspace for Education Plus` eine Arbeits- und Kommunikationsplattform zur Verfügung stelle, deren Vereinbarkeit mit nationalem und europäischem Datenschutzrecht die Stadt als Schulträgerin nachweislich überprüft und bestätigt habe.“

Auf einem Laptop wird das Webportal von Iserv angezeigt. Das OVG Münster hat entschieden, dass ein Gymnasium aus Dortmund nur die Lernplattform nutzen darf, die der Schulträger bereitstellt. Das GADSA hatte bisher Google Workspace genutzt.
Auf einem Laptop wird das Webportal von IServ angezeigt. Das OVG Münster hat entschieden, dass ein Gymnasium aus Dortmund nur die Lernplattform nutzen darf, die der Schulträger bereitstellt. Das GADSA hatte bisher Google Workspace genutzt. © picture alliance/dpa

Drei Wörter aus diesem Absatz sind dabei wichtig: Die Formulierung „ohne streitige Sachentscheidung“ bedeutet, dass es kein Urteil im eigentlichen Sinne gibt. Man hat sich geeinigt. Das wiederum bedeutet, dass das OVG keine inhaltlichen Fragen beantwortet.

Denn Fragen drängen sich geradezu auf: Welche Konsequenzen hat der Ausgang des Verfahrens für andere Schulen? Im Zuge der Gleichbehandlung müsste die Bezirksregierung doch allen Schulen eine entsprechende Weisung erteilen, wenn die grundlegende Einschätzung des OVG die ist, dass eine Schule die Nutzung einer nicht vom Schulträger bereitgestellten Plattform einzustellen hat.

Doch dazu heißt es vom OVG: „Auch mit Blick darauf, dass der Erörterungstermin […] nicht öffentlich war und eine Sachentscheidung nicht ergangen ist, kann ich Ihnen weder weitergehende Auskünfte zu dem Erörterungstermin erteilen noch zu den sonstigen von Ihnen aufgeworfenen Fragen inhaltlich Stellung nehmen.“ Man bitte um Verständnis.

Lernen mit dem iPad: Medienpädagoge Daniel Schlep hält die „Konsumdressur“ durch smarte Apps und Tablets für ein Problem.
Lernen mit dem iPad: Medienpädagoge Daniel Schlep hält die „Konsumdressur“ durch smarte Apps und Tablets für ein Problem. © picture alliance/dpa

Trotzdem haben wir nachgehakt: Warum ist in dem Fall keine „Sachentscheidung“ ergangen? Müssen Eltern mit Datenschutzbedenken jedes Mal selbst klagen? Warum reicht dem OVG an dieser Stelle bei vielen betroffenen Schülerinnen und Schülern eine „übereinstimmende Erledigungserklärung“ aus? Haben nicht alle Schülerinnen und Schüler ein grundsätzliches Recht auf eine geprüfte datenschutzkonforme Arbeitsplattform?

Das OVG kann oder will diese Fragen nicht beantworten. Die Aussage: „Da [...] keine Sachentscheidung ergangen ist, kann ich zu Ihren weiter aufgeworfenen Fragen, zumal diese auch in den Bereich allgemeiner rechtlicher Auskünfte hineingehen, nicht Stellung nehmen.“

„Ein schlechter Scherz“

Der aus Schwerte stammende Medienpädagoge Daniel Schlep hat den Fall über die gesamte Zeit verfolgt. Er wundert sich darüber, dass es nicht schon vor eineinhalb Jahren Konsequenzen für die Schule gegeben habe. „Die Schule hat scheinbar einfach weitergemacht wie zuvor“, sagt er. Die Schulverwaltung der Stadt Dortmund habe offenkundig ebenfalls nichts unternommen. „Privatpersonen mussten klagen, um Recht und Gesetz nicht nur durchzusetzen, sondern überhaupt erst mal für die Gesellschaft sichtbar zu machen – das ist ein schlechter Scherz.“

Schlep kritisiert seit Längerem, dass es mit den bekannten US-Anbietern im Hintergrund nicht möglich sei, in Deutschland Datenschutz und Souveränität zu schaffen. Auch die „Konsumdressur“ durch Smartphones, Tablets und smarte Apps sieht er als Problem. „Oftmals behaupten Schulleitungen, die ohne notwendiges Hintergrundwissen in Eigenregie an ihrer Schule fragwürdige bis rechtswidrige Medien-Werkzeuge einsetzen, dass die sauberen Alternativen nicht funktionieren würden bzw. nicht leistungsfähig genug wären.“

Dies sei auch im Falle von Logineo NRW LMS so, der Lernplattform, die vom Land NRW allen Schulen mit Datenschutzkonformität zur Verfügung gestellt wird. Schlep erläutert: „Dieses Lernmanagementsystem basiert auf der Freien-Open-Source-Software Moodle, welche seit langer Zeit erprobt ist und weltweit in Schulen, Universitäten, Institutionen und Behörden zum Einsatz kommt.“ IServ sei vergleichbar konzipiert und komme in vielen Schulen speziell mit einem besonderen Aufgaben-Modul bereits seit langer Zeit erfolgreich zum Einsatz.

Medienpädagoge Daniel Schlep sagt: "Die Schule hat scheinbar weitergemacht wie zuvor."
Medienpädagoge Daniel Schlep sagt: „Die Schule hat scheinbar weitergemacht wie zuvor.“ © Martina Niehaus (A)

Dass es im Fall des GADSA nicht zu einem Urteil gekommen ist, kritisiert Schlep ebenfalls. Denn obwohl jedes Gericht bei einer neuen Klage autark entscheidet, berücksichtigt es grundsätzlich die Rechtssprechung anderer Gerichte. Ohne Urteil und ohne öffentliche Verhandlung müssten Eltern mit Bedenken jedes Mal von Neuem anfangen. „Hier steht nun die Frage im Raum: Besteht gleiches Recht für alle – oder nur für die, die klagen? Was wir jetzt brauchen, sind Menschen aus Politik, Verwaltung und Schule, die mal ernsthaft saubere Lösungen für die Zukunft angehen. Die Werkzeuge liegen bereit.“

Am GADSA ist die Info zur Umstellung auf IServ inzwischen in der Schulgemeinde angekommen. Auf der Homepage schreibt die Schulleitung von einem „von uns nicht gewollten Umstieg“. Auf unsere Fragen, ob die Umstellung Probleme bereitet – und warum sie nicht bereits vor eineinhalb Jahren erfolgt ist – hat uns Schulleiter Heiko Hörmeyer an die Bezirksregierung verwiesen.

Eltern hatten vor dem OVG Münster geklagt, weil die Schule ihres Kindes die lernplattform „Google Workspace“ nutzte. Sie hatten Datenschutzbedenken.
Eltern hatten vor dem OVG Münster geklagt, weil die Schule ihres Kindes die Lernplattform „Google Workspace“ nutzte. Sie hatten Datenschutzbedenken. © picture alliance/dpa

Dort erklärt Pressesprecher Christoph Söbbeler, man habe das GADSA bei der Nutzung der Lernplattform zunächst nur „beraten“. Das Gericht habe aber klargestellt, dass der Schulträger für die Ausstattung mit Hard- und Software zuständig sei. Für ein eigenständig eingeführtes System wie Google Workspace bestehe keine Rechtsgrundlage. Aufgrund dieses „unmissverständlichen Hinweises des Gerichtes“ habe man der Schule jetzt die Weisung erteilt, die Nutzung von Google Workspace einzustellen.

Gegenwärtig, so Söbbeler, sammele die Bezirksregierung bei den Schulen Informationen darüber, welche Lernplattformen vom jeweiligen Schulträger zur Verfügung gestellt und welche genutzt werden, „um – falls erforderlich – darauf hinzuweisen, dass ausschließlich die vom örtlichen Schulträger bereitgestellten Lernplattformen genutzt werden“.

Zumindest im Regierungsbezirk Arnsberg müssen sich Schulen also künftig darauf einstellen, eine „Weisung“ anstelle einer „Beratung“ zu erhalten.

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